Kriminalität

Außer Kontrolle

– Über die Freiheiten und die (Kriminalitäts-)Entwicklung in den bundesdeutschen Rotlichtmilieus –

Ein Blick auf die einschlägige, deutsche Gesetzgebung


Sind es vielleicht gesetzgeberische Versäumnisse, Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen, die zu Missständen führten und führen?
Einschlägige, die Prostitutionsmilieus betreffende, gesetzliche Veränderungen wurden jedenfalls wiederholt vorgenommen, ohne die Gegebenheiten und Besonderheiten dieser Parallelgesellschaften im Rotlicht (ausreichend) zu kennen oder sie aber in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die Eigenheiten und Besonderheiten der Milieus und die (ungeschriebenen) Milieugesetze wurden bei entsprechenden Gesetzesinitiativen vielfach – mit der Folge einer ausbleibenden oder gar kontraproduktiven Wirkung – ignoriert.
Beispiele:
Zum 1.1.2001 wurde auf eine Hamburger Initiative hin, mitten im Zeitalter von AIDS, das Geschlechtskrankheitengesetz (GeschlKrG) außer Kraft gesetzt, womit die bis dahin vorgeschriebenen, regelmäßigen Gesundheitskontrollen für Prostituierte abgeschafft wurden. Abgesehen von gesundheitlichen Aspekten hatte dies zur Folge, dass die regelmäßigen, sozialen Kontakte der Frauen in der Prostitution hin zu Ärzten oder Gesundheitsämtern ebenso unterblieben, wie die nach dem GeschlKrG möglichen und vielfach vorgenommenen, polizeilichen Kontrollen.
Verkannt wurde und verkannt wird bis heute, dass solche Kontakte der Prostituierten hin zu Personen und Organen der Allgemeinheit neben nicht zu unterschätzenden, präventiven Aspekten unverzichtbar sind, um Viktimisierungsprozesse und Straftaten in den Parallelgesellschaften im Rotlicht zu erkennen und dass sich jede Einschränkung solcher Kontakte kriminalitätsfördernd auswirkt und für die (potenziellen) Opfer der Milieus fatale Folgen nach sich ziehen kann und nach sich zieht.
Der Tatbestand des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung stellt seit jeher hohe Anforderungen. Er gilt seit jeher als wenig praktikabel und war deshalb in der Vergangenheit auch wiederholt Veränderungen unterworfen. Ausnutzung – Zwangslage – Hilflosigkeit – verbunden mit dem Aufenthalt in einem fremden Land – diese und andere Tatbestandsmerkmale sind oft nur schwer nachweisbar, von Milieupersonen oder -anwälten dagegen zumeist leicht und problemlos zu widerlegen. Gelingt der Nachweis ausnahmsweise aber doch einmal, dann stellen strafprozessuale Anforderungen oft unüberwindbare Hürden dar. So sind die für ein Urteil erforderliche Anwesenheit und die Aussagen eines Opfers vor Gericht (der Personalbeweis) für die Täter problemlos verhinderbar und sie werden von den Ausbeutern der Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei in steter Regelmäßigkeit verhindert. Manchmal auch von staatlicher Seite aus, wenn sie vor anstehenden Gerichtsterminen des Landes verwiesen wurden.
Ähnlich ist es beim Nachweis des Tatbestands der Zuhälterei, der aufgrund des Prostitutionsgesetzes von 2002 ohnehin nur noch eine sehr begrenzte Anwendung finden kann. Mit diesem Prostitutionsgesetz, das seine Zielsetzung, die Situation der Prostituierten zu verbessern, verfehlen musste und klar verfehlt hat, haben sich entscheidende, höchst negative Veränderungen ergeben, welche sich auf die Strafverfolgung auswirken und eine solche nicht nur erheblich erschweren, sondern in vielen Fällen unmöglich machen. Das im Jahr 2002 in Kraft getretene Gesetzeswerk sollte den Prostituierten dienen; es dient allein den Zuhältern.
Vielleicht steht das im Zusammenhang damit, dass sich – so Hauptkommissar Hohmann, langjähriger Leiter des Stuttgarter Ermittlungsdienstes Prostitution in einem Interview der EMMA – Ausgabe Frühling 2011 – die damals amtierende Bundesjustizministerin zwar eingehend mit einem Stuttgarter Bordellbesitzer beraten haben soll aber darauf verzichtete, sich zum Beispiel beim erfahrenen und fraglos kompetenten Prostitutionsdienst der Stuttgarter Polizei Rat oder Meinung einzuholen. Das Gesetz verkennt jedenfalls die Realitäten und führt an den vorgegebenen Zielen meilenweit vorbei.
Es geht zum Beispiel in seiner gesamten Logik davon aus, dass die (Rotlicht-)Milieus, in denen die Prostitution eingebettet ist und die sie lenken und beherrschen, von der Gesellschaft und Allgemeinheit nicht oder nur unwesentlich abweichende Bereiche sind, deren Eigen- und Besonderheiten unberücksichtigt bleiben können. Ein fataler Irrtum! In den Subkulturen und Parallelgesellschaften der Prostitutionsmilieus bestimmte und bestimmt zum Beispiel niemals der Gesetzgeber oder das Prostitutionsgesetz darüber, wer sich kranken- oder sozialversichert und wer nicht, sondern allein die Zuhälter. Das war so, das ist so und das wird in absehbarer Zeit auch so bleiben. Das Machtgefälle zwischen Bordellbesitzer oder Zuhältern und Prostituierten lässt dabei, so wie in anderen Bereichen auch, keinerlei Entscheidungsfreiheiten zu. Die bundesdeutschen Rotlichtmilieus sind – und auch das wurde verkannt oder aber ignoriert – Subkulturen mit völlig eigenen Wertvorstellungen, mit eigenen Gesetzen, eigenen Richtern und wenn erforderlich, auch mit eigenen Henkern.
