Recht und Justiz

Die erkennungsdienstliche Behandlung - Teil 1

zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. zum Zwecke des Erkennungsdienstes nach den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 10 PolG NW bzw. 81b 2 StPO

Mit dieser erweiternden Auslegung lassen sich auch die Fälle lösen, wenn sich der Betroffene/Beschuldigte nach einer EDBehandlung äußerlich – entscheidend – verändert hat:

  • Eine Person wird nach einer Straftat erkennungsdienstlich behandelt, sie wird dann nach Monaten nach einem ergangenen Urteil wieder (zufällig) angetroffen und soll erneut ed behandelt werden (ohne Anlasstat), weil sich ihr Aussehen verändert hat.

    Die Maßnahme erscheint sinnvoll, praxisnah und erforderlich, aber ist sie auch rechtmäßig oder nur recht mäßig? Lösung: § 14 PolG/NW (und nicht § 81b 2Alt StPO) ist auch anzuwenden, wenn
    • ein Strafverfahren mit Einstellung bzw. Verurteilung geendet hat (denn dann endet die Beschuldigteneigenschaft und somit auch die Anwendbarkeit des § 81b StPO!) 
      und
    • die Polizei eine erneute ED-Behandlung dieser Person durchführen will, weil sich z. B. ihr Aussehen entscheidend (d. h. er ist anhand des alten Bildes nicht wieder zu erkennen) verändert hat oder Veränderungen an den Papillarlinien vorliegen.
    Die wichtigste Voraussetzung ist, dass noch ein so genannter „Restverdacht“ vorliegt, der in den Fällen der Einstellung z. B. durch Diversion oder der §§ 153, 154, 170 II (aber nur der Unterfall: kein hinreichender Tatverdacht), sowie § 174 StPO regelmäßig noch angenommen werden könnte.
    Ausnahme, also kein Restverdacht liegt vor,
     ist jedoch die Einstellung des Verfahrens wegen
    • erwiesener Unschuld5 (= „Freispruch erster Klasse“)
      oder
    • die Nichteröffnung des Verfahrens durch die StA wegen mangelnden Anfangsverdachtes
    (dies ist ein weiterer Unterfall des § 170 II StPO; dazu leider nicht differenzierend die FAQ vom LKA NW, Seite 9), Folge: Eine erneute ED-Behandlung dürfte nicht erfolgen, der Tatvorwurf/die Beschuldigteneigenschaft bestand quasi nicht, auch die ursprünglich angelegten ED-Unterlagen wären zu vernichten.
    Praxishinweis:
      In solchen Fällen der späteren, erneuten ED-Behandlung müsste folglich die Polizei das Urteil in dem Verfahren, in welchem die erste (ggf. einzige) EDMaßnahme erfolgte, ermitteln und dann entscheiden. Das ist leider nicht praxisnah, aber gesetzlich so vorgesehen. Der Restverdacht kann quasi bis zur Verjährung der Anlasstat andauern, ob man aber z. B. Jahre später (ggf. ohne neue Anlasstat) noch eine – und das ist zwingend – Wiederholungsprognose begründen kann, dürfte eher die Ausnahme sein. (so auch Anmerkungen zum Urteil des OVG Münsters vom 21.02.08 11LB 417/07 =Becks RS 2008, 33664 in NJW Spezial S. 314)
  • Wäre die äußerliche Veränderung noch während des laufendes Verfahrens/vor einem Urteil eingetreten, käme je nach Status § 14 PolG/NW (jedoch eher selten) oder § 81b 2 StPO in Betracht.

Noch zur Anlasstat und Beweislage ein Formulierungshinweis: Nicht nur formulieren: „Sie haben eine gefährliche Körperverletzung begangen“ Sondern: Sie stehen im Verdacht am… dem X mit dem Fuß ins Gesicht getreten zu haben und ihm dabei eine massive Schädelprellung zugefügt zu haben, die einen 3-tägigen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich machte. Sie wurden dabei von zwei Zeugen beobachtet…oder… sie wurden auf frischer Tat unmittelbar am Tatort durch die Polizei festgenommen. (ggf. mit polizeilichem und/oder staatsanwaltschaftlichem Aktenzeichen)

Wiederholungsprognose?

