Sonderlage

Fußball-WM 2006 in Deutschland

Die Welt zu Gast bei Freunden

Im nächsten Jahr wird in der Zeit vom 09. Juni bis 09. Juli das neben den Olympischen Spielen wohl wichtigste Sportereignis der Welt nach 1974 wieder in Deutschland stattfinden. Die „Neuauflage“ der Veranstaltung in unserem Lande ist mit dem damals ausgetragenen Turnier kaum mehr vergleichbar. Die seither zu verzeichnenden Veränderungen in der Medienlandschaft, zunehmend in den Vorgrund tretende wirtschaftliche Interessen, insbesondere aber ein gewandeltes Auftreten der Fußballfans sowie eine drastisch veränderte Sicherheitslage stellen nicht zuletzt die Polizei vor neue Herausforderungen.


Uwe Lederer, Kriminalrat,
Landeskriminalamt
Rheinland-Pfalz

1. Vorbemerkungen
Die Fußballweltmeisterschaft 2006 der FIFA (WM) steht unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Vor diesem Hintergrund verfolgt Deutschland als Gastgeber der WM neben den sportlichen Aspekten das vorrangige Ziel, sich als weltoffene Nation im Herzen Europas zu zeigen. Dabei sollen sich bei uns alle Gäste wohl fühlen und im ganzen Land Rahmenbedingungen vorfinden, die das sichere und unbeschwerte Erleben dieses Ereignisses gewährleisten1 .
Dieses Ziel macht im Kontext mit den bereits genannten neuen polizeilichen Herausforderungen aber gleichzeitig auch das offenkundige Dilemma der zuständigen Sicherheitsbehörden deutlich: Einerseits genießt die Gewährleistung der Sicherheit höchste Priorität, weshalb den friedlichen Verlauf der Veranstaltung beeinträchtigende Störungen der öffentlichen Sicherheit konsequent und bereits im Ansatz zu verhindern bzw. zu unterbinden sind. Andererseits hat sich die Polizei betont offen, tolerant und freundlich zu präsentieren2 .

2. Veranstaltungslage
2.1 Allgemeines
Die Endrunde der WM beginnt am 09. Juni 2006 in München mit dem Eröffnungsspiel und endet am 09. Juli 2006 mit dem in Berlin ausgetragenen Endspiel. Offizieller Veranstalter der WM ist die FIFA, Ausrichter der DFB. An der Endrunde nehmen 32 Mannschaften teil, die an 12 Spielorten insgesamt 64 Spiele bestreiten werden. Die 32 Mannschaften werden zunächst in acht Gruppen mit jeweils vier Teams eingeteilt, wobei sich die zwei besten Mannschaften jeder Gruppe für das nachfolgende K.O.-System (Achtelfinale bis Finale) qualifizieren.
Aufgrund eines geänderten Reglements der FIFA3 tragen die Mannschaften ihre Spiele an jeweils unterschiedlichen Spielorten aus. Zudem dürfen die Mannschaften ihr permanentes WM-Quartier nicht an einem Spielort beziehen, sind andererseits aber verpflichtet, bereits einen Tag vor einem Spiel am Spielort so genannte Teamhotels zu beziehen. Diese Regularien bedingen zwangsläufig erhebliche Reiseaktivitäten, allerdings nicht nur für die Mannschaften und deren Delegationen, sondern auch für die Medienvertreter und – für die Polizei von besonderer Bedeutung – die jeweiligen Fans.
Die Delegationen der teilnehmenden Mannschaften werden insgesamt aus ca. 1.600 Personen bestehen. Zudem werden zur WM ca. 100 Schiedsrichter sowie ca. 1.500 Offizielle/Mitarbeiter der FIFA und der Kontinentalverbände erwartet. Daneben ist derzeit davon auszugehen, dass ca. 15.000 Medienvertreter über das Ereignis berichten werden. Weiterhin werden eine Vielzahl von Repräsentanten ausländischer Staaten und sonstige VIP bzw. im Sinne der PDV 129 gefährdete Personen die Veranstaltung besuchen.
Für die 64 Spiele stehen insgesamt 3.455.000 Eintrittskarten zur Verfügung. Der offizielle Verkauf der Tickets ist seit Anfang 2005 bereits in vollem Gange. Allerdings sind zunächst lediglich 37% des Gesamtkartenkontingentes für den freien Verkauf bestimmt. Der weitaus überwiegende Teil der Eintrittskarten wird den an der WM teilnehmenden Verbänden, sonstigen FIFA-Verbänden und den Sponsoren zur Verfügung gestellt. Dies birgt im Hinblick auf die polizeiliche Aufgabenbewältigung diverse, teilweise nicht unerhebliche Gefahrenpotenziale. So dürfte ein nicht unerheblicher Teil der nicht auf dem offiziellen Verkaufswege erworbenen Karten als Spekulationsobjekt (die Bildung eines entsprechenden Schwarzmarktes dürfte trotz verschiedener vorbeugender Maßnahmen auch bei der WM 2006 nicht auszuschließen sein) verwendet werden. Daneben ist aber insbesondere zu befürchten, dass ein unkontrollierter Erwerb von Ti-ckets negative Auswirkungen auf die eigentlich vorgesehene Kanalisierung bzw. Trennung gegnerischer Fans haben wird.

