Wirtschaftskriminalität / Korruption

Wirtschaftskriminalität und die Rolle der Strafverfolgungsorgane

Eine Konferenz an der Hochschule der Sächsischen Polizei

Politische Soziologie des Phänomens Wirtschaftskriminalität
LIEBL2, Professor für Kriminologie an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg, diskutierte in seinem Eingangsreferat Probleme der sogenannten „Politischen Soziologie„ des Phänomens Wirtschaftskriminalität. In seinem Referat zeigte er auf, welchen Einfluss Lobbyisten auf das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland haben und wie damit Grundwerte der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Gefahr geraten, den Interessen von Gruppen geopfert zu werden. Weiterhin verband er diese Darstellung mit der Forderung nach einer Evaluation der Straftatbestände auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität, um den immer wieder festzustellenden Zustand zu überwinden, dass einfache Delikte der Insolvenzkriminalität, die sehr oft als gescheiterte Versuche einer Firmenrettung zu werten sind, härter bestraft werden – so z.B. der § 84 GmbHG – als groß angelegte (Insolvenz-) Betrügereien, deren Täter sich aufgrund schwierig nachzuweisenden Taten oftmals einer effizienten Strafverfolgung entziehen.
Er führte dazu auch Beispiele aus dem Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, Firmenbestatterfällen und Umweltdelikten auf. Weiterhin zeigte er die Notwendigkeit auf, dass die Forschung neue Wege beschreiten muss, da die bisher oftmals durchgeführten reinen Aktenanalysen zum Beispiel über die Verschleierungstaktiken der Täter nur beschränkt Auskunft geben. So regte er für den Bereich der Korruption unter anderem an, Verurteilte nach Eintritt der Verjährung ihrer Taten intensiv zu befragen, welche Vorgänge sich tatsächlich ereignet haben und diese mit den Ermittlungsergebnissen zu vergleichen, um so Schwachstellen der Ermittlungen zu erhellen.

Prof. Dr. Eberhard Kühne
Hochschule der
Sächsischen Polizei (FH)
Leiter Fachbereich Informatik
und Betriebswirtschaftslehre


Phishing als neuer Wirtschaftszweig
GRUHL, Direktor am Amtsgericht Nürtingen, sprach zum Problem „Phishing – ein neuer Wirtschaftszweig?„ In seinem Referat bezifferte er den Schaden von Phishing im Jahr 2006 allein in den USA auf 2,8 Mrd. Dollar. Für diesen komplexen Tatbestand zeigte er die Rollen einzelner in die Abläufe involvierter Personen auf. Zum Ersten den „unbeteiligten Einmaltäter„ z. B. den Kunden von eBay, über dessen Konto Gelder transferiert werden und der als Unwissender für die Machenschaften des kriminellen Netzwerkes instrumentalisiert wird. Zum Zweiten die Finanzagenten, die vertraglich ihre Konten für Transaktionen zur Verfügung stellen und zum Dritten die Initiatoren der Geldwäsche – oftmals aus dem Ausland agierende Täter – und weitere Mittäterrollen. Gruhl wertete Phishing als Vorbereitungshandlung zum Computerbetrug und verwies auf die Möglichkeiten des Kreditwesengesetzes als Grundlage einer Bestrafung der Finanzagenten und „Geldwäscher„. Zur Nachahmung empfahl er seine vorgelegten Strafbefehle, die so aufgebaut sind, dass der Richter sowohl die Tathandlung als auch die verletzten Rechtsnormen mit Begründung erkennt und auf dieser Grundlage sehr effizient und schnell Strafbefehle erstellen kann.