Für beide Rechtsvorschriften gilt: Wegen der (deliktsbezogenen) Art und (täterbezogenen) Ausführung der Tat muss die Gefahr der Wiederholung gegeben sein. Bei der Prüfung ist die Persönlichkeit des Betroffenen, insbesondere sein kriminelles Vorleben, einzubeziehen.
Zu fragen ist also: Ist es nach kriminalistischer/kriminologischer Prognose wahrscheinlich6, dass die Person in absehbarer Zukunft erneut Beschuldigter bzw. Verdächtiger im Strafverfahren sein wird, bei dem er dann mit dem heute erhobenen ED-Material überführt/entlastet werden kann?
Bei einer (Zukunfts-) Prognose ist selbstverständlich auch vergangenes Verhalten zu berücksichtigen, was die Wiederholungswahrscheinlichkeit untermauern kann. Zu berücksichtigen hierbei sind insbesondere:

  • die Art und Begehungsweise bzw. Schwere der Tat (Triebtat, Bandendelikt, Gewerbsmäßigkeit, Beschaffungskriminalität)
  • frühere Taten bzw. Wirkung von Resozialisierungsmaßnahmen
  • die Wirkung des aktuellen Strafverfahrens auf die Person (Reue, Einsicht)
  • Persönlichkeitsstruktur und das soziale Umfeld
  • Kriminologische Erkenntnisse über die Rückfallquote in diesem Deliktsbereich
  • Zeitabstände zwischen den Taten

Die Wiederholungsgefahr muss nicht für die gleichen, wohl aber für strukturell vergleichbar schwere Taten bestehen7. Was sind nun „strukturell vergleichbar schwere Taten“? Die Beantwortung dieser Frage macht in der polizeilichen Praxis immer wieder Schwierigkeiten. Gerichtsurteile dazu sind wenige ergangen bzw. die vorhandene neue Rechtssprechung umgeht das Problem oft, indem sie nur auf das Gewicht der einen Anlasstat abhebt und anlässlich dieses einzelnen Deliktes (und weiterer o. g. Aspekte) eine Prognose für ein identisches zukünftiges Delikt begründet. Der Diskussion um zurückliegende Taten und deren Vergleichbarkeit wird somit „aus dem Wege gegangen“.

Eine Lösung könnte sein, dass man die Prognose im Kontext zu anderen StPO-Vorschriften definiert:

  • So besagt die Prognose im § 112a StPO, dass es sich um Taten „gleicher Art“ handeln muss: Def.: „wenn das bisherige und künftig zu befürchtende Verhalten im Erscheinungsbild übereinstimmt; eine völlige Übereinstimmung ist nicht verlangt, es genügt eine rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit; das vergangene und das zukünftige Verhalten müssen aber insgesamt als eine in sich gleichartige Serie erscheinen. In der Regel ist dies bei den im Gesetzestext genannten Gruppen (getrennt durch Komma und das Wort „nach“) der Fall. Bis 1994 bedurfte es auch noch einer einschlägigen Vorstrafe. Diese Voraussetzung ist entfallen, wird jedoch in der Praxis nach wie vor häufig ein wichtiger Entscheidungsaspekt für die Wiederholungsgefahr sein.
    Eine Übertragung dieser sehr restriktiven Auslegung auf den Prognosebegriff der ED-Behandlung entspricht m.E. nicht dem Sinn und Zweck der ED-Maßnahme. So wäre die gefährliche oder schwere Körperverletzung dann eben nicht mit einem Raub „vergleichbar“.

