Kriminalität

Das Kaukasus-Emirat:

Eine neue Gefahrenquelle für Europa?

Ausrufung des KE


Mitte der 2000er Jahre stand der nordkaukasische Aufstand vor einem Dilemma und das KE hatte mit inneren Auseinandersetzungen zu kämpfen. Der Kern der internen Konflikte (Fitna) drehte sich um die Frage, ob der Kampf gegen Moskau Dschihad (Heiliger Krieg) sei oder nicht. Unter anderem wurde beanstandet, dass der Auseinandersetzung mit Russland die religiöse Grundlage fehle. Zudem wurde nach Dafürhalten mehrerer Emirat-Ideologen das tschetschenische Volk nicht mehr mit der Vernichtung durch Moskau bedroht. Es galt daher entweder den Dschihad einzustellen oder die „wahren Ziele“ des Kampfes zu offenbaren. Flankiert wurde die ideologische Neuausrichtung der Aufständischen durch theologische Grundsatzdebatten, in denen es vor allem darum ging, ob zuerst die Unabhängigkeit erreicht und danach die Scharia eingeführt werden sollte oder umgekehrt. In der Folge setzte sich der dschihadistische Flügel durch. Ihm gelang es, den Aufstand neu zu formieren und die jüngere Generation der Muslime anzusprechen. 2007 gilt daher als „islamistische Wende“, in dem das KE offiziell aus der Taufe gehoben wurde. 


Bild 2: Die KE-„Staatsfahne“

Im November 2007 erschien auf der Internetseite des KE ein Artikel, in dem der Vorbereitungsprozess zur Ausrufung des Emirats geschildert wird. Unter dem Titel „Emir Sejfullah über die Vorbereitung auf das Ausrufen des Kaukasus-Emirates“5 werden die größten Errungenschaften und ideologischen Prämissen des KE genannt. Als größte Errungenschaft deutet man die Ablehnung des auf der Volkssouveränität fußenden Regierungssystems, das die tschetschenische Verfassung von 1992 formell gewährleistete. „Tauhid [Glaube an die Einheit und Einzigkeit Gottes, Anm. d. Autors] – das ist das Ziel unseres Lebens, für das wir kämpfen und bereit sind zu sterben“, heißt es diesbezüglich. Die einzige Quelle der Macht sei nicht das Volk, sondern Allah als Souverän: „Menschenrechte, internationales Recht, Referendum, Meinungs- und Religionsfreiheit, Volkswille – all diese mit unserer Religion unvereinbaren Begriffe haben mit den kaukasischen Mudschaheddin nichts zu tun.“ Dem Text ist zu entnehmen, dass Umarow nahe gelegt wurde, das Emirat ohne Abstimmung mit anderen Feldkommandeuren auszurufen, da eine Abstimmung als „demokratische Neuerung unzulässig“ sei. Dieses unilaterale Vorgehen wird bei der Spaltung des Aufstandes 2010 eine wichtige Rolle spielen. 


Bild 3: „Staatsgrenze“ des Emirates


In der „Offiziellen Erklärung über die Ausrufung des Kaukasus-Emirates“ aus dem Jahr 2007 wird die radikale Ausrichtung deutlich. In dieser lehnt Umarow alles ab, was mit dem Taghut (Götzendienst) in Verbindung steht: „Ich lehne alle Kafir-Gesetze ab, die in der Welt installiert sind. Ich lehne alle Gesetze und Systeme ab, die die Ungläubigen im Kaukasus installiert haben.“ Denn es gelte, „die Ungläubigen aus dem Kaukasus zu vertreiben“ und das Territorium in das Haus des Friedens zu verwandeln. Überdies „müssen wir alle historischen islamischen Gebiete außerhalb des Nordkaukasus zurückerobern“. Umarow klassifizierte alle Nicht-Muslime als Ungläubige und gab sie als „Vernichtungsobjekte“ zum Abschuss frei. „Alle Ungläubigen sind eine Nation“, so der KE-Emir. 

Anfang Februar 2012 erschien im Internet ein Videostreifen, in dem Abu Usman den „Status“ der russischen Zivilbevölkerung änderte und befahl, von Anschlägen abzusehen, falls diese hätte Schaden nehmen können. Denn in jüngsten Protesten gegen Wahlfälschungen sah Umarow ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung das „tschekistische Regime Putins“ nicht unterstütze und „Geisel des selben Regimes ist, das einen brutalen Krieg gegen den Islam im Kaukasus“ führe. Daher erklärte er Sicherheitsbehörden, Regionalbeamte und „National-Verräter“ zu primären Zielen des Emirates.6 Bereits im Mai 2013 wandte sich jedoch eine Gruppe dagestanischer Kämpfer unter Umgehung ihrer Kommandostrukturen an Umarow mit dem Aufruf, das Verbot, welches den „Schahid-Operationen auf dem Territorium von Russnja“ [die abwertende Bezeichnung für Russland – M.L.] im Wege stünde, zu widerrufen. Anfang Juli 2013 hob der Emir seinen Befehl auf, „Operationen auf dem russischen Territorium durchzuführen“. Denn die Ungläubigen hätten die „Güte der Mudschaheddin“ als Zeichen der Schwäche fehlgedeutet. Zugleich gingen sie „barbarisch“ gegen die Zivilbevölkerung und in den Orten vor, wo sich Kämpfer aufhielten. Deshalb sei eine entsprechende Antwort notwendig. Man müsse dem Kreml vor Augen führen, dass die Gutherzigkeit keine Schwäche sei, so der Emir. Er rief die „Mudschaheddin“ auf, die Olympischen Winterspiele in Sotschi – „satanische Spiele“ – auf dem „Gebein unserer Vorfahren, auf den Knochen so vieler Muslime, die auf unserem Boden entlang des Schwarzen Meeres vernichtet und verbrannt wurden“ zu sabotieren und nicht zuzulassen. Somit geraten die Nichtkombattanten wieder in Gefahr durch mögliche Anschläge auf zivile Infrastrukturen. Denn eine saubere Trennung zwischen den anvisierten Zielen bzw. Opfergruppen scheint nicht mehr gewährleistet zu sein.