Polizei braucht Spezialisten
DOLATA vom Bund Deutscher Kriminalbeamter aus Würzburg forderte in seinen Ausführungen, die nach wie vor weit verbreitete Korruption noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und Straftäter mit härteren Strafen zu belegen. Weiterhin stellte er seine Forderung nach Ausbildung eines spezialisierten Polizisten auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität vor und unterstrich diese mit zahlreichen Beispielen, die verdeutlichen, dass Fachwissen über wirtschaftliche Abläufe und Zusammenhänge auf diesem Gebiet unverzichtbar ist. Sein Fazit: Korruption ist beinahe alltäglich, das Risiko der Entdeckung ist minimal. Im Zusammenhang mit der Siemens-Schwarzgeldaffäre verdeutlichte er, dass Korruption durchaus als „Bandentätigkeit„ bis hinauf in die obersten Kreise namhafter Konzerne erkannt werden sollte.

Prof. Dr. Karlhans Liebl
Hochschule der
Sächsischen Polizei (FH)
Professur für Kriminologie


Zusammenarbeit von Insolvenzberater und Strafverfolgungsbehörden
KIEßNER, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter bei Schulz & Braun, sprach über die Kriminalinsolvenz anhand eines Beispiels der Phoenix Finanzdienstleistung GmbH. Er unterschied in seinem Vortrag einerseits zwischen der Insolvenz und Insolvenzkriminalität am Ende eines wirtschaftlichen Unternehmens im Sinne von Fehlern in der Krise und bei der Beendigung der Existenz von Unternehmen und andererseits der bewussten und planmäßigen betrügerischen Gestaltung von Firmenkonzeptionen, insbesondere beim Kapitalanlagebetrug, die von vornherein keine andere Lösung als eine Insolvenz in sich bergen, wenn die Pyramide bzw. das Schneeballsystem eine gewisse Dimension überschreitet, insbesondere wenn die nach außen dargestellte Geschäftsidee des Erwirtschaftens von Gewinnen im angegebenen Umfang niemals verwirklicht werden kann. So auch im vorliegenden Fall der Phoenix Kapitaldienst GmbH. Er schilderte die Rolle und Handlungsspielräume des Insolvenzverwalters bei der Sicherung der Masse und der Befriedigung der Gläubiger aus der sichergestellten Masse. Seine Darstellung über die Zusammenarbeit zwischen Insolvenzverwaltern und Strafverfolgern machte deutlich, dass gerade bei so umfangreichen Verfahren es sinnvoll ist, dass beide beteiligten Seiten gemeinsam auf die Buchungsunterlagen und Bilanzen zugreifen können und in den Räumen der Insolventenschuldnerin arbeiten. Für die Sachverhaltsermittlungen beschrieb er betriebswirtschaftliche Methoden, wie die Analyse von Zahlungsströmen, Vermögensinventuren und die Plausibilisierung des Rechnungswesens, Methoden des investigativen Journalismus (so die Recherche in öffentlichen Quellen oder das Auswerten von Interviews), die Wiederherstellung gelöschter digitaler Daten (Forensic Computing), kriminaltechnische Untersuchungen und Methoden der Kriminalistik. Als besonders bedenklich wertete Kießner, dass eine Sonderprüfung nach § 44 KWG durch Mitarbeiter einer großen Wirtschaftsprüfergesellschaft im Auftrag der BAFIN die Betrügereien des Geschäftsführers der Kapitalanlagegesellschaft nicht aufdeckten. Die in den Aktiva ausgewiesenen erfundenen Konten bei einem Aktienbroker mit einem Wert von 800 Mio. € wurden nicht mittels Saldenvergleich mit dem Broker überprüft. Das Versagen von Kontrollinstrumenten der angesehensten Wirtschaftsprüfungsunternehmen ist unerklärlich. Er schloss deshalb auch eine zu überdenkende Strafbarkeit von Beratern für die Zukunft nicht aus.

