Rechtssprechung

Die erkennungsdienstliche Behandlung - Teil 3

zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. zum Zwecke des Erkennungsdienstes nach den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 10 PolG NW bzw. 81b 2 StPO – Fortsetzung



Zwang
Verwaltungsakte nach §§ 10, 14 PolG/NW oder auch 81 b 2 StPO können nach § 50 Abs. 1 PolG/NW mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn
sie unanfechtbar geworden sind, d.h. nach Bekanntgabe eines Verwaltungsakts (mit Belehrung) ein Monat vergangen ist, ohne dass der Betroffene die Möglichkeit der Anfechtungsklage nutzt oder
sie keine aufschiebende Wirkung haben, d.h. u.a. (der für unser Thema relevante) § 80 Abs. 2 Nr. 2 oder 4 VwGO greift16

Als Zwangsmittel
zur Durchsetzung der (in der Regel schriftlichen) Vorladung kommen das Zwangsgeld (§ 53 PolG/NW) oder die zwangsweise Vorführung (als besondere, gesonderte Form des unmittelbaren Zwanges) in Betracht17.
zur Durchsetzung der Anordnung der ED-Behandlung kommt in aller Regel nur unmittelbarer Zwang, § 55 PolG/NW , in Frage18.

Unmittelbarer Zwang
Dieser kann nur angewandt werden, wenn andere Zwangsmittel nicht in Frage kommen, keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind.
Zwangsmittel sind grds. zunächst anzudrohen (§ 56 PolG/NW) und mit der Androhung ist dem Betroffenen, wenn eine Handlung erzwungen werden soll (z.B. bei einer Vorladung), eine angemessene Frist zur Erfüllung der Verpflichtung zu nennen. Die Androhung ist förmlich zuzustellen, d.h. per Postzustellungsurkunde oder gegen Empfangsbekenntnis durch die Behörde. Die Androhung eines Zwangsmittels soll mit der Verfügung (z.B. einer Vorladung) verbunden werden, wenn Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben. Hat der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung, so kann die Androhung mit der schriftlichen Verfügung verbunden werden. In diesem Fall darf jedoch die Frist zur Erfüllung der Verpflichtung (der Zeitraum bis zu dem Termin an dem die Person auf der Wache zu erscheinen hat) die Rechtsbehelfsfrist (einen Monat) nicht unterschreiten.

Zwangsgeld
Dieses ist in bestimmter Höhe anzudrohen (mindestens fünf und höchstens zweitausendfünfhundert Euro). Über die Höhe des Zwangsgeldes entscheidet der Sachbearbeiter (nach evt. Vorgaben der Behörde) im Einzelfall, jedoch erscheint mir bei der Vorladung zur ED-Behandlung ein Betrag von ungefähr 200 bis 400 € (in Abhängigkeit vom Delikt, der Wiederholungsprognose etc.) angemessen.
Der nächste Schritt im Zwangsgeldverfahren ist die schriftliche Festsetzung des Zwangsgeldes unter Einräumung einer Zahlungsfrist. Abschließend gibt es die Möglichkeit der Ersatzzwangshaft (§ 54 PolG/NW), welche angeordnet werden kann, wenn das Zwangsgeld uneinbringlich ist. Auf diese Möglichkeit sollte bereits bei der Androhung im Vorladungsvordruck hingewiesen werden. Im Übrigen kann das Zwangsgeld, da es Beugemittel ist und keine „Strafe“, nach Festsetzung nicht mehr beigetrieben werden, wenn z.B. im Rahmen der späteren zwangsweisen Vorführung unmittelbarer Zwang zur Anwendung kommt oder auch der Verwaltungsakt sich bereits erledigt hat (§ 53 Abs. 3 S. 2 PolG/NW). Anders sieht es der Gesetzgeber, wenn einer Duldungs- oder Unterlassungspflicht (wie z.B. bei häuslicher Gewalt und einem Verstoß gegen das Rückkehrverbot) zuwider gehandelt wurde. Entscheidend ist hier, ob der Betroffene der Verpflichtung nachgekommen ist oder nicht (§ 53 Abs. 3 S. 3 PolG/NW) 19.
Nach der Androhung und Festsetzung eines Zwangsgelds wird der Vorgang an eine interne Verwaltungsstelle übersandt. Von dort wird das Zwangsgeld grds. beigetrieben und ggf. die Ersatzzwangshaft angeregt. 
Aber: Der praktische Anwendungsbereich des Zwangsgeldes bei der polizeilichen Gefahrenabwehr ist grds. relativ gering, weil die Polizei ganz überwiegend akute Gefahrensituationen beseitigen muss. Das Zwangsgeld ist das typische Zwangsmittel zur Durchsetzung von Verwaltungsakten der allgemeinen Verwaltung (z.B. Bauaufsicht) oder bei dem polizeilichen Aufenthaltsverbot nach § 34 Abs. 2 PolG/NW, aber eben auch bei einer Vorladung zur ED-Behandlung nach § 10 PolG/NW20. Bezogen auf die Vorladung aber meiner Auslegung nach nur dann, wenn die Polizei nicht die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO21 angeordnet hat. Denn nach der zunächst mit der ersten Vorladung versehenen Zwangsgeldandrohung muss bei Nichterscheinen (oder Anfechtungsklage) die Person erneut vorgeladen werden; das Zwangsgeld kann gleichzeitig festgesetzt und parallel dazu unmittelbarer Zwang angedroht werden. Dieser durch eine erforderlich gewordene zweite Vorladung geschaffene – ausgedehnte – Zeitkorridor würde in vielen Fällen die Begründung der sofortigen Vollziehung kontakarieren. Es dürften aber dennoch Fälle denkbar sein, bei denen der Sachbearbeiter die zeitliche Dringlichkeit trotz der Begründung der sofortigen Vollziehung als nicht so hoch würdigt. Insofern gibt es kein „entweder – oder“, sondern auch bei der Frage nach dem „OB“ des Zwangsmitteleinsatzes kommt es immer auf den Einzelfall an.


