Recht und Justiz

Sicherungsverwahrung – Grundrechte im Rahmen der neuen Gesetzgebung


2. Doppeltes Wirken der negativen Spezialprävention


Bezüglich der negativen Spezialprävention, welche die Allgemeinheit vor dem Täter schützt, ist zu unterscheiden. Zum einen stellt sich die Frage, ob durch die ausschließliche Begründung der negativen Spezialprävention bei der Sicherungsverwahrung und durch die teilweise Nutzung als Strafzweck Maßregel und Strafe überhaupt unterscheidbar sind. Zum anderen muss geklärt werden, ob ein doppeltes Wirken der negativen Spezialprävention, einmal als Begründung bei der Sicherungsverwahrung und einmal als Strafmaßverschärfung bei der Strafzumessung, einen ne bis in idem Verstoß darstellt.
Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ist von dem Gedanken der Schuldvergeltung geprägt, die Sicherungsverwahrung stellt hingegen auf die negative Spezialprävention ab. In diesem Kontext ist die doppelte Nutzung der Spezialprävention zu betrachten. Folgt man der herrschenden58 Vereinigungstheorie, so dient die Strafe auch der negativen Spezialprävention und daher dazu die Allgemeinheit zu schützen. Dies führt zu einer Überlappung mit der Maßregel der Sicherungsverwahrung, die sich alleine auf diesen Zweck stützt. Ein Umstand, der zu einer für den Täter ungünstigen Doppelberücksichtigung der negativen Spezialprävention führt. Zum einen sind die Strafzwecke „oberste Richtschnur“ in der Strafzumessung59 und führen so bei Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zu einer längeren Freiheitsstrafe. Zum anderen führt die Prognose der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit dann im Anschluss an die Freiheitsstrafe zu einer Sicherungsverwahrung. Folglich wird der Täter resultierend aus demselben Grund zweimal der Freiheit entzogen. Für die mit dem Urteil angeordnete Sicherungsverwahrung stellt dies kein Problem dar, die präventiv angeordnete Maßregel entlastet die tatbezogene Strafe von ihrer spezialpräventiven Funktion und reduziert ihren Zweck auf den Schuldausgleich.60 Will man bei der nachträglichen oder vorbehaltenen Sicherungsverwahrung eine Doppelbelastung aus gleichem Grund vermeiden, so müsste man bei Taten, bei denen die Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, auf den Strafzweck der negativen Spezialprävention bei der Strafzumessung verzichten.61
Nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts umfasst Art. 103 Abs. 3 GG bereits kein Verbot aus Anlass eines Sachverhalts verschiedene Sanktionen zu verhängen, „sondern verbietet nur die wiederholte strafrechtliche Ahndung ein und derselben Tat“.62 Die Heranziehung der negativen Spezialprävention, einmal als Instrument die Freiheitsstrafe im Rahmen der Schuld zu verlängern und einmal als Begründung für die Sicherungsverwahrung, ist daher nicht schädlich.63


III. Recht auf ein faires Verfahren


Das Recht auf ein faires Verfahren ist in Art. 20 Abs. 3 GG normiert. Es umfasst im Strafprozess eine „Waffengleichheit“ zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem.64 Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben auf den Gang des Verfahrens Einfluss zu nehmen.65 Zwar streitet der Sicherheitsverwahrte anders als im Strafprozess nicht um seine Unschuld, doch erscheint eine Anwendung dieser Prinzipien auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung konsequent. Die schuldvergeltende Freiheitsstrafe wurde geleistet und die Anordnung der Sicherungsverwahrung stellt sich für den Betroffenen als ein ähnlich intensiver Eingriff in seine Freiheit dar. Die Anforderungen an ein Anordnungsverfahren dürfen daher nicht hinter den Anforderungen an einen Strafprozess zurückbleiben. Hier sollen daher der Zugang der Sicherungsverwahrten zu Therapie und Vollzugslockerung sowie die Entscheidungsfindung der Prognose unter dem Aspekt eines fairen Verfahrens betrachtet werden.