2.2 Fans/Hooliganismus
In den deutschen Stadien werden nach gegenwärtigem Stand ca. 3,2 Millionen Zuschauer erwartet, davon ca. 1 Million aus dem Ausland. Hierbei handelt sich in der weitaus überwiegenden Zahl um „echte“ Fußballfans, die ihre Verbundenheit mit der Mannschaft ausdrücken möchten. In der polizeilichen Klassifizierung handelt es sich hierbei um „friedliche Fans“ bzw. Fans der Kategorie A.
Von diesen Fans deutlich zu unterscheiden sind „gewaltbereite/-geneigte“ (Kategorie B) und „gewaltsuchende“ Personen (Kategorie C) als veranstaltungstypische Störer. In Bezug auf die Gesamtzahl aller Fußballfans beläuft sich der Anteil der Kategorien B und C auf lediglich ca. ein bis zwei Promille. Bei einzelnen Spielen können auf diese Kategorien jedoch durchaus bis zu fünf Prozent entfallen. Obwohl sie dennoch in der Gesamtschau nur einen relativ geringen Teil der Besucher stellen, gilt ihnen in der Regel die höchste Aufmerksamkeit der Medien, der Öffentlichkeit und naturgemäß auch der Polizei.
In der Anhängerschaft der Vereine der Bundes- und Regionalligen werden derzeit ca. 10.000 Personen den Kategorien B und C zugeordnet. Dieser Personenkreis tritt jedoch nicht nur anlässlich der Spiele der jeweiligen Heimmannschaft in Erscheinung, sondern auch bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft im In- und Ausland. Hierbei ist bemerkenswert, dass die ansonsten bestehenden, vereinsbezogenen Rivalitäten und Feindseligkeiten zwischen den einzelnen deutschen Fanlagern anlässlich von Spielen der deutschen Nationalmannschaft regelmäßig ausgesetzt werden. Stattdessen sind häufig Mobilisierungen und Solidarisierungen mit der Folge von gewalttätigen Ausschreitungen zu verzeichnen (so u.a. anlässlich des Spiels der deutschen Nationalmannschaft in Celje/Slowenien am 26.03.2005). Im eigenen Sprachgebrauch bezeichnet man sich selbst gelegentlich als „Mob der Nationalmannschaft“.