Und alle Milieupersonen, Täter wie Opfer, Mieter wie Vermieter, Wohnsitzlose, Drogenabhängige, Prostituierte, Schlepper, Zuhälter und Kiezkönige, sind und fühlen sich diesen Gesetzen – allein diesen Gesetzen – unterworfen und verpflichtet. Die Opfer des Menschenhandels lernen das in ihrer ersten Lektion und die wird ihnen zumeist schon vor Betreten deutschen Bodens und deutscher Bordelle erteilt. Die Gesetze der Allgemeinheit dagegen interessieren in den Milieus nicht; sie haben nicht zu interessieren. Sie werden ignoriert, allenfalls verächtlich zur Kenntnis genommen, mit Füßen getreten oder belächelt – es sei denn sie sind, so wie das Prostitutionsgesetz, für die Milieus und Milieupersonen selbst von Nutzen.
Dieses Prostitutionsgesetz stellt die Prostitution, wiederum in Verkennung der Realitäten, jedem anderen Gewerbe gleich (sie war und ist aus mehreren Gründen kein Gewerbe wie jedes andere und wird nie ein solches sein).
Es billigt Zuhältern zudem und ausdrücklich ein – wenn auch eingeschränktes – Weisungsrecht zu. Vielleicht ist es der Stuttgarter Bordellbetreiber gewesen, der die damalige Bundesjustizministerin dahingehend beraten hat. Bleibt doch für jeden Kenner der Szenerie ein Rätsel, wer dieses Recht einschränken soll. Bleibt doch für den Kenner der Gegebenheiten ein noch viel größeres Rätsel, wie der Gesetzgeber auf die geradezu absurd erscheinende Idee kommen konnte, Zuhältern in der Gesetzgebung überhaupt ein ausdrückliches Weisungsrecht einzuräumen. Verstehen diese es doch nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten in hinlänglich bekannter und nicht selten drastischer und strafrechtlich relevanter Weise (mit Drohungen und Gewalt), Weisungen zu erteilen.
Auf die Idee, ihnen das gesetzlich auch noch ausdrücklich zuzubilligen und einzuräumen, kamen die Gesetzesmacher, angefangen vom Inkrafttreten der Carolina, der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls des V. im Jahr 1532 bis hin zum Tag des Inkrafttreten dieses Prostitutionsgesetzes am 1.1.2002 jedenfalls nicht. Dieses vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich erteilte Weisungsrecht wird in seiner Umsetzung in allen zivilisierten Staaten dieser Welt als Zuhälterei und damit als Vergehen oder gar als Verbrechen bestraft!
Die Folgen dieser verwunderlichen und höchst täterfreundlichen Bestimmung konnten dann auch nicht ausbleiben und sie blieben nicht aus: Plötzlich lehnten und lehnen es die Gerichte (z. B. das LG Augsburg) ab, Anzeigen wegen nachgewiesener Zuhälterei mit dem Hinweis auf dieses Weisungsrecht auch nur entgegenzunehmen, obwohl von den Ausbeutern zum Beispiel Preise, Arbeitszeiten, Sexualpraktiken und ähnliches diktiert wurden, obwohl ein Nacktheitsgebot ausgesprochen oder ein Telefonverbot für Prostituierte oder für Milieuopfer angeordnet wurde.Während Ende des Jahres 2001 in Berlin Bundespolitikerinnen mit einer Bordellchefin auf das Prostitutionsgesetz und das „Ende der Sittenwidrigkeit“ anstießen, wurden die Folgen des „fortschrittlichen Gesetzeswerks“ schon kurze Zeit später von vielen Seiten beklagt.
Im Jahre 2004 wurde – ebenfalls in Berlin – bei einem Hearing von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Polizei und Justiz festgestellt, dass Deutschland, nicht zuletzt aufgrund des Prostitutionsgesetzes, inzwischen im gesamten EU-Bereich Schlusslicht bei der Bekämpfung des Menschenhandels (des Frauenhandels und der Sexsklaverei) geworden ist. Bis zum heutigen Tage dürfte sich das nicht positiv verändert, sondern eher in dramatischer Weise verschlechtert haben.
Zu Beginn des Jahres 2007 kündigte die Bundesregierung, nicht zuletzt aufgrund weiterer, zahlreich aufgekommener Kritik von verschiedenster Seite und vermehrter Hinweise auf Fehlentwicklungen, eine Reform des Prostitutionsgesetzes an. Es blieb bei der Ankündigung.
Im November 2010 machten anlässlich einer Innenministerkonferenz die Polizeichefs aller Länder auf die Auswüchse aufmerksam, die sich durch die „gesetzlich sanktionierte Enthemmung“ ergeben würden und im April 2011 kündigte die Bundesministerin für Familie einen Gesetzesentwurf an. Er liegt bis heute nicht vor.

