Das Bundeskriminalamt

– ein Partner in der föderalen Struktur der deutschen Polizei

Von Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes


Um die Kriminalitätsbekämpfung auf nationaler und internationaler Ebene zu koordinieren, wurde das BKA als Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen und für die Kriminalpolizei 1951 gegründet. Die Hauptaufgabe des BKA war in den ersten Jahren seines Bestehens vor allem, Informationen zu überregional agierenden Straftätern an einer Stelle zusammenzuführen und auszuwerten sowie den „zur Durchführung der Bekämpfung internationaler gemeiner Verbrecher notwendigen Dienstverkehr mit ausländischen Polizei- und Justizbehörden1 wahrzunehmen. Historisch fungierte das BKA zunächst also vor allem gewissermaßen als „Poststelle“.


Eine der ersten großen Herausforderungen für die noch junge Bundesrepublik war die 1970 gegründete linksterroristische Rote Armee Fraktion (RAF). Mit der Übertragung des Baader/Meinhof-Verfahrens-Komplexes im Jahr 1975 an das BKA fiel der Terrorismus in den Zuständigkeitsbereich des BKA, was sich im selben Jahr in der Gründung der neuen Abteilung Terrorismus (TE) mit 233 Mitarbeitern (in Bonn-Bad Godesberg) niederschlug. Die Zahl der im BKA Beschäftigten wuchs zwischen 1970 und 1980 von 1.200 auf 3.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Mit den in den 1960er/1970er Jahren neu aufgekommenen Kriminalitätsfeldern (Waffenhandel, Falschgeldkriminalität, Rauschgiftdelikte, Terrorismus) gingen neue kriminelle Organisationsstrukturen einher, die als ernsthafte Gefährdungen des staatlichen Herrschaftsanspruchs interpretiert wurden. In dieser Zeit etablierte sich das BKA als die polizeiliche Institution, der bei der Eindämmung von Straftaten, die sich gegen den Kernbestand der demokratischen Ordnung richteten, die Leitung zukam.

Binnenorganisatorisch kam in den 1980er Jahren der Elektronischen Datenverarbeitung (EDV) im BKA eine zunehmend zentrale Rolle zu – eine Entwicklung, die insbesondere vom damaligen Präsidenten Dr. Horst Herold vorangetrieben wurde. Eine wesentliche Neuerung aufgrund der nun möglichen technischen Datenverarbeitung war die Einführung der Rasterfahndung. Die erste erfolgreich durchgeführte „negative Rasterfahndung“ im Jahr 1979 führte zur Festnahme des gesuchten Terroristen Heißler.

Gleichzeitig gewann die Rauschgiftkriminalität erheblich an Bedeutung in Deutschland: Von rund 900 Fällen im Jahr 1960 stiegen die Fallzahlen innerhalb von 15 Jahren auf knapp 30.000 Fälle im Jahr 1975 an. Zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit Anbau- und Transitstaaten von Drogen entsandte das BKA im Jahr 1983 seinen ersten Verbindungsbeamten an die deutsche Auslandsvertretung in Bangkok/Thailand.

Dies war der Beginn dessen, was wir heute als Vorverlagerungsstrategie bezeichnen.

Die stark abgeschottet und arbeitsteilig agierenden Milieus der OK stellten in den 1980er Jahren für die Ermittlungsbehörden ganz neue Herausforderungen dar. Es mussten neue kriminalistische Herangehensweisen und Methoden zur Bekämpfung entwickelt und bestehende Instrumente, etwa die verdeckten Ermittlungsmethoden, weiter professionalisiert werden, um an die Hintermänner dieser neuen Form von Kriminalität zu gelangen.

Das BKA in seiner heutigen Ausrichtung ist national wie international eng mit globalen Entwicklungsprozessen verbunden. So wie die Internationalisierung aller Bereiche unserer Gesellschaft und damit auch der Kriminalität voranschreitet, erfordert sie neue, angepasste und vorausschauende Strategien und Partnerschaften. Dabei reicht der Blick auf Europa angesichts weltweiter Kriminalitätsphänomene nicht mehr aus.

Die Anschläge vom 11. September 2001 bildeten auch für das BKA eine Zäsur hinsichtlich seines organisatorischen Aufbaus sowie für seine relevanten Rechtsgrundlagen zur Strafverfolgung. Interne Strukturen mussten verändert, neue – heute bewährte – Kooperationsformen wie das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) eingerichtet werden.

Standen in den vergangenen Jahrzehnten die Phänomene Linksterrorismus, OK und internationaler religiös motivierter Terrorismus im Fokus des Aufgabenspektrums des BKA, so rückt in jüngster Zeit zunehmend das Phänomen Cybercrime in den Mittelpunkt – eine Entwicklung, die sich aller Vo-
raussicht nach in Zukunft noch verstärken wird. Cybercrime ist die Kriminalitätsform der Zukunft und wird nicht nur das Bundeskriminalamt, sondern auch die Polizeibehörden in den Bundesländern immer stärker fordern.

