Kriminalitätsbekämpfung

Geld(un-)wesen

– Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit? –

VI. Thesen ohne Taten


Die Bemühungen zur Eindämmung der Finanz- und Schuldenkrise sind bislang weitgehend erfolglos geblieben. Sie konnten auch nicht nachhaltig wirken, weil das grundlegende Geschäftsmodell unangetastet blieb. Unterdessen verliert Europa den Glauben an sich selbst. Das provoziert die Frage, ob eine Währungsgemeinschaft, in der sich der Zweifel eingenistet hat, überhaupt noch funktionieren kann. Der banale Hinweis darauf, dass Angst der größte Gegner des Vertrauens ist, ersetzt keine Antwort. Geld richtet sich zwar nach wie vor an den Einzelnen und weckt seine Habgier. Mit jedem neuen Gewinn steigt aber auch die Angst, alles zu verlieren. Das Geld kann ihr nur begegnen, wenn alle von seiner Glaubwürdigkeit überzeugt sind. Dazu ist Vertrauen in die Gemeinschaft nötig. Schwindet es, kann jede Währung kaputtgehen. Historisch beruht der Gemeinschaftsglaube immer auf einem Herrscher oder einer Regierung. Heutzutage fehlt es aber an einer derartigen Inkarnation einer Gemeinschaft, in der Glaubwürdigkeit Gestalt annimmt. Mangels einer neuen Leitidee Europas dürfte die soziale Gerechtigkeit der stärkste Kitt einer demokratischen Gemeinschaft und damit die Voraussetzung für Vertrauen und den Glauben an diese Gemeinschaft sein.
Es geht also darum, der Dynamik des Geldes Zügel anzulegen. Nur so könnte Geld zum „Klebstoff“ zwischen Gemeinschaft und Individuum werden. Die Bereicherungssucht ist dagegen der Motor von sozialer und ökonomischer Verwüstung. Man wähnt sich einerseits in einem Vakuum zwischen dem „Nicht-mehr“ des nationalen und dem „Noch-nicht“ des gesamteuropäischen Gedankens. Andererseits werden Marktwirtschaft und Demokratie als „Kinder der Aufklärung“, erkannt, die zeitgleich die Bühne der Geschichte betreten haben. Während der Kapitalismus das einzelne Subjekt mit seinen Profitinteressen in den Mittelpunkt stellt, steht in der Demokratie der Bürger mit seinem Stimmrecht im Zentrum. Beide müssten einander ergänzen. Geld hatte einmal sogar demokratisierende Effekte. Mit der Aufgabe des Goldstandards ist jedoch der Aufstieg des Finanzkapitalismus gekommen, ein „Phänomen ausufernden Geldes“. Die „Akkumulation von Nullen“ löst als ganz neue Erscheinung Beklemmung vor dem Augenblick aus, in dem sich das Geld als genau das offenbaren könnte: eine Anhäufung von Nullen. Geld wäre dann nur noch Zeichen. Sollte dann noch die Erkenntnis hinzutreten, dass auch die Politik insgesamt eine Anhäufung von Nullen ist, wären die Folgen für den sozialen Frieden kaum überschaubar.
Wie auch immer: Es ist nicht leicht, mit dem hohen Grad an Abstraktion fertig zu werden. Dieser Umstand erklärt womöglich auch die „Raserei“ der Börsenhändler und Spekulanten. Die Begierde nährt sich selbst. Das macht auch die enorme emotionale Energie des Geldes aus. Nur Sexualität oder Religion entfesseln ähnliche Leidenschaften. Sie können sich bis zur Gewalt steigern. Es ist gar von einer „Triebstruktur des Geldes“ die Rede. Eine Art der „Entrückung“ ist zu beobachten, ausgelöst durch die „irrsinnige Manipulation leerer Zeichen“. Sie wirkt gerade für den, der tagtäglich mit Geld zu tun hat, beängstigend.
Trotz aller Abstraktionen geht es doch nur um eher schlichte Weisheiten. Sie sind vielen Menschen gleichwohl nicht zu vermitteln. Dahinter steht womöglich eine besonders wirksame Form der Täuschung: Selbstbetrug. Neuere wissenschaftliche Forschungen der Neuroökonomie kommen zu dem Ergebnis, dass der Umgang mit Geld im Gehirn dasselbe Areal aktiviert, das auch nach dem Genuss von Kokain und Sex stimuliert wird. In allen Fällen, also auch bei Geld, scheint der Verstand mithin auf der Strecke zu bleiben. Selbstbetrug und Abdankung des Verstandes haben kollektive und strukturelle Dimensionen. Sie sind auch deshalb schwer verständlich, weil die meisten Menschen in Europa einen ökonomischen Zusammenbruch noch nie erlebt haben. Deshalb spüren sie lediglich eine abstrakte Angst. Geld ist jedenfalls nicht zu begreifen, wenn man sich nur auf dessen Zweckrationalität einlässt. Es ist eine der wirkungsmächtigsten Versuchungen und Verführungen. Als solche prägt Geld den Stil des Lebens. Leider.
Was tun?
Wir könnten etwa darauf warten, dass die mehr oder minder demokratisch legitimierten Politiker und die vermeintlich oder tatsächlich zuständigen Institutionen die gesellschaftlichen, psychologischen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen dieser Lage erkennen und angemessene Konsequenzen ziehen.
Oder auch nicht. Immer mehr Menschen könnten nämlich das Gefühl haben oder bekommen, dass zumindest die europäischen Spitzenpolitiker den Kontakt zu ihren Wählern verloren haben, dass die Gesellschaft den Parteien und politischen Instanzen weit voraus ist, dass also jene, die uns regieren (bzw. dies vorgeben), irgendwo den Faden verloren haben und Kompetenz seitdem weitgehend simulieren. Bislang hat eine wachsende Zahl von Bürgern das nur geahnt. Journalisten haben es zwar beschrieben, konnten es aber nur selten beweisen.
Die abschließenden 10 Thesen können der Komplexität des Themas auch nicht gerecht werden. Und sie sollen auch nichts beweisen:

  1. Im Anfang ist ein Staatsakt, der Geld als „Geschöpf der Rechtsordnung“ konstituiert; zu Geld wird, was durch ungebundene Autorität zu Geld erklärt wird.
  2. Geld muss rein gar nichts (an „Wert“) beinhalten; Papier-, Kreditkarten- und Buchgeld sind ohne Bürgen völlig wertlos.
  3. Modernes Geld speichert seinen Wert nicht; es repräsentiert und behauptet ihn.
  4. Entscheidend sind nicht die übereinstimmende Auffassung der Marktteilnehmer, sondern die Protektion des Staates und das umfassende Vertrauen der Geldgesellschaft in den Emittenten des „Schein-Geldes“ als Hüter seines inneren Wertes.
  5. Die Zentralbanken stellen den Geschäftsbanken „Als-ob-Geld“ zur Verfügung, die es an ihre Kunden weitergeben; dabei handelt es sich nicht um vorhandenes und verliehenes Geld, das etwa auf irgendeine Art gedeckt ist, sondern um neues und frischgeschöpftes Geld, das als „Geld“ in der Welt ist und gleichzeitig eine Schuld repräsentiert.
  6. Banken sind „Schuldfabriken“ geworden, in denen ständig „Anti-Geld“ produziert wird.
  7. Unbezahlbare Schulden sind ihrerseits kreditfinanziert, so dass es im modernen „Pumpkapitalismus“ keine Lösung für Geldprobleme mehr gibt.
  8. „Innovative Finanzprodukte“ haben das Geld von den Fesseln der Realwirtschaft fast vollständig befreit; sie müssen immer innovativer werden, damit sie das zunehmend labile „perpetuum mobile“ der aneinander geketteten Kreditfiktionen noch ausbalancieren können.
  9. Moderne Kapitalmärkte sagen der Wirtschaft nicht mehr, wo sie 
  10. steht, sondern dienen nur noch der unbegrenzten Geldvermehrung.
  11. Als „papiernes Nichts“ und „binärer Code“ neigt Geld zur totalen Grenzen-, Maß- und Zügellosigkeit und schafft deshalb nicht nur finanztechnische Probleme, sondern letztlich auch sicherheitspolitische Gefahren.

Anmerkungen


Thomas Druyen, Krieg der Scheinheiligkeit, 2012, S. 9.
Andreas Rinke/Christian Schwägerl, 11 drohende Kriege – Künftige Konflikte um Technologien, Rohstoffe, Territorien und Nahrung –, 1. Aufl. 2012, S. 9, 10, 11, 12.
Ausführlich: Frank Schirrmacher, Ego – Das Spiel des Lebens –, 2013.
Insgesamt: Stanislaw Petrow, „Der rote Knopf hat nie funktioniert“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Februar 2013, S. 7.Hans Joachim Maaz, Die narzisstische Gesellschaft – Ein Psychogramm –, 2. Aufl. 2012, S. 212.Insgesamt stützen sich die folgenden Ausführungen auf zahlreiche Vorarbeiten und Veröffentlichungen anderer Autoren. Besonders maßgeblich waren u. a. die Untersuchungen von Ralph Heidenreich/Stefan Heidenreich, Mehr Geld, 2008; Dieter Schnaas, Kleine Kulturgeschichte des Geldes, 2010; Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, 2010. Zur Gesamtproblematik neuerdings auch ausführlich: Wolfgang Hetzer, Finanzkrieg – Angriff auf den sozialen Frieden in Europa –, 2013.