Subventionsbetrug aus Verteidigersicht
SCHERER, Rechtsanwalt aus Bad Krozingen, sprach über den Subventionsbetrug aus Verteidigersicht, insbesondere bei Tabaksubventionen. Er schilderte einen Fall, wo Vater und Tochter Tabakpflanzungen in Deutschland bewirtschafteten und die Tochter einen Subventionsantrag stellte, der auch bewilligt wurde. Bei einer Kontrolle ergab sich, dass die angeblichen Erträge aus dem Tabakanbau der Tochter allen bekannten Maßstäben widersprachen. Es war also davon auszugehen, dass Tabak abgeliefert wurde, der nicht auf eigenen Pflanzungen gewachsen war. Neben der „ungewöhnlichen„ Beendigung des Verfahrens zeigte er weiterhin auf, dass die Klärung einzelner Begrifflichkeiten des Subventionsrechts, wie zum Beispiel der Begriff des „Erzeugers„, maßgeblich für eine erfolgreiche Durchführung einer Strafverfolgung ist und hier die Beteiligten sich insbesondere sehr intensiv auf solche Vernehmungen im Rahmen des Strafverfahrens vorbereiten sollten.

Firmenbestattungen als Beispiel für Insolvenzkriminalität
ERDT, Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Gera, sprach über Insolvenzkriminalität und organisierte Kriminalität am Beispiel der Firmenbestatter. Der Referent ist in Ermittlerkreisen dafür bekannt, dass er die Marbella-Connection mit mehr als 700 nachgewiesenen Fällen von Firmenbestattungen aufgedeckt und strafrechtlich ausermittelt hat. Die typischen Merkmale von Firmenbestattungen sind – so seine Ausführungen –, dass der Alteigentümer seine Firma in der Krise verkauft, dafür offiziell einen Verkaufserlös erhält, aber zusätzlich einen Betrag an die Aufkäufer bezahlt. Die neuen Eigentümer der GmbH versuchen, sich vor den Forderungen der Gläubiger und Strafverfolgung zu verbergen, indem sie den Firmensitz aufgeben, zum Teil Obdachlose, Angehörige von ethnischen Minderheiten oder Personen mit falschen Personalien (Phantome) als Geschäftsführer einsetzen, Adressangaben mit Postfachnummern zur Anmeldung im Handelsregister angeben oder auch eine Archivadresse. Oft erfolgt danach eine Sitzverlegung ins Ausland, z. B. nach Spanien, die Buchführungsunterlagen werden vernichtet oder beiseite geschafft bzw. gegen Quittung an Unbekannte übergeben. Es darf unterstellt werden, dass diese Unbekannten nicht existieren und die Quittungen nur Alibifunktion haben. Die Buchführungsunterlagen sind daher unauffindbar oder, wenn welche aufgefunden werden, nicht aussagekräftig, da oftmals nur eine reine Belegesammlung. Das hauptsächliche Ziel der Firmenbestatter ist, die Firma mit Hilfe eines Amtslöschungsverfahrens aus dem Register entfernen zu lassen. Damit erlischt die Existenz des Unternehmens und es besteht auch keine Insolvenzantragspflicht, sodass Hinweise an die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Mizi-Mitteilung entfallen. Gläubigerforderungen laufen oftmals dann genauso ins Leere wie die Strafanzeigen, da der aktuelle „Sitz„ der Gesellschaft oder der Wohnsitz der der Tat beschuldigten Personen unbekannt sind. Der Referent führte weiter aus, wie in solchen Verfahren eine Vielzahl Widerstände zu überwinden ist, da sowohl der Verkäufer als auch der Käufer nicht aussagebereit sind und auch involvierte Strafverfolgungsorgane in den einzelnen Bundesländern oftmals Positionen vertreten, solche Verfahren möglichst „unkompliziert„ zu beenden.

Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität in Österreich
BECLIN, Professorin für Kriminologie an der Universität Wien, sprach über aktuelle Befunde und Überlegungen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Österreich. Da die österreichische Kriminalstatistik das Phänomen Wirtschaftskriminalität nicht in einer eigenen Kategorie darstellt, musste sie selbst durch umfangreiche Interviews und interne Statistikauswertungen erstmals Zahlen erheben. So führte sie erstmals für Österreich eine Erhebung zum Phänomen Wirtschaftskriminalität durch. Nach der polizeilichen Kriminalstatistik Österreichs wurden im Jahr 2006 267 Fälle von Anlagebetrug, 278 Fälle Betrug durch Scheinfirmen, 27 Fälle von Bilanzbetrug, 191 Fälle von Immobilienbetrug und 87 Fälle von Subventionsbetrug bekannt. Als Erscheinungsformen sind zu nennen der Import- und Exportbetrug, der Geldveranlagungs- und Investitionsbetrug, der Betrug bei Projektfinanzierung und Kreditvergaben, die Korruption, die Erpressung und Spionage, Produktfälschungen und Cyber-Crime. Die Größenordnungen firmeninterner Betrügereien und Diebstähle sind darin nicht enthalten, da sie auch im Sinne der Definition der Wirtschaftskriminalität nicht Gegenstand dieser Kategorie sind. Es ist davon auszugehen, dass auch in Österreich ein erhebliches Dunkelfeld besteht, das weit über die bekannt gewordenen Straftaten hinausgeht, da die Ermittlungsbehörden nach einer jüngst durchgeführten Strukturänderung völlig unterbesetzt und auch Erfahrungen aus der bisherigen Ermittlungstätigkeit der Polizeieinsatzkräfte verloren gegangen sind.

Straftaten im Handel mit Treibstoffen in Polen
WICIAK, Kriminalkommissar von der Polizeiakademie in Szcztyno (Republik Polen), referierte über Wirtschaftskriminalität und Subventionsbetrug in der Republik Polen. Als Schwerpunkt nannte er Straftaten im Handel mit Treibstoffen, Karussellbetrügereien und Subventionsstraftaten. Als häufige Begehensweise nannte er das Importieren von steuerfreien Grundchemikalien, aus denen sich durch Mischung vollwertige Treibstoffe gewinnen lassen, die danach in den Verkehr gebracht werden. Sie werden so keiner Steuer unterworfen und diese wird somit hinterzogen. Ebenso gehören Dokumentenfälschungen im Zusammenhang mit steuerbefreiten Lagern in der Mineralölwirtschaft zu den Straftaten, wobei der Transfer zwischen einzelnen Herstellern und Lagern als innerbetriebliche Verrechnung dargestellt wird und damit ebenfalls von Mineralölsteuer befreit bleibt. Er weist nach, dass das in Verkehrbringen dieser Produkte zu einem außergewöhnlich hohen Gewinn führt. Als weiteren Tatkomplex nannte er das Entfärben von Heizöl und in Verkehrbringen als Dieselkraftstoff. So haben im Jahr 2003 24 % aller Treibstoffproben die damals geltenden Qualitätsanforderungen für flüssige Treibstoffe nicht erfüllt. Im Jahr 2006 waren es auf der Basis der gültigen Normen noch 4,9 %, die die Treibstoffqualitätsanforderung nicht erfüllten. Im europäischen Vergleich waren es jedoch nur 2,4 %. Weiter führte er aus, dass in den Jahren 2002 bis 2006 insgesamt 183 Strafverfahren aufgrund von Verstößen im Verkehr mit Treibstoff durchgeführt, in denen 1063 Personen angeklagt wurden. In 51 Fällen wurde ein Urteil gesprochen und 235 Personen wurden verurteilt. Die Verluste der Staatskasse wurden auf 2,9 Mrd. Zloty geschätzt. Gegenwärtig laufen Ermittlungen in 169 Fällen gegen 1237 Verdächtige.