In der bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport“ sind derzeit (Stand 01.07.2005) insgesamt 6.774 Personen gespeichert. Bei dieser Datei handelt es sich nicht um einen separaten Datenpool, sondern um einen Bestandteil der Anwendung INPOL. Die jeweiligen Datensätze werden dort in der F-Gruppe abgebildet und sind damit allen INPOL-Nutzern für berechtigte Abfragen und Recherchen zugänglich.
Daneben können gegen auffällige Fans nach Maßgabe der entsprechenden Richtlinien des DFB4 für die Dauer von bis zu fünf Jahren Stadionverbote ausgesprochen werden. Derartige Verbote werden durch die Ligavereine bzw. durch den DFB festgesetzt. Bundesweit bestehen mit Stand September 2005 ca. 2.300 bundesweit geltende Stadionverbote. Die Durchsetzung eines Stadionverbotes obliegt im Falle der WM dem DFB, da diesem das Hausrecht anlassbezogen übertragen wird.

In Bezug auf ausländische Fans wird für die Mitgliedsländer der EU gegenwärtig davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der WM zwischen 8.000 und 10.000 nationale Stadionverbote in Kraft sein werden. Seitens der zuständigen Gremien wurde zunächst der Wille artikuliert, die diesen Verboten zugrunde liegenden personenbezogenen Daten im Ausland zu erheben, um sie für den Zeitraum der WM in die Datei „Gewalttäter Sport“ einzustellen. Daneben besteht im Hinblick auf ausländische Fans die Absicht, durch den DFB bei den an der WM teilnehmenden Verbänden im Ausland erlassene Stadionverbote mit dem Ziel zu eruieren, diese für die WM-Stadien zu übernehmen.
Seit geraumer Zeit sind im Zusammenhang mit den deutschen Ligaspielen relativ wenig Ausschreitungen und Straftaten zu verzeichnen. Dies wird teilweise als Indiz dafür gewertet, dass sich die deutsche Hooliganszene im Vorfeld der WM passiv verhält, um nicht noch kurz vor der WM mit einem, dann auch für die WM geltenden Stadionverbot belegt zu werden.
In diesem Zusammenhang ereignen sich in zurückliegender Zeit jedoch vermehrt so genannte Drittortauseinandersetzungen. Bei diesen Anlässen treffen sich augenscheinlich verfeindete Fangruppierungen, häufig abseits der Fußballstadien bzw. an Orten und zu Zeiten ohne offensichtlichen Bezug zu einem Fußballspiel, um, teilweise in „Schlachtformation“ und überwiegend unbewaffnet, aufeinander einzuschlagen und einzutreten. Teilweise gehen derartige „Kämpfe“ sogar über mehrere „Runden“. Der Polizei bekannte Filmdokumentationen belegen, dass sich die Kontrahenten zum Abschluss manchmal sogar wieder die Hand reichen. Insofern könnten derartige Konfrontationen auch der gemeinsamen Vorbereitung auf die WM 2006 bzw. die erwarteten, seitens der deutschen Hooligans u.U. sogar erhofften Auseinandersetzungen mit ausländischen Fans dienen.

Im Gegensatz zum Confederations-Cup 2005 ist bislang von einer Vielzahl an Zuschauern aus nahezu allen Teilnehmerstaaten auszugehen, wobei das für die Polizei relevante Problemfanpotenzial im Hinblick auf die außereuropäischen Nationen von geringer Relevanz sein dürfte. Auch in Bezug auf die europäischen Mannschaften ist zu konstatieren, dass in den letzten Jahren bei Spielen der Nationalmannschaften überwiegend nur Probleme mit deutschen, englischen und niederländischen Hooligans auftraten. In Abhängigkeit von den letztendlichen Spielpaarungen – die Auslosung der Gruppenspiele findet am 09. Dezember 2005 in Leipzig statt – könnte jedoch auch die besondere Situation im Zusammenhang mit den in Deutschland wohnhaften ausländischen Fans polizeilich relevant werden (u.a. wohnen in Deutschland ca. 1,9 Millionen türkische Staatsangehörige, ca. 1 Million Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien, ca. 600.000 Italiener sowie ca. 320.000 Polen).

