Kriminalitätsbekämpfung

Geld(un-)wesen

– Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit? –

IV. Geld ohne Maß


Die Natur des Geldes sollte jetzt klar geworden sein. Etwas, das nur dadurch existiert, dass alle daran glauben, ist eben nichts weiter als eine Illusion. Allerdings herrscht sie objektiv und übt durch die Köpfe der Menschen hindurch Macht aus. Trotz seines illusionären Charakters ist Geld jedoch nach wie vor ein heiß begehrtes Gut. Auf den Aktien- und Rohstoffbörsen scheint sich dieses Begehren in einer kollektiven Hysterie zu realisieren. Aber diese Art von Verrücktheit, in der Keynes eine „ekelhafte Krankheit“ sah, ist die Normalität des entfesselten Kapitalismus. Zum Teil ist diese Krankheit sogar durch objektive Gründe erklärbar.
Geld hat mehrere Funktionen (Rechnungseinheit, Tausch-, Zahlungs- und Wertaufbewahrungsfunktion). Es ist aber vor allem eine Marktzutrittsschranke, die leicht zu überspringen ist, wenn man genügend davon besitzt, um die geforderten Preise zu bezahlen. Ansonsten grenzt das Eigentum alle Nichtgeldbesitzer aus. Das Eigentumsrecht wird durch staatliche Gewalt geschützt und bildet eine permanente Schranke für den Marktzutritt. Sie hebt sich nur gegen Geld.
Dieses Prinzip ist global und universell. Alle Menschen in einer Geldökonomie sind also zum Streben nach Geld quasi verurteilt. Darin liegt der objektive Grund für das, was in seiner entfalteten Form als „Geldgier“ erscheint und subjektiv reproduziert wird. Insofern muss man anerkennen, dass Geldgier keine angeborene Verwirrung des Geistes oder eine exklusive Eigenschaft krimineller Charaktere ist. Sie ist ein historisch überkommenes Alltagsphänomen, das als reines Streben nach Geld zum Beispiel in Gestalt des Wuchers bekannt ist. Beim Geld ist Maßlosigkeit die Regel. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Erwartung gepflegt wird, dass sich eine Geldsumme verzinsen möge, könnte man als zu einem allgemeinen Vorurteil verwandelte Geldgier bezeichnen. Alle Institutionen der Finanzmärkte, die Banken wie die Börsen, sind deren Verkörperung. Angesichts von Geldknappheit (Niemand kann von Geld jemals genug bekommen) und der universellen Entfaltung des Strebens nach Geldbesitz begegnet sich Geldgier auf den Märkten gewissermaßen selber. Das weltweite und umfassende Streben nach Verzinsung des eingesetzten Geldes macht definitiv vor nichts halt. Ergibt sich ein Vorteil daraus, dass man traditionelle Moralregeln oder die kaufmännische Redlichkeit unterläuft, so werden solche Regeln aufgehoben. Wir stehen letztlich vor einer globalen De-Regulierung der tradierten Moralsysteme. Dies zeigt sich nicht nur an den immer wieder in den Medien präsentierten Fällen von Korruption und Bilanzbetrug.
Deutlich wird das vor allem an einem wachsenden Verlust in der Geltung moralischer Werte. Das organisierte Verbrechen ist auch deshalb die wichtigste Wachstumsbranche. Der osteuropäische Kapitalismus wurde an vorderster Front von früheren, arbeitslos gewordenen Geheimdienstmitarbeitern auf illegalen Märkten in neuen Verbrechersyndikaten aufgebaut.
Zudem ist die Lüge zur wichtigen Gewinnquelle geworden. Ob man durch gezielte Gerüchte Aktienkurse, Rohstoffpreise oder Wechselkurse manipuliert – stets sehr gewinnträchtig für jene, die die Lügen verbreiten –, oder ob man einfach die Öffentlichkeit, die Behörden, die Wirtschaftsprüfer und allen voran die eigene Belegschaft durch falsche bzw. gefälschte Zahlen belügt: stets ist es die abhandengekommene Moral, die sich als Gewinnquelle, als neuer Bewegungsraum der Geldgier erweist. Auch im Westen hat die moralische Indifferenz eine lange und bewährte Tradition. Angesichts der Geisteshaltung vieler Banker sollte das niemanden erstaunen. Es ist eben ausgesprochen profitabel, in der Finanzindustrie zu arbeiten, selbst wenn man weder Erfahrung noch Ausbildung mitbringt. Das Umfeld offeriert einen Lebensstil, der nach viel Geld verlangt, weil nur ein nach außen sichtbarer Erfolg noch mehr Geschäft anzieht und den sozialen Status schafft, nach dem die meisten sich seit ihrer Kindheit gesehnt haben. Diesseits der Moral hat man den Eindruck, dass es sich um eine Welt von Ego und Lust handelt, in der weder Bildung noch Charakter gut bezahlt werden. Dies zu beklagen könnte als der Gipfelpunkt der Naivität erscheinen, wenn Geld (nur) ein Kommando gibt und seine Order nur„Mehr“
lautete. Geld, könnte man in kaum überbietbarer Knappheit sagen, ist „eine Zahl mit Besitzer.“ Der Besitzer von Geld ist der erste, dem dieses Kommando gilt.
Am Anfang scheint Geld nichts anderes zu sein als Zahlen in einer Tabelle. Die Zentralbank schöpft Geld, indem sie einer anderen Bank eine Zahl ins Buch schreibt. Manche sehen von ihr eine „Wasserkette“ ausgehen, von Schulden über Schulden und Kredite auf Kredite bis hinunter zum Konsumenten. Darin liegt in der Tat etwas Neues. Bis vor 30 Jahren hätte der Konsument nie der Letzte in der Kette sein dürfen, der Schuldner der letzten Instanz. Dieser Platz war bis dahin den Investoren vorbehalten gewesen.