Kriminalität

Banker oder Geldräuber

Strafbare Bereicherung oder riskante Geschäftsführung?


Aber es gibt durchaus Methoden der „Schmerzzufügung“. Nach neueren veröffentlichten Zahlen hat alleine die Bank of America bis jetzt mehr als 50 Milliarden Dollar zur „Vergangenheitsbewältigung“ gezahlt. Das Geldhaus JP Morgan hat sich vor kurzem mit den Behörden über die Zahlung einer Summe von 13 Milliarden Dollar verglichen, der bisherige Rekord. Schon jetzt sollen die Banken in den USA insgesamt mehr als 100 Milliarden Dollar für das ausgegeben haben, was sie in den Jahren bis 2008 angerichtet haben. Die Summen werden mit jedem Tag höher und übersteigen alles, was die Aktionäre an Dividende einstreichen konnten. Daraus wird zum Teil etwas voreilig geschlossen, dass der Staat nicht für alles haftet, sondern die Verluste doch privatisiert würden, auch wenn die Banker ihre obszön hohen Boni behalten dürfen oder sie schon längst ausgegeben haben. Die Eigentümer der Banken gelten als die Dummen, wenn sie das Parkett nicht verlassen hatten, als die Musik noch spielte, also zu Zeiten der Höchstkurse im Jahre 2007. Seither sind, von Ausnahmen wie JP Morgan abgesehen, angeblich gut und gerne 60 bis 70 Prozent des angelegten Vermögens „verraucht“, bei den Opfern der deutschen Commerzbank übrigens noch deutlich mehr.
Immerhin ist jetzt der ehemalige Vorstand der Bayerischen Landesbank (BayernLB) dem Vorwurf ausgesetzt, dass er beim Kauf der österreichischen Bank „Hypo Alpe Adria“ im Jahre 2007 zahlreiche Risiken bei diesem Geldinstitut aus dem österreichischen Bundesland Kärnten bewusst ausgeblendet und 550 Millionen Euro zu viel gezahlt habe. Schon damit könnte der Tatbestand der Untreue erfüllt worden sein. Nach zwei weiteren Anschuldigungen haben die Verantwortlichen der Bank später noch einmal 75 Millionen Euro zu viel gezahlt und dadurch möglicherweise eine weitere Veruntreuung begangen. 
Zudem wird dem damaligen Chef der Bank vorgeworfen, er habe, mit einzelnen Kollegen zusammenwirkend, Vertreter Kärntens mit einem Fußball-Sponsoring für den ehemaligen Ministerpräsidenten („Landeshauptmann“) dieses Landes bestochen. 
Die BayernLB musste die Hypo Alpe Adria Ende des Jahres 2009 mit einem Verlust von 3, 7 Milliarden Euro an die Republik Österreich abgeben. Der Freistaat Bayern sah sich genötigt, seine Landesbank im vergangenen Jahrzehnt mit Milliardenbeträgen zu stützen. Dafür müssen die Steuerzahler haften. Insbesondere das in München laufende Verfahren zeigt, vor welch schwierigen Problemen die Justiz bei der Bewältigung der Bankenkrise und einschlägiger großkalibriger Wirtschaftsstraftaten steht. Im Verlauf dieser Krise mussten viele große Institute bekanntlich nach riskanten Deals unterschiedlichster Art vom Staat mit hohen Milliardenbeträgen gerettet werden. 
Ein weiteres Strafverfahren läuft in Hamburg gegen Führungskräfte der HSH Nordbank. Gegen Verantwortliche der SachsenLB und der Landesbank Baden-Württemberg liegen Anklagen vor. Die zentrale Frage lautet in allen Fällen: 

Wo endet die Freiheit unternehmerischen Handelns und wo beginnt kriminelles Unrecht?