3. Besondere polizeiliche Handlungsfelder
3.1 „Public Viewing“ – Events in den Innenstädten
In den Innenstädten der zwölf Spielorte werden aufgrund entsprechender vertraglicher Vereinbarungen alle WM-Spiele in Form von Public-Viewing-Veranstaltungen auf Großbildleinwänden zu sehen sein. Dieses, unter dem Motto „Fan Fest FIFA WM 2006“ stehende Konzept, ermöglicht den einheimischen Fans und den Besuchern aus aller Welt, auch ohne Eintrittskarte alle Spiele „live“ zu erleben. Die Live-Übertragungen der WM-Spiele sowie ein begleitendes Unterhaltungs- und Showprogramm werden den jeweiligen Zuschauern kostenlos offeriert.
Für die Spielortbehörden stellt dieses Konzept eine besondere Herausforderung dar: An eigenen Spieltagen müssen sie in ihre taktischen Planungen nicht nur den Bereich des Stadions bzw. das eigentliche Spiel einbeziehen, sondern auch alle relevanten Public-Viewing-Bereiche der Innenstadt. Des Weiteren finden die Großbildübertragungen durchgängig bzw. an allen WM-Spieltagen statt, so dass die Kräfte wohl entsprechend häufig zum Einsatz gelangen werden. Darüber hinaus wird auch allen Nicht-Spielorten die Möglichkeit eingeräumt werden, die Spiele der WM auf Großbildwänden zu übertragen. Je nach den örtlichen Gegebenheiten (z.B. Übertragung in einem Stadion, einer Halle oder auf einem öffentlichen Platz; Anzahl der Übertragungen; ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung; örtliches Problemfanpotenzial; anwesende Fans aus anderen Staaten) und dem sportlichen Verlauf der WM können dadurch Einsatzlagen entstehen, die durchaus mit der Si-tuation in den Spielorten vergleichbar sein können.

3.2 Allgemeine und Organisierte Kriminalität mit Veranstaltungsbezug
Sportgroßveranstaltungen wie die WM 2006 bieten vor dem Hintergrund des zu erwartenden hohen Besucheraufkommens erfahrungsgemäß vielfältige und günstige Tatgelegenheitsstrukturen für Täter und Tätergruppen aus dem In- und Ausland. Die möglichen Kriminalitätsszenarien sind zahlreich und in Anbetracht des Einfallsreichtums des polizeilichen Gegenübers derzeit abschließend noch gar nicht abzusehen. Gleichwohl dürfte der Schwerpunkt der kriminellen Aktivitäten den nachfolgend dargelegten Kriminalitätsfeldern zuzurechnen sein:

Eigentumsdelikte
• Schwerer Diebstahl aus Kraftfahrzeugen
Taschendiebstahl-/Trickdiebstahl, insbesondere auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen
Raub/räuberische Erpressung, insbesondere auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen
• Einfacher/schwerer Diebstahl aus Hotels/Wohnungen

Vermögens-/Wirtschaftsdelikte
• Warenkreditbetrug, insbesondere in Bezug auf Reisen, Eintrittskarten und Fanartikel
Betrug im Zusammenhang mit ge-/verfälschten Eintrittskarten
• Marken-/Urheberrechtsdelikte (insbesondere Produkt-/Markenpiraterie)
Betrug im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln
• Illegale Sportwetten
Geldwäsche
Schwarzarbeit sowie illegale Arbeitnehmerüberlassung

Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben
Menschenhandel
• Zuhälterei
• Illegale Prostitution

Kriminalität im Zusammenhang mit „Hooliganismus“
• Körperverletzungen
• Sachbeschädigungen
• Beleidigungen
• Landfriedensbruch

Sonstige Kriminalitätsbereiche
• Verstöße gegen das Ausländerrecht (illegale Einreise, illegaler Aufenthalt, Schleusung pp.)
• Betäubungsmitteldelikte
• Falschgeldkriminalität
• Waffendelikte
• Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (Bombendrohungen pp.)