Die Polizeien der Länder melden dem Bundeskriminalamt (BKA) jährlich anhaltend nicht mehr als vier-, fünf- oder sechshundert Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (von denen nur wenige einzelne in einem angemessenen Urteil gegen die Täter münden).
Allein das ist mehr als nur ein Indiz dafür, dass diese Kriminalität in Deutschland nicht (mehr) erfolgreich bekämpft werden kann und bekämpft wird, sondern aus einem möglicherweise gigantischen Dunkelfeld besteht. Von etwa 400.000 Frauen, die sich in Deutschland prostituieren (oder die dazu gezwungen werden) handelt es sich nämlich immerhin zur Hälfte und in manchen Städten und Rotlichtbezirken bis zu 90 % (die Tendenz ist weiterhin steigend) um Ausländerinnen – zumeist um Frauen (und Kinder) aus Ost- und Südosteuropa. Es sind also mehrere hunderttausend Ausländerinnen, die sich gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland prostituieren oder aber, die Opfer des Menschenhandels und der Sexsklaverei sind. Und die inzwischen verfestigten und perfektionierten Strukturen der Anwerbung, der Schleusung und der Ausbeutung lassen begründet vermuten, dass diese Frauen (und Kinder) nicht nur in wenigen Einzelfällen sondern sehr häufig Opfer sind. Untermauert wird diese Feststellung durch weitgehend übereinstimmende, kriminalpolizeiliche Erkenntnisse, nach denen die in den deutschen Milieus tätigen Frauen zu 95 – 99 % fremdbestimmt sind. Nimmt man dazu zur Kenntnis, wer und wie gegenwärtig in den bundesdeutschen Milieus bestimmt wird, dann kommt man zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass dabei für Freiwilligkeit kaum mehr Platz bleibt. Fazit: Menschenhandel und Sexsklaverei weisen in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit ein gigantisches und bislang kaum vorstellbares Dunkelfeld auf.