Existenzgefährdung durch Verdacht
HEINEMANN, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Dresden International University, sprach über die Bearbeitung von Wirtschaftsstraftaten aus der Sicht des Strafverteidigers. Zum Gegenstand seiner Ausführungen machte er die Frage: Warum scheitern Anklagen? Am Beispiel von Anklagen wegen Untreue und Korruption stellte er am Anfang die These in den Raum, dass bereits die Erhebung einer solchen existenzvernichtend sein könnte, auch wenn sie sich im nachhinein als weniger schwer oder als nicht aufrecht zu erhalten darstellt. Er zählte eine Reihe von Strafverfahren auf, die mit größter Medienwirksamkeit in Sachsen dargestellt wurden und dennoch mit einem sehr geringen Strafmaß endeten. In seinem Referat sprach Heinemann weiterhin über die Qualifizierung des Straftatverdachtes und erinnerte an die Anforderungen laut Strafprozessordnung. Er zeigte an einer Reihe von Beispielen auf, dass sich die logische Kette der Beweisführung nicht schließen ließ, dass Unterstellungen nicht Bestand hatten bei der Prüfung von Straftatverdachten und dass die Grundlagen der Beweiserhebung missachtet wurden. All diese Gründe führten in der Vergangenheit zur Abweisung von Anklagen oder einzelnen Straftatbeständen. Ein besonderes Problem nahmen in seinen Ausführungen in die Presse lancierte Infos zu laufenden Ermittlungen ein. Diese belasten den Gang der Ermittlungen, den Beschuldigten und sind auch nachteilig für die ermittelnden Behörden. Sie widersprechen insbesondere jedoch der Unschuldsvermutung und führen oftmals zu einer Vorverurteilung der Beschuldigten durch reißerisch aufgemachte Presseartikel.

Erfolgreich gegen Verfahrensstau
RICHTER, Oberstaatsanwalt in Stuttgart, sprach über Erfahrungen mit neuen Ermittlungsstrategien – WESP – im Bereich der Insolvenzkriminalität. Er war (gemeinsam mit dem Referenten Gruhl) Initiator der sog. „Soko Halde„, die sich zur Aufgabe gestellt hatte, einen „Stau„ an nicht bearbeiteten Insolvenzverfahren in der StA Stuttgart aufzulösen. Der Grundgedanke bestand darin, einfache, überschaubare Insolvenzverfahren abzutrennen von großen betrügerischen und besonders strafbewehrten Verfahren und somit die einfachen Verfahren einer schnellen und zügigen Bearbeitung zuzuleiten. So konnten Kapazitäten freigemacht werden für die Bearbeitung von Großverfahren. Diese Verfahrensweise wird in der sog. WESP, der „Wirtschaftskriminalistischen Ermittlungsgruppe von Staatsanwaltschaft und Polizei„, noch heute mit großem Erfolg in Baden-Württemberg praktiziert. Er warnte davor, diese Einrichtungen nun personell zu reduzieren oder gar aufzulösen, da in einem solchen Falle unmittelbar die Überlastung der Staatsanwaltschaften durch Fälle von Wirtschaftskriminalität wieder eintreten würde und sachgerechte Ermittlungen verhindert würden. Durch die WESP können ca. 90 % der Wirtschaftskriminalität erledigt werden; die restlichen max. 10 % betreffen größere Straftaten, die umfangreichere Ermittlungen erfordern. Er geht davon aus, dass in Fällen, in denen Bilanzen vorliegen und die Buchführung bis in die Krise und Zahlungsunfähigkeit der Firma hinein ordentlich erfolgte, die Unterlagen der Firma beim Insolvenzverwalter und die vom Insolvenzverwalter erstellten Gutachten ausreichend sind, um die Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Auf gesonderte Durchsuchung und Sicherstellung beim Beschuldigten könne in diesen Fällen verzichtet werden. Damit würde sich der Umfang der Asservate reduzieren und die Bearbeitung vereinfachen, ohne dass wesentliche Straftatbestände ohne Beachtung blieben. Auf ein besonderes Problem wies der Referent bezüglich des Verwertungsverbotes der Aussagen des Beschuldigten im Rahmen des Insolvenzverfahrens hin. Er betonte dabei, dass das Verwertungsverbot sehr ernsthaft zu berücksichtigen sei. So können die Angaben des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren, z.B. bei welchen Kassen seine Arbeitnehmer versichert sind, im Strafverfahren nicht verwendet werden. Diese Information muss aus den Anzeigen der Krankenkassen gegen das Unternehmen gewonnen werden.

