Kriminalitätsbekämpfung

Geld(un-)wesen

– Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit? –

II. Krise ohne Konflikt


Die Finanzkrise wird nach wie vor überwiegend wirtschafts-, fiskal- und arbeitsmarktpolitisch bearbeitet.6 Sie steht jedenfalls in Deutschland noch nicht im Zentrum größerer sozialer Auseinandersetzungen. Es gibt keine Gleichzeitigkeit von Krise und Konflikt. In Griechenland, Spanien, Portugal und Italien scheint sich das dagegen allmählich zu verändern. Vielleicht hat man dort schon verstanden, dass sich auf den Schauplätzen der internationalen Finanzwirtschaft kein effizientes Zusammenspiel vernünftiger Akteure, sondern ein „Spektakel reiner Unvernunft“ vollzieht. Es ist daher höchste Zeit für die Klärung der Frage, ob der „kapitalistische Geist“ verlässlich und rational oder schlicht verrückt operiert. Das ist nicht leicht. Beim Nachdenken über Geld und Märkte entsteht früher oder später ein Gefühl der Hilflosigkeit. Dieser Befund ist beunruhigend, bestimmt Geld doch wie nichts sonst unsere Existenz. Dennoch ist niemand fähig, hinreichend genau sagen, wie Geldaustausch vor sich geht und was er bewirkt. Diese Undurchschaubarkeit verursacht Aggressivität und ein Gefühl der Leere sowie der Lähmung.
Geld löst häufig irrationales Verhalten aus. Auch die Ökonomen haben nicht alles im Griff. Sie können das Kommende nicht prognostizieren, den Markt nicht steuern und seine „Logik“ nicht verstehen. Der Markt denkt gar nicht daran, sich vernünftig zu verhalten. Er reguliert sich auch nicht selber, schon gar nicht nach den Gesetzen irgendeiner „ökonomischen Vernunft“. Das wird durch die ökonomisch Handelnden selbst ausgeschlossen, mit ihrer Gier, ihrer Machtlust und ihrer Hoffnung, einen größeren Happen von der Beute zu kriegen als die anderen. Der Markt verhält sich irrational, weil seine Akteure sich irrational verhalten. Im Umgang mit Geld gibt es keine Objektivität. Es fehlt auch an einer konkreten und präzisen Vorstellung für das, was unser Handeln mit Geld bewirkt. Mit der zunehmenden Abstraktion des Tauschprozesses ging der Bezug zu den Dingen verloren, die das Geld eigentlich repräsentieren sollte. Das System hat sich verselbstständigt. Es ist für die „sinnliche Vernunft“ undurchschaubar geworden. Möglicherweise ist man in „magische Muster“ zurückgefallen. Immer mehr Menschen verhalten sich als Gläubige und Ungläubige wie trunkene aber skeptische Teilnehmer eines Kults. Vielleicht sind wir sogar alle freiwillig-unfreiwillig Mitglieder einer weltumspannenden Religion geworden. Als solche könnten wir gezwungen sein, zu glauben oder wenigstens hinzunehmen, was uns „Hohepriester“ („Experten“ und Politiker) verkünden, weil uns rationale Erkenntnis verwehrt bleibt.
Geldgier lässt sich nicht in Dienst nehmen, solange das Geld weiter als Illusion regieren kann. Alle Reformbemühungen bleiben nur erfolglose Versuche der Symptombekämpfung, wenn wir nicht erkennen, dass es nur dazu dient, unsere Beziehungen unter dem Mantel eines illusionären Wertes abzuwickeln. Deshalb ist auch eine moralische Neuorientierung unabdingbar. In einer vernünftigen Ordnung menschlicher Gesellschaften darf Moral ihre Begriffe aber nicht buchhalterisch aus der Bilanzierung von Vor- und Nachteilen importieren. Angesichts der Tatsache, dass Sachverstand und gemeinwohlorientierte Charaktere in Politik und Wirtschaft knappe Ressourcen sind, ist nicht zu erwarten, dass die diversen Führungscliquen aus dieser Einsicht rechtzeitig die richtigen Konsequenzen ziehen werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich stattdessen Verstand und Vernunft unter den Menschen durchsetzen, die mehr Hoffnung auf die Straße setzen, als auf schallgedämpfte Konferenzsäle in Brüssel. Das wird nicht einfach sein. Der Finanzkapitalismus moderner Prägung trägt nämlich teilweise absurde Züge:
Jemand, der eine Ware nicht hat, sie weder erwartet noch haben will, verkauft diese Ware an jemanden, der diese Ware ebenso wenig erwartet oder haben will und sie auch tatsächlich nicht bekommt… hier werden gegenwärtige Preise für Nichtvorhandenes nach der Erwartung künftiger Preise für Nichtvorhandenes bemessen. Hier werden Preise mit Preisen bezahlt. Die Preise sind also die Waren selbst, befreit von der Bindung an materielle Lasten und Beschwernisse. Sie rechtfertigen den Titel eines „selbstreferenziellen Marktgeschehens“.
Spekulation wird zum Synonym für die Beschaffung von Liquidität. Sie erscheint als Normalfall finanzökonomischer Transaktion. Termingeschäfte stellen sich folglich als ein logisches Pendant zur Kapital- und Kreditwirtschaft dar, Finanzderivate als eine vom Gütermarkt und vom Bargeldumlauf unabhängige Form von Geld. Die angebliche Vernunft oder die Effizienz der Finanzmärkte haben dazu geführt, dass Wetten auf künftige Kursverläufe dem Spiel eines Schimpansen gleichen, der mit verbundenen Augen Dartpfeile auf den Börsenteil einer Zeitung wirft.
Ungedecktes Papier- oder Rechnungsgeld war nach dem Ende von Bretton Woods kein vorübergehender Notbehelf in Zeiten der Krise. Es avancierte zur Voraussetzung, zum Funktionselement und unvermeidlichen Schicksal im internationalen Kapitalverkehr. So entstand ein beispielloses System. In ihm beziehen sich Währungen nur auf Währungen. Sie beruhen direkt oder indirekt nur auf einem Standard ungedeckten Rechengeldes. Die Zirkulation uneinlösbarer Zahlungsversprechen geriet insgesamt zu einem finanzökonomischen System. Die Stabilisierung von Kreditökonomie und Währungssystemen wird nicht mehr durch eine Konvertierung in Gold oder Warengeld abhängig gemacht. Es geht um einen fortlaufenden Austausch zwischen Geld und Information. Im Zahlungsverkehr sind Informationen über Geld wichtiger geworden als das Geld selbst. Die Preise auf den Finanzmärkten kompilieren nämlich zugleich Informationen über die Zukunft von Preisen.