Angesichts der Internationalität der WM ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Personen strafrechtlich in Erscheinung treten werden, die in Deutschland keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt haben. Wenngleich die Regularien der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen auch für die WM Wirkung entfalten, dürfte den deutschen Strafverfolgungsbehörden an der schnellstmöglichen und effektiven Erledigung von Strafverfahren gegen Staatsangehörige anderer Staaten, aber auch gegen deutsche Staatsangehörige, gelegen sein.
Insofern ist wohl zunächst von einer vermehrten Anwendung des beschleunigten Verfahrens gemäß den §§ 417 ff. StPO auszugehen. Daneben wurde das Problem der Erhebung häufig unterschiedlicher Regelsätze im Zusammenhang mit Sicherheitsleistungen nach den §§ 127a, 132 StPO erkannt. Vor diesem Hintergrund wurde durch die zuständigen Gremien ein Regelsatzkatalog für die Einbehaltung von Sicherheitsleistungen verabschiedet5 . Dieser Katalog soll vornehmlich für „fußball-typische“ Straftaten gelten. Allerdings sollen auf der Grundlage von Sicherheitsleistungen nur „leichte Fälle“ (bei potenziellen Verurteilungen würden sich die Strafen am unteren Rand bewegen) abgehandelt werden.

3.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK)
Die aufgrund der Bedeutung der WM absehbare, umfangreiche Präsenz deutscher und internationaler Medien könnte Täter der PMK, bis hin zu Beteiligten des internationalen Terrorismus, ggf. auch zur Begehung von öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Anschlägen in Deutschland veranlassen. Zudem gilt ist es wie bei allen Großereignissen zu bedenken, dass irrational handelnde Einzeltäter zur Verfolgung ihrer Ziele – ggf. auch ohne politischen Hintergrund – Gewalttaten durchführen könnten.
Bislang liegen noch keine aussagekräftigen Erkenntnisse über geplante oder angekündigte Aktionen der einschlägigen Kreise – gleich ob linksextremistisch/-terroristisch; ausländerextremistisch/-terroristisch oder rechtsextremistisch – vor. Gleichwohl können u.a. bereits bestehende oder noch hinzutretende regionale Konflikte zu Gefährdungen teilnehmender Mannschaften, der Veranstaltung bzw. deren Zuschauer, ggf. aber auch von Unbeteiligten, beitragen. Neben der Eröffnungs- und Schlussfeier sowie den Finalspielen ist insbesondere beim Auftreten der Mannschaft der USA – das Team ist bereits qualifiziert - von einer hohen Gefährdungslage auszugehen.
Die teilweise dargestellte Kongruenz der Fußball-Hooligan-Szene mit der rechten Szene bzw. rechtsextremistischem Gedankengut dürfte vor dem Hintergrund eines geschätzten Anteils im Bereich von fünf bis zehn Prozent hingegen keine besonderen Auswirkungen auf die WM haben. Dessen ungeachtet wird sich die Polizei vor und während der Veranstaltung den verschiedenen Phänomenbereichen der PMK in Bezug auf die WM intensiv widmen müssen.