II. Risikoübernahme als kriminogener Akt


Ein Bank- oder Versicherungsvorstand, der nicht sicherstellt, dass sein Unternehmen über bestimmte Strategien, Prozesse, Verfahren, Funktionen oder Konzepte zum Risikomanagement verfügt und dadurch – etwa bei Kreditinstituten – eine Bestandsgefährdung des Instituts oder der Gruppe, bzw. bei Versicherungsunternehmen die Erfüllung der jeweiligen Verträge gefährdet, riskiert in Deutschland seit kurzer Zeit eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Bislang waren Pflichtverletzungen im Risikomanagement, durch die nicht nur die Stabilität des einzelnen Instituts, sondern des Finanzsystems als Ganzes auf dem Spiel steht, nicht sanktionierbar. 
Der im Februar 2013 von der Bundesregierung eingebrachte und im Laufe dieses Jahres in Kraft getretene „Entwurf eines Gesetzes zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen“ (BT-Drs. 17/12601) – Trennbankengesetz – hat sich die Sicherung der Stabilität des Finanzsystems und die Vermeidung von Nachteilen für die Gesamtwirtschaft zum Ziel gesetzt. Die Begründung für diese neuartige Pönalisierungsmöglichkeit stützt sich auf den besonderen Unwertgehalt, der in der Verursachung der Unternehmenskrise und der damit einhergehenden Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems liege.
Man könnte diese Vorstandsstrafbarkeit auf den ersten Blick für eine rechtspolitische Zweckverfehlung halten, weil die Strafvorschriften entgegen dem Regelungsziel alle Vorstandsmitglieder sämtlicher Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen – diejenigen systemrelevanter Großbanken ebenso wie die von Sparkassen auf einer Hallig oder von kleinen Hagelversicherern – erfassen. 
Unabhängig von der Unternehmensgröße mutet auch die Gleichstellung von Versicherungsunternehmen mit Banken als überschießend an. Die Systemrelevanz von Versicherungsunternehmen ist zudem ungeklärt. Sie zählen jedenfalls nicht zu den Auslösern der Finanzkrise. Deren Wiederholung soll mit der „Kriminalisierung“ von Bank- und Versicherungsvorständen immerhin verhindert werden. Hier und da hat sich schon die Befürchtung breitgemacht, dass der Gesetzgeber dem „Sirenengesang“ einer scheinbar einfachen strafrechtlichen Vorbeugung und Bewältigung von Finanzkrisen erliegen könnte. 
Manche halten es für richtig, dass eine Kriminalisierung der Beteiligten bei Kartellabsprachen mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Schäden im Bundeskartellamt und in der Politik auf Ablehnung stößt. Neben der angeblich rechtspolitischen Zweckverfehlung wird auf deutlichere Grenzen für die Gesetzgebung hingewiesen, die sich zunächst aus einer „Vorwirkung“ des neuen europäischen Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts ergeben mag. Sie spricht zwar nicht gegen strafrechtliche Normen, aber gegen die in dem genannten Regierungsentwurf gewählten Anknüpfungspunkte. Mit der darin enthaltenen Fixierung auf das Risikomanagement und die Bestandsgefährdung wird die Strafbarkeit in der Tat weit nach vorne verlagert. Dies könnte zu einer Umwertung der Leitungsaufgabe des Vorstands nach nationalem Recht im Verhältnis zu den andersartigen Vorgaben des europäischen Rechts führen.  
Die neuen Vorschriften haben auch Zweifel daran geweckt, ob sie den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügen. Es handelt sich übrigens um bloße Gefährdungstatbestände, das geschützte Rechtsgut „Finanzsystem“ muss also nicht konkret geschädigt, sondern nur abstrakt gefährdet sein. Sie werden womöglich das Thema des „politischen Wirtschaftsstrafrechts“, das vom bisherigen Strafrecht erheblich abweicht, auf die Tagesordnung bringen. Nicht nur aus der Sicht der Politik waren die herkömmlichen Strafnormen bei der Bewältigung der Finanzkrise nicht hilfreich. Nun versucht sie, die Grenzen der Strafbarkeit immer weiter nach vorne zu verlagern, wie etwa auch schon in den Vorschlägen der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister im November 2011 zur strafrechtlichen Sanktionierung der aktienrechtlichen Sorgfaltspflichtverletzung deutlich geworden ist, die sogar die Vorstandsmitglieder aller Aktiengesellschaften betroffen hätte.
Die Erfüllbarkeit der angesonnen Aufgaben durch Strafrecht und dessen Eignung als Ersatz für eine schlagkräftige Bank- und Versicherungsaufsicht stößt auf grundsätzliche Skepsis. Die Finanzkrise hat die Grenzen eines individualisierten Verantwortungsstrafrechts im Verhältnis zum geschädigten kollektiven Gut der Finanzmarktstabilität aufgezeigt. Es sind erhebliche Konflikte zwischen der beabsichtigten strafrechtlichen Neuregelung einerseits und dem Gesellschaftsrecht und dem Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht andererseits zu befürchten. Zudem wurde dem Entwurf entgegengehalten, er gehe fälschlicherweise davon aus, dass das europäische Versicherungsaufsichtsrecht bei den neuen Anforderungen zum Risikomanagement keine Rolle spielt. Als nicht haltbar wird auch die Vermischung der Aufgabe der Aufsichtsbehörden mit den gesellschafts- und aufsichtsrechtlich geprägten Leitungsaufgaben der Vorstände bezeichnet, da angeblich das, was bisher gesetzlich als allgemeines Aufsichtsziel formuliert ist, jetzt zum Anknüpfungspunkt und Primärziel des Vorstandshandelns werden soll. Solch eine Verwandlung könnte überflüssig erscheinen, wenn man davon ausginge, dass die Pflichten der Vorstände hinsichtlich der Vermeidung einer Bestandsgefährdung bei Banken oder der Sicherung der dauernden Erfüllbarkeit der Verträge bei Versicherungen schon bisher und erst recht künftig durch zahlreiche und differenzierte Regelungen zu den Eigenmitteln und dem Risikomanagement geregelt sind.
Vor diesem Hintergrund kam mindestens ein Kritiker zu dem Ergebnis, das alles gegen ein „Gesetz zur Kriminalisierung von Bank- und Versicherungsvorständen“ spreche. Es wurde aber auch eingeräumt, dass ein „strafrechtsgläubiger Gesetzgeber“ gleichwohl nicht gehindert ist, bank- und versicherungsaufsichtsrechtliche Pflichten mit strafrechtlichen Sanktionen zu verknüpfen. Nur sollte er dafür mit den reichlich vorhandenen, spezifisch risikobezogenen und rechtlich bestimmten Vorstandspflichten geeignete Anknüpfungspunkte wählen. 
Dessen ungeachtet stellt sich die Frage, ob eine solche Kriminalisierung die vorsätzliche Verletzung risikobezogener Vorstandspflichten in wirklich systemrelevanten Unternehmen und damit eine neue Finanzmarktkrise verhindern könnte oder ob es im Wahljahr 2013 nicht eher um „Schaufensterpolitik“ ging. Die Stabilität des Finanzsystems dürfte sich mit Strafrecht wohl doch nicht erreichen lassen, auch nicht mit überschießenden Strafrechtsnormen für sämtliche Bank- und Versicherungsvorstände.