Recht und Justiz

Die Polizeipräsenz bei Versammlungen


4.4 Landesversammlungsgesetz Sachsen-Anhalt (VersammlG LSA)


Keine bereichsspezifische Regelung über die Anwesenheit und Legitimation von Polizeikräften enthält das VersammlG LSA.57 Das bereichsspezifische Landesgesetz bleibt damit noch hinter dem wenig normenklaren Bundesrecht58 zurück und der politisch vorgezeichnete59 Weg einer weitestgehend wortgleichen Transformation wird ohne weitere Begründung verlassen. Die grundrechtsrelevante Anwesenheit von Polizeibeamtinnen und –beamten kann damit nur noch als Minusmaßnahme zu Vollverbot oder Auflösung, im Einzelfall auch zu Bild- und Tonaufzeichnungen begründet werden.60


4.5 Regelungsansätze in Schleswig-Holstein 


Die in der 17. und 18. Legislaturperiode in Schleswig-Holstein vorgelegten Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen61 und der FDP-Fraktion62 sind sehr unterschiedlich ausgeformt.63
In § 18 des Entwurfs zu einem Versammlungsfreiheitsgesetz (VersFG) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heißt es zunächst:
Die Polizei kann bei Versammlungen unter freiem Himmel anwesend sein, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz zwingend erforderlich ist. Die Polizei kann bei Versammlungen in geschlossenen Räumen anwesend sein, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die Friedlichkeit der Versammlung zwingend erforderlich ist. Nach Satz 1 oder 2 anwesende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte haben sich der Leiterin oder dem Leiter unverzüglich zu erkennen zu geben.
Die Gesetzesvorlage ist damit an dieser Stelle recht differenziert ausgearbeitet worden und entspricht weitgehend dem NVersG.64 Allerdings gilt der Entwurf aufgrund des „Diskontinuitätsprinzips“ nach § 77 LTGO SH mit der Landtagswahl vom 6.5.2012 als erledigt.65
Im Entwurf zu einem Versammlungsgesetz (VslgG) der FDP-Fraktion, der grundsätzlich in vielen Punkten überzeugt, ist eine Regelung über die Anwesenheit und Legitimation von Polizeikräften indes nicht enthalten. Damit weicht die Vorlage trotz einer sonst weitgehenden Annäherung vom Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes von Enders et al.66 ab und bleibt zugleich hinter der Notwendigkeiten einer normenklaren Regelung zurück. Berechtigt hat die Piraten-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag in einem Änderungsantrag auf entsprechenden Ergänzungsbedarf hingewiesen.67
Nunmehr ist aktuell am 5.3.2014 durch die regierungstragenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Abgeordneten des SSW ein Änderungsantrag zur Gesetzesvorlage der FDP vorgelegt worden, der das Anwesenheitsrecht und die Legitimationspflicht beinhaltet.68 In § 10 heißt es:
Die Polizei kann anwesend sein

  1. bei Versammlungen unter freiem Himmel, wenn dies zur polizeilichen Aufgabenerfüllung nach diesem Gesetz erforderlich ist,
  2. bei Versammlungen in geschlossenen Räumen, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die Friedlichkeit der Versammlung erforderlich ist.

Nach Satz 1 anwesende Polizeikräfte haben sich der Versammlungsleitung zu erkennen gegeben; bei Versammlungen unter freiem Himmel genügt es, wenn dies durch die polizeiliche Einsatzleitung erfolgt.“
Damit sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Anwesenheit am NVersG und die Legitimationspflicht am BayVersG ausgerichtet worden. Durch die differenzierte Behandlung von Versammlungen unter freiem Himmel und Versammlungen in geschlossenen Räumen wird der Änderungsantrag insbesondere den grundgesetzlichen Rahmenbedingungen gerecht, da eine Einschränkung des Rechts, sich in geschlossenen Räumen zu versammeln, nur im Rahmen der verfassungssystematischen Schranken in Betracht kommt.69

5 Rechtsprechung


Zur Anwesenheit von Polizeikräften hat es in der jüngeren Vergangenheit zwei wichtige Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben, die für strategisch-taktische Überlegungen der Polizei, aber auch für künftige bereichsspezifische Gesetzgebungsverfahren in den Ländern eine grundlegende Bedeutung entfalten.70 Die Frage der Grundrechtsqualität einer polizeilichen Anwesenheit bei Versammlungen in geschlossenen Räumen hat der BayVGH am 15.7.200871 aufgegriffen, zum Umfang der Legitimation der eingesetzten Kräfte das VG Göttingen am 6.11.201372 geurteilt.