3.4 Größere Gefahren-/Schadenslagen
Die für den Katastrophenschutz zuständigen Abteilungen der Länderinnenressorts haben bereits im Februar 2004 für die zwölf Austragungsorte der WM ein einheitliches „Musterkonzept Katastrophenschutz“ für Versorgungs- und Infrastrukturleistungen im Zusammenhang mit größeren Schadenslagen erarbeitet. Aufgrund der damit verbundenen Vorgaben haben sich die zuständigen Fachbehörden auf einen „Massenanfall von Verletzten (MANV)“ in Form von 2% der Stadionbesucher einzustellen. Dies bedeutet, dass z.B. am Spielort Kaiserslautern Kräftekontingente für die unmittelbare Versorgung von 50 Verletzten, die Versorgung von 200 Verletzten nach einem verbesserten rettungsdienstlichen Standard und die Versorgung von 750 Verletzten nach einem Sanitätskonzept bereitgestellt werden müssen. Gleichzeitig ist natürlich die Grundversorgung der Bevölkerung ebenfalls noch sicherzustellen.
Wenngleich die verantwortliche Leitung von Katastropheneinsätzen nicht der Polizei obliegt, sind die Polizeibehörden bundesweit gehalten, ihre Planentscheide für derartige Einsatzanlässe angesichts der bevorstehenden WM 2006 gleichwohl zu überprüfen und ggf. zu modifizieren. Aufgrund des internationalen Charakters der Veranstaltung ist anlässlich größerer Gefahren-/ Schadenslagen u.a. mit einer Vielzahl von Anfragen aller Art, z.B. durch Angehörige, Presse, Zeugen und Hinweisgeber, zu rechnen. Insofern käme in einem solchen Fall der schnellstmöglichen Aufnahme und Verarbeitung der hierbei übermittelten Informationen aus polizeilicher Sicht größte Bedeutung zu. Da wohl nicht alle Bundesländer über entsprechende Stellen für eine adäquate Datenerfassung verfügen, werden derzeit teilweise länderübergreifende Kooperationen geschlossen. So würde das Land Rheinland-Pfalz für diesen Zweck z.B. auf die bewährte Einrichtung der Gemeinsamen Auskunftsstelle (GAST) am Flughafen München zurückgreifen.

4. Informationsmanagement
4.1 Informationsaustausch Sporteinsatz
Für die Vorbereitung und Durchführung des polizeilichen Einsatzes anlässlich der WM ist der unverzügliche und qualifizierte Austausch von Informationen zwischen den Polizeien der Länder, des Bundes und des Auslandes bzw. den anderen an dieser Veranstaltung beteiligten Behörden und Institutionen unabdingbar. Die Informationssteuerung aus Anlass von Fußballspielen erfolgt im nationalen und internationalen Bereich schon seit Jahren auf bewährten und weitgehend standardisierten Wegen.

4.1.1 Zentrale Informationsstelle WM 2006 (ZIS)
In Bezug auf die WM 2006 kommt in diesem Zusammenhang zunächst der „Zentralen Informationsstelle WM 2006 (ZIS)“, eingerichtet beim Bildungszentrum Neuss der Polizei NRW, eine herausragende Bedeutung zu. Durch die ZIS werden anlässlich der WM im Wesentlichen folgende Aufgaben wahrgenommen:

• Sammlung, Aus- und Bewertung sowie Steuerung der für den polizeilichen Einsatz bedeutsamen Erkenntnisse aus dem In- und Ausland für bzw. an in- und ausländische Bedarfsträger
• Gezielte Zusammenfassung und Fortschreibung dieser Informationen in fortlaufend zu aktualisierenden WM-Lagebildern
• Einsatz und Betreuung der zentralen ausländischen Verbindungsbeamten
• Vorbereitung, Koordination und logistische Begleitung des Einsatzes der vorrangig für die Spielorte vorgesehenen polizeilichen Unterstützungskräfte aus dem Ausland, insbesondere von szenenkundigen bzw. vergleichbaren Kräften

4.1.2 Landesinformationsstellen
Sporteinsätze
Auf der Ebene der Bundesländer wird die Aufgabe der Informationssteuerung anlässlich der WM bei den „Landesinformationsstellen Sporteinsätze (LIS)“ wahrgenommen, die überwiegend beiden Innen-
ministerien oder den LKÄ angesiedelt sind (für den Bereich der Bundespolizei werden diese Aufgaben grundsätzlich bei den Bundespolizeipräsidien wahrgenommen). Den LIS kommen anlässlich der WM folgende vorrangige Aufgaben zu:

• Sammlung, Bewertung, Aufbereitung und Steuerung von Erkenntnissen mit WM-Bezug
• Unmittelbare Information der ZIS über alle einsatzrelevanten Umstände, die ihnen von den Behörden/Dienststellen ihres Zuständigkeitsbereiches berichtet wurden
• Unmittelbare Information der betroffenen Behörden/Dienststellen im eigenen Zuständigkeitsbereich über alle lagerelevanten Erkenntnisse
• Erstellung und Steuerung von fortlaufend zu aktualisierenden, auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich bezogenen WM-Lagebildern.

Aufgrund der Beschlusslage des UA FEK soll die Steuerung der relevanten Informationen zu WM 2006 auf dem für den Bundesligaalltag bewährten Weg erfolgen, der vorwiegend eine Informationssteuerung auf der Ebene der betroffenen Polizeibehörden, bei lediglich paralleler oder nachrichtlicher Beteiligung der ZIS sowie der zuständigen LIS vorsieht. Dieser nicht hierarchisch, sonder eher netzförmig ausgerichtete Infofluss wäre im Hinblick auf die WM eventuell mit einigen Defiziten, insbesondere in Bezug auf Parallel- und Mehrfachsteuerungen, daneben u.U. aber auch Infoverlusten, behaftet.
Um diese Risiken zu minimieren, soll die beim Landeskriminalamt in Mainz angesiedelte LIS des Landes Rheinland-Pfalz als alleiniges Ein- und Ausgangsportal für alle das Land Rheinland-Pfalz betreffende WM-Lageinformationen bzw. alle die Landesgrenze überschreitenden WM-Lagemeldungen und -bilder fungieren. Hinsichtlich der aus dem Bundesgebiet eingehenden Informationen soll bei der dortigen LIS vor einer Weitersteuerung der Lageerkenntnisse an die Polizeibehörden des Landes, insbesondere an das Polizeipräsidium Westpfalz als die für den WM-Spielort Kaiserslautern zuständige Polizeibehörde, zunächst eine eigenständige Bewertung und Analyse erfolgen. Dieser Prozess wird insbesondere auch eine Selektion aller eingehenden Informationen in Bezug auf eine Lagerelevanz für das Land Rheinland-Pfalz beinhalten. Umgekehrt sollen durch die LIS Rheinland-Pfalz grundsätzlich nur Lageerkenntnisse aus dem Land Rheinland-Pfalz an die LIS anderer Bundesländer, die ZIS sowie sonstige Behörden und Institutionen weitergesteuert werden, wenn diese Informationen für die jeweiligen Bedarfsträger eine entsprechende Relevanz haben dürften.

4.1.3 Nationales Informations- und Kooperationszentrum (NICC)
Vor dem Hintergrund der abgegebenen Regierungsgarantien und aufgrund des im unmittelbaren Vorfeld und während der WM bestehenden Informationsbedarfs der politischen Entscheidungsträger auf Bundesebene ist aus Sicht des Bundes auf dieser Ebene die Einrichtung eines „Nationalen Informations- und Kooperationszentrums“ zur Bündelung des themenbezogenen Informationsflusses fachlich erforderlich und sicherheitspolitisch geboten. Das NICC, das im Bundesministerium des Innern als Bestandteil des dortigen Lagezentrums eingerichtet wird, soll folgende Aufgaben wahrnehmen:

• Informationen sammeln, zusammenfassen und im Verantwortungsbereich des BMI/der Bundesressorts steuern sowie täglich „Nationale Lagebilder WM 2006“ erstellen.
• Im Verantwortungsbereich des Bundes/der Bundesressorts liegende Auskünfte erteilen sowie Anfragen beantworten.
• Zu national und international sicherheitsrelevanten Themen in anlass- und einzelfallbezogener Abstimmung mit allen Beteiligten abgestimmte Pressemitteilungen erstellen.