Wirtschaftskriminalität und Werteorientierung
BURKATZKI, Internationales Hochschulinstitut Zittau, sprach über Wirtschaftskriminalität als Folge wertbezogener Orientierungen und stellte die Ergebnisse seiner empirischen Studie dar. Dabei stellte er den theoretischen Bezugsrahmen mit Definitionen und Basisannahmen dar und führte die Methoden und Daten seiner Untersuchung aus. In den Mittelpunkt stellte er die Definition von Werten als Auffassungen von „Wünschenswertem„, die implizit oder explizit für ein Individuum oder eine Gruppe kennzeichnend sind.

Als Forschungsfragen seiner Untersuchung formulierte er:

  • Gibt es Profiltypen wertbezogener Orientierungsmuster in der Bevölkerung?
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen wertbezogenen Orientierungsmustern und Wirtschaftskriminalität?
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen wertbezogenen Orientierungsmustern und Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Statusgruppen?

In einer Pilotstudie wurden ca. 1200 Fragebögen verteilt. Die Auswertung der Fragebögen erlaubte es dem Referenten, fünf Gruppen zu unterscheiden: normorientierte Marktaktivisten, marktdistanzierte Konventionalisten, Desinteressierte, nonkonforme Kommunitaristen und radikale Marktaktivisten. Alle fünf Gruppen unterscheiden sich in Bezug auf ihre Wertorientierung zu Recht und Gesetz, Markt sowie gesellschaftlichen Werten. Als Fazit führte Burkatzki aus, dass eine erhöhte Neigung zu wirtschaftskriminellem Handeln insbesondere in solchen gesellschaftlichen Gruppierungen auftritt, die auf der Ebene ihrer wertbezogenen Orientierungen eine radikal marktaktive Gesinnung ausprägen. Weiterhin verliert eine rechtskonforme Gesinnung auf der Ebene der Wertorientierungen von Akteuren umso mehr an Bedeutung, je stärker diese bezugnehmend auf ihre berufliche Stellung ins Zentrum des Marktgeschehens vorrücken.

Hinweise im Persönlichkeitsprofil
MÜLLER, MBA, ID Detektivbüro Berlin, sprach über das Persönlichkeitsprofil von Wirtschaftsstraftätern, das er im Rahmen einer Pilotstudie erstellt hat. Dabei ging er von der Liszt’schen Trialektik, der Persönlichkeit des Täters, der Situation zum Zeitpunkt der Tat und deren Einbettung in die allgemeine Situation als Eigenart des Verbrechens, aus. Im Kern seiner Arbeit führte der Referent Interviews mit verurteilten Wirtschaftsstraftätern in Gefängnissen oder nach Verbüßung der Haftstrafen. Die neun durchgeführten Interviews lassen keine repräsentativen Schlussfolgerungen zu, zeigen aber interessante Einzelergebnisse zu Persönlichkeitsprofilen von Wirtschaftsstraftätern: insbesondere eine gering ausgebildete Selbstkompetenz und die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Europaweite Forschung
KÜHNE, Professor für Informatik und Betriebswirtschaftslehre und Mitinitiator der Konferenz, stellte in seinem Abschlussvortrag Überlegungen zu weiteren Forschungen auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität an und bezog die Vorträge der Fachtagung beispielhaft in diese Überlegungen mit ein. Zentraler Punkt war die Frage, ob Wirtschaftskriminalität heute noch ein zeitgemäßer Forschungsgegenstand ist. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Frage nach den Ursachen der Differenzen zwischen den begangenen, erkannten, angezeigten, aufgeklärten, angeklagten und verurteilten Straftaten. Dieses bekannte Phänomen wird auch als das „kriminologische Trichtermodell„ bezeichnet. Stichworte dazu sind Dunkelfeld, Hellfeld, Ausbildung und Befähigung der Ermittler und die Rechtsprechung vor Gericht. Dabei hat dieses Phänomen eine quantitative und eine qualitative Komponente. Die Betrachtung der qualitativen Seite der Straftaten und ihre Ahndung, nämlich die tatsächlich begangenen Taten und die Differenzen zu den aufgeklärten und angeklagten Taten, können als „kriminologische Schere„ bezeichnet werden. Begangene Straftaten, die nicht erkannt und nicht aufgeklärt werden, finden selbstverständlich auch in der Verurteilung keine Berücksichtigung. Diese „quantitativen Unterschiede„ nicht nur festzustellen, sondern „ungerechtfertigte Unterschiede„ durch eine verbesserte Ausbildung der Strafverfolger zu verhindern, eine sinnvolle Ermittlungs- und Verfahrensökonomie, eine stringente Verfahrensführung bei einfachen Fällen (Stichwort WESP) und eine angemessene Konzentration der Kräfte auf wesentliche Fälle, scheint nach wie vor ein ergiebiges und noch längst nicht erschöpftes Feld der Forschung zu sein.