5.1 BayVGH vom 15.7.200873


Der BayVGH hatte sich in seinem Urteil mit der Frage der Zulässigkeit einer voraussetzungslosen Anwesenheit der Polizei bei Versammlungen in geschlossenen Räumen auseinander zu setzen. Prüfungsmaßstab war hierbei das Bundesrecht, insbesondere also § 12 VersG.
Dabei wurde durch den VGH zunächst dem „tradierten Verständnis des Zutrittsrechts der Polizei unter der Geltung des GG“ eine Absage erteilt und ein Eingriff in die „grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit“ bejaht.
Der Gerichtshof stellte fest: „Auch eine faktische Behinderung stellt einen Grundrechtseingriff dar, wenn sie nicht nur geringfügig ist und die Ausübung des Versammlungsrechts durch den geschützten Personenkreis beeinträchtigt.“ Insbesondere unter Hinweis auf das Volkszählungsurteil des BVerfG74 wurde weiter ausgeführt: „Ein Eingriff liegt z.B. dann vor, wenn die Maßnahme Personen von der Teilnahme an Versammlungen abschreckt. […] Von einer faktischen Beeinträchtigung ist auch dann auszugehen, wenn sich die Versammlungsteilnehmer durch die Polizeipräsenz veranlasst sehen, ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben.“
Ein häufig angeführtes Gegenargument, Art. 8 Abs. 1 GG sei durch eine polizeiliche Anwesenheit nicht berührt, weil zu öffentlichen Versammlungen jedermann Zutritt habe, wird durch das Gericht unter Hinweis auf den hoheitlichen Auftrag nicht akzeptiert. Polizeibeamtinnen und –beamte sind nach Darlegung des VGH keine Versammlungsteilnehmer, die den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG für sich reklamieren können.75 Das Gericht kommt mithin zu dem Ergebnis, dass mangels einer Befugnisnorm im VersG des Bundes ein Anwesenheitsrecht der Polizei bei Versammlungen in geschlossenen Räumen nur zum Schutze kollidierender Verfassungsgüter76 und zur Abwehr konkret drohender, erheblicher Gefahren bestehe.


5.2 VG Göttingen vom 6.11.201377


Um die Anwesenheit von Polizeikräften in Zivilkleidung bei Versammlungen unter freiem Himmel ging es in der vorgenannten Entscheidung der 1. Kammer des VG Göttingen. In Anlehnung an das Urteil des BayVGH vom 15.7.2008 wurde zunächst der Eingriffscharakter der Maßnahme bestätigt und festgestellt:78„Die Polizeipräsenz kann Personen von der Teilnahme an einer Versammlung abschrecken oder zur Folge haben, dass Versammlungsteilnehmer ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder nicht in vollem Umfang ausüben. […] Das Anwesenheitsrecht der Polizei wirkt sich mittelbar einschränkend auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit aus und unterliegt deshalb eigenständig zu bestimmenden Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.“
Weiter hat das Gericht die Legitimationspflicht der Polizei bewertet und sie als „wesentliche Ausgestaltung der Art und Weise des Zutrittsrechts“ bezeichnet. Sie diene dazu, „die Kooperation von Versammlungsleiter und Polizei als zuständiger Behörde während der Versammlung zu erleichtern, indem dem Leiter eindeutig erkennbare Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Erkennengeben soll erreicht werden, dass der Versammlungsleiter die Polizei gegebenenfalls um Hilfe angehen kann, wenn es ihm nicht gelingt, mit eigenen Mitteln die Ordnung in der Versammlung sicherzustellen.“
Auch die Legitimationspflicht sei aus dem Blickwinkel des Art. 8 Abs. 1 GG zu betrachten. „Sie soll einer Unsicherheit der Versammlungsteilnehmer darüber vorbeugen, ob sie während der Versammlung unwissentlich der Beobachtung durch die Polizei ausgesetzt sind; sie dient damit der Versammlungsfreiheit“ durch die Vermeidung von Einschüchterungseffekten.79
Nach dem „eindeutigen Wortlaut“ des § 11 NVersG soll nach Darlegung der Kammer die Verpflichtung, sich erkennen zu geben, für jeden einzelnen Polizeibeamten bestehen, soweit dieser nicht bereits durch seine Uniform unmissverständlich zuzuordnen ist.80 Inwieweit auf Verlangen des Versammlungsleiters auch eine Ausweispflicht für uniformierte Polizeibeamtinnen und –beamte besteht, ist noch nicht endgültig geklärt. Die wohl herrschende Literaturmeinung plädiert zurzeit allerdings wohl dafür.81 In jedem Fall reicht aber eine allgemeine Mitteilung durch die Einsatz- oder Einsatzabschnittsleitung nicht aus und auch eine Art „konkludente Anzeige“ ist mit der Norm nicht in Einklang zu bringen.82