1. Die Vollzugslockerung und Therapie


Als Grundlage für die bei der Anordnung wichtige Prognose ist das Verhalten in Gefangenschaft in der Regel unzureichend. Notwendig ist eine prognostisch relevante Vollzugslockerung.66 2004 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das Gebot des Allgemeinschutzes es nicht ausschließt, Vollzugslockerungen und Urlaub Sicherungsverwahrten unter denselben materiellen Bedingungen zu gewähren wie sonstigen Gefangenen.67
Die Lockerungserteilung wurde in vielen Bundesländern primär als Mittel zur Entlassungsvorbereitung gesehen, sodass eine Vollzugslockerung erst bei Erreichung gewisser Restverbüßungszeiten in Betracht kam. Zudem wurden die Anforderungen für Vollzugslockerung für die gesamte Gruppe der Sicherungsverwahrten hoch angelegt.68 Beispielsweise hatte innerhalb eines Jahres bis 2008 in acht von dreizehn die Sicherungsverwahrung vollziehenden Anstalten keiner der betroffenen Verwahrten Ausgang oder Urlaub erhalten.69
Auch wies das Bundesverfassungsgericht bereits 2004 darauf hin, dass den Sicherungsverwahrten Resozialisierungsangebote, insbesondere Therapiemöglichkeiten angeboten werden müssen, um auszuschließen, dass es sich lediglich um einen Verwahrvollzug handelt.70 Häufig fehlte es in den Anstalten jedoch an Personal um diesem Anspruch gerecht zu werden,71 durchschnittlich befanden sich beispielsweise nur 30 % der Sicherungsverwahrten in Behandlung.72 Ferner erhielten Sicherungsverwahrte im Vergleich zu anderen Gefangenengruppen häufig nicht oder nur zweitrangig Zulassung zu den notwendigen Therapien.73 In der Praxis blieb ein Sicherungsverwahrter dann in der Regel unbehandelt. Wegen mangelnder Behandlung konnte ihm folglich auch keine Vollzugslockerung gewährt werden, sodass schon dadurch eine für den Sicherungsverwahrten negative Prognose vorlag.74Der Vollzug ist nach neuer Gesetzgebung therapiegerichtet und freiheitsorientiert auszugestalten. Die Untergebrachten sind individuell und intensiv zu betreuen.75 Vollzugsöffnende Maßnahmen werden in Form von Lockerungen, Ausführungen und Außenbeschäftigung gewährt. Darunter zum Beispiel jährlich mindestens vier Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit, der Förderung der Mitwirkung an der Behandlung oder der Vorbereitung von Lockerungen.76 Die Gesetze sind mithin gemacht, es muss demnach noch die entsprechende Ausgestaltung in der Praxis folgen. Insbesondere müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um der individuellen und intensiven Betreuung gerecht zu werden. Ansonsten würde sich eine Verfassungswidrigkeit lediglich von der Gesetzes- auf die Durchführungsebene verlagern.

2. Entscheidungsfindung in der Prognose


Das Ergebnis der Prognose wird in Vollzugsplankonferenzen auf Grundlage der Behandlungsuntersuchung diskutiert. Die Konferenzen fanden gemäß § 159 StVollzG nur unter Mitwirkung der an der Behandlung maßgeblichen Personen statt. Wer Teil dieses Personenkreises ist, erwähnte das Gesetz nicht. Aus der systematischen Stellung des § 159 StVollzG entnahm man jedoch, dass der Kreis auf die anstaltsinternen Bediensteten beschränkt ist.77 Für den Gefangenen bestand kein Teilnahmerecht, er hat aber nach § 6 Abs. 3 StVollzG das Recht, dass die Entscheidungen der Konferenz mit ihm erörtert werden.78 Diesbezüglich stellte das BVerfG 2002 fest, dass „ein über die gesetzliche Regelung hinausgehendes verfassungsrechtlich gebotenes Beteiligungsrecht des anwaltlichen Vertreters eines Gefangenen an der Vollzugsplankonferenz .. nur in Betracht [käme], wenn der Vollzugsplan die Weichen für viele Jahre unüberprüfbar festlegen würde.“79 Der Gefangene könne ja die Rechtsfehlerfreiheit des Aufstellungsverfahrens sowie das inhaltliche Gestaltungsermessen in seiner Gesamtheit einer Kontrolle durch § 109 StVollzG unterziehen.80
Im regulären Strafvollzug wirkt eine negative Prognose in der Regel dahingehend, dass der Gefangene keine Strafrestaussetzung erhält. Dennoch verbleibt er mit der Gewissheit nach Ende der ihm auferlegten Strafe ein freier Mensch zu sein. In diesem Kontext ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2002 nachvollziehbar. In der Sicherungsverwahrung stellt eine negative Prognose hingegen eine Grundlage weiterer Verwahrung dar. Diese Grundlage soll nach dem BVerfG zwar jedes Jahr überprüft werden81, doch ist nicht auszuschließen, dass dieselben Vollzugsbeamten involviert sein werden, also dieselben Personen erneut über das Prognoseergebnis befinden. Will man Routinebeurteilungen entgegenwirken, so sollte man hier das Verfahren dahingehend ändern, dass der Sicherungsverwahrte Einblick in die Ergebnisfindung bekommt. Teilweise wurde dieses in als „Kann“-Regelung aufgenommen.82 Andere Bundesländer belassen es hingegen bei einem Ausschluss der Sicherungsverwahrten und deren Vertreter.83 Sachsen gestattet Verteidigern die Anwesenheit und hat hinsichtlich der Beteiligung der Sicherungsverwahrten eine „Soll-“Regelung normiert.84