Als Forschungsziele ergeben sich damit für ihn folgende Ansatzpunkte:

 

  • Ein Schwerpunkt von Forschung wird durch neue Entwicklungen auf dem Gebiet des eCommerce, der Finanzprodukte, der Finanzmärkte und weiterer bestimmt, um diese auf ihr kriminogenes Potential zu untersuchen mit dem Ziel, neue strafbare Handlungen schnell zu erkennen und für die Strafverfolgung praktisch handhabbar zu machen. Üblicherweise werden neue Phänomene über Jahre nicht erkannt oder faktisch nicht verfolgt, weil die Strafbarkeit nur über besondere Konstruktionen hergestellt werden kann. Dies ist z. B. beim Phishing der Fall oder bei den Firmenbestattungen. Beide sind nicht durch eigene Straftatbestände strafbewehrt, sondern nur als vorbereitende oder weiterführende Handlungen im Rahmen bestehender Gesetze zu verfolgen.
     
  •  Ein zukünftiger zentraler Forschungsgegenstand sollte der Subventionsbetrug innerhalb der Europäischen Union sein. Da jede nationale Rechtsform von Firmen innerhalb der Europäischen Union in allen 27 Mitgliedsländern zulässig ist führt dies zu der Fragestellung, ob es Rechtsformen in einzelnen Ländern gibt, die es Tätern ermöglichen, sich hinter einer Firma zu verbergen und der Strafverfolgung für zu Unrecht empfangene Subventionen ganz legal zu entgehen. Insofern ist ein Forschungsprojekt mit Teilnehmern aus allen Ländern der Europäischen Union angezeigt.

Die Konferenzen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in den Jahren 2003 und 2007 stellen eine interessante und wirkungsvolle Plattform für interessierte Personen in der Polizei, in den Staatsanwaltschaften, bei der Steuerfahndung, der Zollfahndung, bei Richtern und Strafverteidigern dar und bieten sowohl Erfahrungsaustausch als auch den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Als Fazit der Konferenz kann gelten: Wirtschaftskriminalität ist kein Phänomen am Rande der Gesellschaft, sondern allgegenwärtig im Bereich der „wirtschaftlichen Tätigkeiten„. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse in Buchform wird der Erfahrungsschatz einer breiten interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.




Fußnoten

1 Die vollständigen Vorträge werden in der Schriftenreihe der Hochschule, den „Rothenburger Beiträgen, Polizeiwissenschaftliche Schriftenreihe„, in den nächsten Monaten veröffentlicht. Bestellungen des Bandes bzw. der Schriftenreihe bitte über www.polizei.sachsen.de/fhpol oder den örtlichen Buchhandel.
2 In diesen Konferenzbericht wurden Titel und Dienstgrade nicht aufgenommen. Diese können jederzeit aus der Buchveröffentlichung herausgefunden oder bei den Autoren nachgefragt werden.