Fortsetzung folgt

Anmerkungen


Aufsatz von Christoph Keller in Kriminalistik 3/2004 und Urteil des BVerwG v. 23.11.05 – 6 C 2.05, sowie Aufsatz von Ch. Katzidis in die Kriminalpolizei 01/2012. – Auf den im Zuge der DNA-Gesetzgebung in 2000 und der vorsorgenden Telekommunikationsüberwachung in 2005 erneut aufgeflammten, eher dogmatischen Streit, ob § 81b 2 StPO eher präventiven oder doch überwiegend repressiven Charakter hat, soll hier nicht eingegangen werden, allerdings hat bzw. hätte die Entscheidung – was die Anordnungskompetenz, Rechtsweg und die Vorschriften hinsichtlich der zwangsweisen Vorführung angeht – wesentliche Auswirkungen.
Zielrichtung ist also primär die (verbesserte) Aufklärungsmöglichkeit von zukünftigen oder auch – z. B. per parallel durchgeführtem AFIS-Abgleich- von zurückliegenden Taten und eben nicht – wie weit verbreitet – die Abschreckung, neue Taten zu begehen (wenngleich dies ein sinnvoller Nebeneffekt ist).
Def.: ... ist der Verdächtige, gegen den gesteigerte d. h. über die Begründung der Verdächtigeneigenschaft hinausgehende, weitere Verdachtsindizien vorliegen. Erst bei dieser erhöhten Stärke des Tatverdachts gehen die Strafverfolgungsbehörden nach pflichtgemäßen Ermessen dazu über, gegen den Verdächtigen das Verfahren als Beschuldigten zu betreiben (BGH 1. Strafsenat, 30.01.01, 1 StR 454/00). Die Person in einer Strafanzeige könnte deshalb zunächst „nur“ Verdächtiger sein, Ermittlungsmaßnahmen wie IDF nach § 163b StPO oder Durchsuchung nach § 102 StPO sind trotzdem zulässig. Insofern folgt o. g. Urteil zu Recht nicht der Meinung einiger weniger Buchautoren, die mit Anzeigenerstattung den Besch.-Status als gegeben sehen. Eine extrem erweiternde – aktuellste – Def. des Beschuldigten urteilte der BGH, 1. Senat, v. 3.7.07 Str.3/07: liegt keine erhöhte Verdachtslage vor, ergibt sich der Verfolgungswille jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung, so ist der Besch.-Status schon erreicht; oder auch dann, wenn eine Durchsuchung – nur – dazu dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu finden) !!! Artkämper in Kriminalistik 8-9/07
§ 14 1 S. 2 fordert: … das zur vorbeugenden… von Straftaten… und eine „Tat, die mit Strafe bedroht ist“; Straftat ist hier nicht dogmatisch zu verstehen: also eine rechtswidrige Tat ist ausreichend, sie ist auch i. S. v. „einer mit Strafe bedrohten Handlung/Unterlassung“ zu definieren
So z. B. Urteil des VG Köln vom 16.08.07, 20K1674/06;. nach Meyer/Goßner und den FAQ NW (Seite 10) soll in diesem Zusammenhang die ED- Behandlung sogar bei FREISPRUCH und sogar nach § 81b 2 StPO möglich sein, a. M allerdings das BVerwG 2,202=NJW 56,235 sowie BVerwG NJW83,772,773; NJW 1338/1339 und Tegtmeyer/Vahle !!!
Das Wort „Wahrscheinlichkeit“ wurde durch die Rechtssprechung bei Begründung eines Verdachtes oder einer Gefahr verwandt, z. B. bedeute hohe Wahrscheinlichkeit, dass „(zumindest) etwas mehr dafür als dagegen spricht“; mithin immer dann, wenn in der StPO das Wort „dringend“ gebraucht wird: wie bei der Führerscheinbeschlagnahme oder bei dringendem Tatverdacht oder bei den Haftgründen. Niedriger einzustufen als der Verdacht ist die VERMUTUNG, die die Rechtsprechung bei der Erfolgs-Vermutung im § 102 StPO verlangt, man verwendet zur Umschreibung auch das Wort „MÖGLICHKEIT“. Zur Begründung reicht hier z. B. die kriminalpolizeiliche Erfahrung. Ergo bitte bei der Prognose nicht die Formulierung „es kann nicht ausgeschlossen werden“ oder „es ist zu vermuten“ verwenden. Richtig ist: „Aufgrund folgender Tatsachen ist es wahrscheinlich, dass…“. Allein die kriminalpolizeiliche. Erfahrung oder ein anonymer Hinweis würden nicht ausreichen. Je mehr Tatsachen zusammenkommen, desto höher ist die Wiederholungsprognose bzw. die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung.So im Ergebnis in ständiger Rechtsprechung auch das BVerwG 66, 192, 199, sowie OVG NS v. 24.10.07 11ME309/07 und VGH Baden-Württemberg v. 18.12.03. Beachte: nicht erforderlich ist die „hohe“ Wahrscheinlichkeit der Tatwiederholung wie sie z.B. in §?112a StPO gefordert wird.

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