Kriminalität

Konfrontationsgewalt zwischen Links- und Rechtsautonomen

Autonome Nationalisten

Anfang der 1990er Jahre begann sich die rechtsextremistische Szene in Deutschland zu verändern. Vor dem Hintergrund der Verbote mehrerer rechtsextremistischer Organisationen entwickelten Mitte der 1990er Jahre die Rechtsextremisten Christian Worch und Thomas „Steiner“ Wulff in bewusster Anlehnung an linksextremistische Organisationsformen das Konzept informell, d. h. ohne vereinsmäßige Strukturen und Hierarchien agierender Kleingruppen. Schon bald dominierten lose organisierte, „autonom“ und regional operierende Kleinstgruppen von 20 bis 25 Personen unter der Bezeichnung „Freie Nationalisten“ bzw. „Freie Kräfte“ die neonazistische Szene. Aus ihnen formierten sich die AN als loser Zusammenschluss von Aktivisten. Erstmals werden Ende 1992/Anfang 1993 die Begriffe „Rechte Autonome“ oder „Autonome Rechte“ in der rechtsextremistischen Szene verwendet.
Bereits mit ihrer Selbstbezeichnung als „Autonome Nationalisten“ und der Übernahme des Logos der „Antifaschistischen Aktion“ – der Fahne im Kreis, die in Anti-Antifa umbenannt wurde – lassen sie unmissverständlich erkennen, wer ihnen als Vorbild diente: die Linksautonomen. Wie diese verstehen sich die AN als antibürgerlich und treten provokativ mit einem eigenen „Dresscode“ auf. Bei Demonstrationen erscheinen sie weitgehend geschlossen in einheitlicher schwarzer Kleidung, zumeist bestehend aus Kapuzenpullovern, Cargo-Hosen und Baseball-Kappen. Neben der obligatorischen Sonnenbrille tragen sie nicht selten ein „Palästinensertuch“, das auch der Vermummung dient. Bisweilen führen sie schwarze Handschuhe mit Protektoren als Zeichen der Gewaltbereitschaft mit sich. Auch den „Schwarzen Block“, die charakteristischste Aktionsform der linksautonomen Subkultur, haben die AN übernommen. Im Verlauf rechtsextremistischer Demonstrationen bilden sie einen „ns black block“ und treten mit eigenen, sich an den Linksautonomen orientierenden Transparenten mit sozialrevolutionären, zumeist englischsprachigen Slogans wie „Fight the system“ oder „Capitalism kills“, populären Comicfiguren, grellen Farben und aufwändig gestalteten Schriftzügen im Graffiti-Stil auf. Erst beim näheren Hinsehen werden die Unterschiede deutlich, wenn beispielsweise eine Basecap die Aufschrift „Burn Israel“ ziert oder der Slogan der Hardcore Punker „Good night – white pride“ in „Good night – left side“ abgeändert wurde. Auch Porträts der linken Ikone Che Guevara sind keine Seltenheit. „Von den Linken zu lernen erschien also höchst sinnvoll“, so Worch rückblickend in seinem Aufsatz „Gedanken über freien und autonomen Nationalismus“. Unverkennbar ist das linksextremistische Feindbild zum Vorbild der Rechtsautonomen geworden.
Das Okkupieren linker Symbolik macht aber auch vor historischen Daten nicht halt. So finden bereits seit Jahren rechtsextremistische Veranstaltungen zum Tag der Arbeit, dem 1. Mai, statt. Seit 2005 begehen die AN zudem den 1. September – ursprünglich 1957 vom DGB anlässlich des Jahrestages des deutschen Angriffs auf Polen 1939 als Antikriegstag initiiert – als „Nationalen Antikriegstag“ und führen geschichtsrevisionistische Kundgebungen durch, die sich gegen die seinerzeitigen deutschen Kriegsgegner richten. Damit gelang es den AN zugleich, sich als Teil der rechtsextremistischen Subkultur zu etablieren. Vor allem ihr „Schwarzer Block“ auf der Hamburger 1. Mai-Demonstration 2008 festigte ihr Ansehen innerhalb des neonazistischen Spektrums. Der organisierte Rechtsextremismus erkannte zudem die Chance, die sich ihm für die Nachwuchsrekrutierung mit den AN und ihrer Attraktivität vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bot.
Ideologie spielt bei beiden Extrema heutzutage eher eine untergeordnete Rolle. Während Linksautonome sich an anarchistischen und kommunistischen Ideologieelementen orientieren, richten sich die AN am sozialrevolutionären Flügel der NSDAP um die Brüder Gregor und Otto Strasser und am jungen Joseph Goebbels aus. Sie versuchen, sozialistische und nationalistisch-völkische Elemente und somit Sozialismus und Nationalismus im Sinne eines dritten Weges miteinander zu verbinden. Neben originär rechtsextremistischen Themen wie Rassismus, Nationalismus und Geschichtsrevisionismus rücken sie die „soziale Frage“ und somit den Kampf gegen Kapitalismus und Globalisierung in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Waren AN zunächst relativ kritisch gegenüber dem historischen Nationalsozialismus eingestellt, so unterscheiden sie sich gegenwärtig von anderen Neonazis mehr durch ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre Aktionsformen als durch ideologische Differenzen. Ihrem Selbstverständnis nach hat der autonome Nationalismus „nichts mit weltanschaulichen Abgrenzungen zu tun, auch wenn manche das gerne so hätten.“ Vielmehr verstehen sie sich als „neue und moderne ‚Nationale Sozialisten‘“ wie der Website der Autonome Nationalisten Ostfriesland zu entnehmen ist.
Beide Aktionsformen verfügen nicht über feste und organisierte Strukturen. Nicht „Mitgliedschaft“ sondern „Mitmachen“ steht für sie im Vordergrund. Sie definieren sich nicht so sehr über das, was sie wollen, als vielmehr über Anti-Einstellungen. So verstehen sie sich als antikapitalistisch, antiimperialistisch, antiparlamentarisch, antiamerikanisch und globalisierungsfeindlich – wenn auch auf unterschiedlicher ideologischer Grundlage.
Diesen Gemeinsamkeiten zum Trotz dürfen die gravierenden Unterschiede zwischen beiden Extrema nicht übersehen werden. Während Linksautonome eine kommunistische bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft anstreben, verfolgen Rechtsautonome das Ziel einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Verabsolutieren Linksautonome die Forderungen nach sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit, lehnen Rechtsautonome die Gleichwertigkeit aller Menschen zugunsten der Überhöhung der eigenen Rasse ab. Dem internationalistisch, auf Gleichheit orientierten Sozialismus der Linkautonomen stellen die Rechtsautonomen einen rassistischen, völkisch-nationalen, antisemitischen und somit auf Ungleichheit setzenden „Nationalen Sozialismus“ entgegen. Predigen die einen den Klassenhass, reden die anderen dem Rassenhass das Wort. Diese grundsätzlichen ideologischen Gegensätze und die daraus resultierende Feindschaft spiegeln sich insbesondere in den zunehmenden Konfrontationen zwischen beiden Aktionsformen wider. Sie verdeutlichen, dass beide zwar das bestehende System überwinden wollen und dabei eine ähnlich gelagerte Vorgehensweise an den Tag legen, sie aber in der Ausgestaltung der neuen Ordnung diametral unterschiedliche Ansichten vertreten und bereit sind, diese auch gewaltsam zur Geltung zu bringen.