Vorführung
Als Zwangsmittel zur Durchsetzung der Vorladung erwähnt § 10 Abs.3 PolG/NW das Zwangsgeld und noch die so genannte (zwangsweise) Vorführung.
In diesem Zusammenhang stellen sich drei Problemfelder:
Was bedeutet eine Vorführung inhaltlich? Eine Begriffsdefinition enthält das PolG/NW nicht. Ist sie ein Zwangsmittel? Gilt dann für andere Zwangsmittel auch der Richtervorbehalt?
Die Vorführung nach PolG ist zudem unter den Vorbehalt eines Richters gestellt. Warum?
Gilt § 10 Abs. 3 PolG/NW auch für § 81 b 2 StPO?

zu a)
Es ist zunächst strittig, ob die Vorführung ein Unterfall des unmittelbaren Zwanges ist, auf den die Formulierung im Gesetzestext „zwangsweise Vorführung“ hinweist22 oder ob sie ein selbständiges „Zwangsmittel“ ist in Form einer Maßnahme, nunmehr zur Durchsetzung der Vorladung (also der Anordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu erscheinen) die Person von Punkt A nach Punkt B, sprich zum ED-Vorladungs-/Behandlungsort, zu verbringen. Würde die Person sich der Anordnung, sich verbringen, also vorführen zu lassen, beugen, wäre die Maßnahme selbst eben kein unmittelbarer Zwang, sondern konsequenterweise eine eigenständige „Durchführungsmaßnahme“, quasi ein viertes Zwangsmittel (das jedoch mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden kann). Darauf verweisen auch Teile der Literatur und auch nach meiner Interpretation die Verwaltungsvorschrift 10.3 des § 10 PolG NW23: „Soweit zur Durchsetzung der Vorführung (zusätzlich) unmittelbarer Zwang angewendet werden soll, ist (und nur dann) eine richterliche Entscheidung erforderlich“. So wird auch im Kommentar Tegtmeyer/Vahle in der Randnummer 13 (Seite 110) die Vorführung als eigenständiges Zwangsmittel neben dem unmittelbarem Zwang genannt. Allerdings wird in der VV 10.3 verkannt, dass zur Anwendung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung der Vorführung selber eben kein Richtervorbehalt vorgegeben ist!
Die Vorführung in diesem Zusammenhang ist demzufolge das Verbringen (zunächst ohne Anwendung unmittelbaren Zwanges) einer Person zum ED-Behandlungsort, einer Person also, die sich nicht schon im Gewahrsam der Polizei befindet, also z.B. vorgeladen oder auf der Straße angetroffen wurde.
Würde man unterstellen, dass eine Vorführung eine Form des unmittelbaren Zwanges ist, ergäbe sich konsequenter Weise die Frage, ob auch ein Richtervorbehalt besteht, wenn ich zur Durchführung der ED-Maßnahme selber unmittelbaren Zwang anwenden muss. Diese Frage diskutierte auch CHEMNITZ (siehe Fußnote 26) bejahend mit dem Hinweis auf das Urteil des OVG Münster (Fußnote 32). Jedoch führte er zusammenfassend aus, dass dieser Richtervorbehalt unter Hinweis auf ein Urteil des BayOlG24 erfahrungsgemäß abgelehnt wird.
Nach meiner Auffassung verkennen Chemnitz und (teilweise auch) Tegtmeyer/Vahle dass die Vorführung „nur“ in das Recht auf die Bewegungsfreiheit eingreift und der Gesetzgeber dennoch diese Freiheitsbeschränkung wie eine Freiheitsentziehung einstuft und unter richterlichen Vorbehalt, aber nur bei Anwendung des § 14 PolG/NW, gestellt hat. Wende ich zur Durchsetzung der Vorführung im Sinne der o.g. Definition oder bei der ED-Behandlung selber unmittelbaren Zwang an, greife ich in ein anderes Grundrecht ein, dass der Gesetzgeber im PolG/NW durch Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des § 55 PolG und in der StPO beispielsweise durch § 81 b 2 inzident zulässt und hierbei eben keinen Richtervorbehalt vorgesehen hat. 