Fraglos hat das Internet mittlerweile in nahezu allen Bereichen eine nicht mehr wegzudenkende positive Rolle eingenommen: Schnelle Kommunikation, unbegrenzte Informationen und die Steuerung von Wirtschafts- und Finanzprozessen. Diese Entwicklung bringt aber auch neue Tatgelegenheiten für Straftäter mit sich: Phishing, Ransomware, Botnetze, Denial of Service-Attacken, Malware oder Stuxnet sind Gefahren für die Sicherheit weltweit. Die Tatbegehungsweisen der „realen Welt“ finden zunehmend ihre Entsprechung in der „virtuellen Welt“. Cybercrime birgt, insbesondere bei gewerbs- oder bandenmäßiger Begehungsweise, erhebliches Gefahrenpotential sowohl für jeden einzelnen Bürger, für die Wirtschaft sowie den Staat und seine Einrichtungen. Die Gefahren und Schäden werden aufgrund der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zukünftig noch weiter zunehmen. Die Polizei muss auf der Höhe der Zeit bleiben und adäquat agieren können, will sie den Staatsaufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nachkommen. Cybercrime ist eine enorme organisatorische und rechtliche Herausforderung für die Polizei. Sie muss sich angesichts dieser Herausforderungen sowohl im Zusammenhang mit der Strafverfolgung als auch der Präventionsarbeit neu orientieren. Das BKA hat seine Kapazitäten u. a. durch die Einrichtung einer mit der Bekämpfung dieses Phänomens befassten Gruppe in der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität (SO) deutlich gestärkt, Europol hat jüngst ein neues Zentrum zur Bekämpfung von Cybercrime eingerichtet und auch Interpol wird in Singapur 2014 einen neuen Standort mit Schwerpunkt Cybercrime eröffnen.

Fazit: Das Strafrecht wird zunehmend durch die technischen Entwicklungen an seine funktionalen und territorialen Grenzen geführt. Die klassischen Methoden der Kriminalitätsbekämpfung funktionieren im virtuellen Zeitalter nur noch bedingt. Die Ungleichzeitigkeit von Technik und rechtlicher Fortentwicklung ist die Herausforderung für die Politik im 21. Jahrhundert.

Fast 70 Jahre nach Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur mussten wir im November 2011 mit großem Entsetzen feststellen, dass eine rechtsterroristische Zelle namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ über ein Jahrzehnt lang in Deutschland schwerste Straftaten beging – unentdeckt von den Sicherheitsbehörden. Aus dem Untergrund heraus töteten Mitglieder dieser Gruppierung zehn Menschen, überfielen mindestens 15 Geldinstitute und verübten weitere Anschläge.

Der Generalbundesanwalt hat am 11. November 2011 das BKA mit der Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Mordes und wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung beauftragt, bis zu 400 Mitarbeiter aus Bund und Ländern ermittelten fast ein Jahr lang. Im November 2012 erhob der GBA vor dem OLG München Anklage gegen ein mutmaßliches Mitglied des NSU sowie vier mutmaßliche Unterstützer und Gehilfen.

Die Bilanz über ein Jahr nach Aufdeckung der Terrorzelle: Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und das Funktionieren der Rechtsordnung hat stark gelitten und muss zurück gewonnen werden. Die Kritik an der mangelnden Informationsübermittlung aus dem Vorfeld der Straftaten bzw. deren fehlerhafte Bewertung ist berechtigt.

Dieser Fall macht in dramatischer Weise deutlich, wie wichtig die funktionierende Vernetzung, der Austausch von Informationen unter den Sicherheitsbehörden ist – eine Erkenntnis, die wir bereits im Zusammenhang mit der Bekämpfung des international religiös motivierten Terrorismus ziehen mussten. Die erfolgreiche Kooperation in diesem Bereich belegt auch, dass eine enge Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Wahrung des Trennungsgebotes in der Praxis möglich ist. Die offenbar gewordenen Lücken und damit verbundene Risiken in der Sicherheitsarchitektur, die an den Schnitt- und Nahtstellen von Föderalismus, Trennungsgebot und Datenschutz entstehen, sind bei schwerwiegenden Gefahren und Straftaten zu schließen. Keine deutsche Behörde kann die Bekämpfung von Extremismus oder Terrorismus im Alleingang bewältigen. Dieser Erkenntnis wurde durch die Einrichtung des Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechtsextremismus/-terrorismus (GAR) – nunmehr integriert in das am 15. November 2012 installierte, alle Extremismusfelder bearbeitende Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) –, der Koordinierten Internetauswertung Rechtsextremismus (KIAR) und der Rechtsextremismus-Datei mittlerweile Rechnung getragen.

Die Entwicklung des BKA spiegelt die Veränderung der Gesellschaft im Allgemeinen und der Kriminalität im Besonderen wieder. Dies werden weiterhin die entscheidenden Faktoren für die zukünftigen gesetzlichen Aufträge und die organisatorische Ausgestaltung des Bundeskriminalamtes sein.

Veränderungen im Organisationsaufbau, in den Abläufen sind immer auch eine Herausforderung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Behörde. Die Berufsvertretungen sind häufig Sprachrohr für Anregungen und Kritik und somit unverzichtbarer Bestandteil einer funktionierenden Organisation. Mancher Diskurs wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten auch in der Zeitschrift der GdP geführt und somit für die polizeiinterne Öffentlichkeit nachvollziehbar dokumentiert. Die durch den Abdruck von Kommentaren und Leserbriefen hergestellte Transparenz belebt Diskussionen, erweitert den gemeinsamen Austausch und hat in der Vergangenheit schon oft zu guten Ergebnissen geführt. Bleiben Sie auch in Zukunft rege und kritisch, beteiligen Sie sich an den Debatten der Zukunft für eine erfolgreiche Polizei zum Schutz von Recht und Gerechtigkeit.

Anmerkungen


BKA-Gesetz vom 8. März 1951, § 7.