Mit dieser Einrichtung sollen die bestehenden Strukturen, Aufgaben und Zuständigkeiten jedoch nicht verändert werden. Insofern wird das NICC wohl in erster Linie der bundespolitischen Ebene zuarbeiten bzw. für Bewältigung des eigentlichen Fußballeinsatzes seitens der einsatzführenden Polizeibehörden wohl eher nur von nachrangiger Bedeutung sein.

4.2 Informationsaustausch Politisch motivierte Kriminalität (PMK)
Der Informationsaustausch im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität erfolgt auch anlässlich der WM 2006 grundsätzlich nach den entsprechenden Richtlinien6 . Die Bearbeitung von Gefährdungshinweisen sowie die Übermittlung von Warnmeldungen richtet sich ebenfalls nach dem auch sonst geltenden, zwischen den Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes festgelegten Verfahren7 .
Die Polizeidienststellen der Länder sind gehalten, im Zusammenhang mit der WM 2006 die polizeiliche staatsschutzmäßige Aufklärung sowie die Bewertung der dabei gewonnenen Informationen zu intensivieren. Das Bundeskriminalamt wird phänomenübergreifend veranstaltungsbezogene Informationen aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität sammeln, auswerten, analysieren, bewerten und ziel- und adressatengerichtet steuern.
Auf der Grundlage der hierbei gewonnenen Erkenntnisse wird das BKA periodisch erscheinende Bundeslagebilder „PMK WM 2006“ erstellen und zudem anlassbezogene Gefährdungseinschätzungen und Warnmeldungen übermitteln, die aus der Bearbeitung von Gefährdungseinzelsachverhalten resultieren. Die Steuerung dieser Lagebilder und -informationen auf Landesebene ist grundsätzlich Aufgabe der Landeskriminalämter. Um eine Information der landesinternen Bedarfsträger „aus einer Hand“ sicherzustellen, wird die Landesinformationsstelle Sport Rheinland-Pfalz auch die landesinterne Steuerung – nach vorausgehender Bewertung und Analyse durch die zuständige Fachabteilung des LKA – der PMK-Erkenntnisse übernehmen.

5. Fazit
Die Fußballweltmeisterschaft 2006 wird nicht nur die Organisatoren, sondern auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und damit insbesondere die Polizeien des Bundes und der Länder vor große Herausforderungen stellen. Da es sich jedoch um einen besonderen Einsatzanlass handelt, der den zum Einsatz gelangenden Kräften die Möglichkeit eröffnen wird, eine solch herausragende Sportveranstaltung aus einer besonderen Perspektive „live“ mitzuerleben und bei der polizeilichen Bewältigung der außergewöhnlichen Lage mitzuwirken, kann der Veranstaltung – trotz der absehbaren Belastungen – auch aus beruflicher Sicht mit viel Freude und Spannung entgegengesehen werden.


Fußnoten:

1 Nationales Sicherheitskonzept FIFA-WM 2006 des entsprechenden Bund-Länder-Ausschusses, Nr. 1 (Vorbemerkungen) Seite 5
2 Rahmenkonzeption der Projektgruppe WM 2006 des UA FEK zur Bewältigung von polizeilichen Einsätzen anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, Stand: 25.05.2005, Nr. 3 (Leitlinien und taktische Ziele)
3 Reglement der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006
4 „Richtlinien zur einheitlichen Festsetzung und Verwaltung von Stadionverboten“ des DFB, Stand 01.07.2004
5 Anlage 13 der Rahmenkonzeption der PG WM 2006 des UA FEK
6 Richtlinien für den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)-VS-NfD-(Stand: 03.08.2004).7 Beschluss des AK II vom 06./07.09.1988, TOP 32, modifiziert mit Beschluss des AK II vom 28./29.05.1990, TOP 22, 200. Sitzung des AK II, TOP 12.2 Nr. 2