zu b)
Bei Anwendung des § 10 Abs. 3 PolG/NW ist (nur) die Vorführung – obwohl sie nur freiheitsbeschränkenden Charakter hat – wie gesagt – im Sinne eines effektiveren Grundrechtsschutzes durch den Landesgesetzgeber zulässigerweise unter Richtervorbehalt gestellt. Sie ist somit als Freiheitsentziehung anzusehen, die § 36–38 PolG7NW gelten deshalb entsprechend.
Die Ausnahmeregelung „ Gefahr im Verzuge“ im § 10 (3) PolG/NW dürfte bei ED-Behandlungen nur in Ausnahmefällen zutreffen25. 

zu c)
Die Ermächtigungen für eine Vorführung und auch den ggf. zu ihrer Durchsetzung anzuwendenden unmittelbaren Zwang ergeben sich bei Anwendung des § 81 b 2 StPO aus der Vorschrift selbst und unterliegen somit nicht einem Richtervorbehalt26. Die Formvorschriften bei einer zusätzlich Anwendung von Zwangsmitteln aus den §§ 56–66 PolG/NW gelten allerdings auch hier.
Schließt man sich der o.g. Auffassung an, steht fest, dass bei einer Vorführung (nur) nach § 14 PolG/NW ein Richtervorbehalt besteht. (Die FAQ NW Seite 15–16 lesen sich so, dass der Richtervorbehalt bei der Vorführung auch für die § 81b 2 StPO-Fälle gilt)

Durchführung im Einzelfall

Verfahren bei auf der Polizeidienststelle anwesenden Verdächtigen/Beschuldigten
Befindet sich die Person bereits auf einer Polizeidienststelle (z.B. aus Anlass einer Festnahme oder verantwortlichen Vernehmung), so ist sie zunächst schriftlich über die beabsichtigten Maßnahmen und deren Begründung zu unterrichten und über ihr Recht auf Anfechtungsklage zu belehren. Und wichtig: Jede einzelne ED-Maßnahme ist ihr bekannt zu geben und zu begründen! Die Person ist aber zunächst auf ihr Anhörungsrecht bezüglich der beabsichtigten Anordnung zur ED-Behandlung nach § 28 VwVfG27 schriftlich hinzuweisen28 und auch – falls erforderlich – noch zuvor zur Verifizierung der Beschuldigteneigenschaft zu vernehmen/anzuhören!
Unser Gegenüber ist in jedem Fall (auch bei Anwendung des § 81b 2 StPO) darüber zu belehren, dass er jederzeit die Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen verlangen kann; die Vernichtung erfolgt, wenn die Voraussetzungen für ihre weitere Aufbewahrung entfallen sind (§ 14 Abs. 3 PolG/NW).
Kann die sofortige Vollziehung der ED-Behandlung nicht begründet werden und will die Person Anfechtungsklage einreichen, ist auf die Maßnahme zunächst zu verzichten. Das weitere (Verwaltungsstreit-) Verfahren wird durch den Datenschutzbeauftragten oder anderen Behördenbeauftragten betrieben. Dann ist (vorsorglich) eine Vorladung auszuhändigen, denn die Person könnte es sich anders überlegen. Sie hat dann zu dem Termin zu erscheinen oder den Nachweis über die eingereichte Klage zu erbringen.
Ist die Anordnung der ED-Behandlung sofort vollziehbar bzw. ist die Vollziehungsanordnung zulässig, wird wie folgt verfahren:
sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
Kann die zeitliche Dringlichkeit auf die Nr. 2 gestützt werden, erfolgt die (zwangsweise) Durchsetzung der Anordnung der ED-Behandlung. 
Aus Gründen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses sollte man auch bei einem Eilfall nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Begründung – nachträglich – schriftlich niederlegen.
sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
Will die Person Anfechtungsklage einreichen, so wird – wenn möglich – die sofortige Vollziehung nach Nr. 4 angeordnet. Dies ist gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich zu begründen.