Atomterrorismus

Eine Bewertung von Risiken, Motiven und Gegenstrategien

Von Professor Dr. jur. Bijan Nowrousian, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW

1. Einleitung


Ist ein terroristischer Anschlag mit einer Atombombe ein realistisches Szenario? Ist er anders formuliert eine reale Gefahr?1

Wenn auch schon in den Neunzigern Gegenstand zumindest wissenschaftlicher Debatten, wird diese Frage seit dem 11. September sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik lebhaft und teils kontrovers diskutiert. Es ist das Ziel dieser Abhandlung, den wissenschaftlichen Diskussionsstand und die nationalen und internationalen Bemühungen zur Verhinderung von nuklearem Terrorismus darzustellen und diese auf der Basis einer Analyse atomterroristischer Ambitionen zu bewerten. Angesichts der ebenso tiefgreifend geänderten wie raschen Entwicklung im Bereich „Terrorismus“ seit dem 11.09.2001 soll dabei – ohne Missachtung relevanter älterer Stimmen – auf der aktuellen Literatur und politischen Lage das besondere Augenmerk liegen.

2. Die (wohl) herrschende Lehre


Bei aller Vielstimmigkeit lässt sich die zum Thema „Atomterrorismus“ wohl herrschende Meinung in den folgenden beiden Thesen zusammenfassen:

  • Atomarer Terrorismus ist möglich, aber unwahrscheinlich.
  • Wegen der katastrophalen Folgen, die ein atomarer Terroranschlag hätte, stellt er trotz der Unwahrscheinlichkeit eine große Gefahr dar.

Atomterrorismus wird also zunächst nicht für ausgeschlossen gehalten, aber für nur schwer möglich (vgl. Wirz/Egger (2005), S. 497–502; Bunn (2014), S. 174–187; Bunn (2010), S. 13–23; Mowat-Larssen (2010), S. 5–9; Allison (2006); Allison (2007); Levi (2007); Gottlieb (2014), S. 172–173; Zimmerman (2009), S. 1–14; Martin (2014), S.188–199; Mueller (2012), S. 161–234; Mueller (2010); Frost (2005), S. 7–73; Falkenrath et al. (1998), S. 97–216; Carter et al. (1998), S. 80–94; Cottee und Esfandiary (2014); Sauer (2007a), S. I; Sauer (2007b); von Randow (2005), S. 90–91; Anet (2001); bpb (2015)). Der Grund hierfür liegt im Wesentlichen darin, dass die Erlangung von Atomwaffen gleich auf welche Art schon wegen der damit verbundenen erheblichen technischen Anforderungen für Terrororganisationen eine kaum zu meisternde Herausforderung darstellt.
Die Ausgangspunkte für diese Einschätzung sind dabei die folgenden: Zunächst setzt der Bau einer Atombombe den Besitz hinreichend großer Mengen angereicherten Plutoniums voraus, welches so in der Natur nicht vorkommt, sondern technisch hergestellt werden muss. Ein einfacher Rückgriff auf irgendwelche leicht zu bekommenden natürlichen Rohstoffe zum Bau der Bombe ist also nicht möglich. Daraus folgt dann, dass Terroristen der Sache nach auf nur drei Arten an eine Atombombe gelangen könnten, nämlich entweder durch den eigenen Bau, durch Diebstahl einer Atombombe oder durch das freiwillige Überlassen durch Staaten oder illoyale staatliche Beamte (vgl. Bunn (2014), S. 175).
Alle drei Wege der Erlangung einer Atombombe würden für eine Terrororganisation hohe praktische Anforderungen stellen.
Am eindeutigsten gilt dies für den eigenen Bau einer Atombombe. Um das dafür erforderliche hoch angereicherte Plutonium herzustellen, wären große und komplizierte technische Vorrichtungen wie etwa Tausende Zentrifugen erforderlich. All dies müsste von hoch spezialisierten Experten bedient bzw. beaufsichtigt werden. Die technischen Hürden sind dabei so hoch, dass daran selbst manche Staaten, die den Bau von Atomwaffen über Jahre versucht haben, gescheitert sind (vgl. Wirz/Egger, S.507). Bedenkt man, dass die organisatorischen und technischen Möglichkeiten nicht-staatlicher Akteure wie Terrororganisationen selbst dann, wenn diese relativ gut organisiert sind, hinter den Möglichkeiten von Staaten weit zurückbleiben, erscheint es wenig realistisch und wird auch von allen Debattenteilnehmern für wenig realistisch gehalten, dass eine Terrororganisation eine solche Infrastruktur aufbauen und lange genug betreiben könnte (vgl. Wirz und Egger (2005), S. 499–502; Bunn (2014), S. 175; Zimmerman (2009), S. 3; Mueller (2010)). Diese maximale Unwahrscheinlichkeit der eigenen Herstellung atomwaffenfähigen Plutoniums durch Terroristen hat Bunn mit den Worten zusammengefasst: „kein Material, keine Bombe“2 (Bunn (2014), S. 175).
Ebenfalls für hoch, aber keineswegs für derart hoch werden von den meisten Beobachtern die Hürden für den Diebstahl nuklearen Materials gehalten. Hoch sind die Hürden hier schon deswegen, weil derartiges Material im Regelfalle einer besonderen Sicherung unterliegt. Trotzdem sind sie niedriger als für den Bau, da atomwaffenfähiges Plutonium nicht nur in mittlerweile neun Staaten mit Atomwaffen gelagert wird, sondern auch in einer großen Zahl von zivilen Atomeinrichtungen wie Forschungsreaktoren, die regelmäßig schlechter gesichert sind. Ferner wäre die Menge an angereichertem Plutonium, das für den Bau einer Atombombe benötigt wird, mit 18 kg HEU für eine simple und etwa 50 kg HEU für eine kompliziertere Bombe nicht so gewaltig, dass ein Diebstahl logistisch nicht geleistet werden könnte. Ferner scheint bereits jetzt ein Schwarzmarkt für Plutonium tatsächlich zu existieren, wie die etwa 20 dokumentierten Fälle eines solchen illegalen Handels seit dem Ende des Kalten Krieges belegen (vgl. Bunn (2014), S. 177–181; Bunn (2010), S. 16–22; Martin (2014), S. 191). Freilich wäre, was einschränkend zu sagen ist, mit dem Diebstahl atomwaffenfähigen Plutoniums noch keine Atomwaffe gebaut, so dass nach wie vor Hürden bestünden (vgl. Wirz/Egger, S. 502; Martin (2014), S. 193), wenn auch niedrigere als bei der eigenen Herstellung atomwaffenfähigen Materials (vgl. Bunn (2014), S. 181; Zimmerman (2009), S. 3–9; Allison (2004), S. 43–86). Ferner wäre beim Diebstahl einer kompletten Atombombe noch nichts über deren Einsatzfähigkeit gesagt, da nicht nur für den Diebstahl, sondern auch für den Einsatz hohe Sicherheitsvorkehrungen überwunden werden müssen (vgl. Wirz/Egger, S. 502). Auch der Diebstahl nuklearen Materials oder ganzer Nuklearwaffen wäre für Atomterroristen mithin keine Erfolgsgarantie.
Soweit es schließlich die freiwillige Überlassung von Atomwaffen an Terroristen betrifft, gilt zwar auch dies als unwahrscheinlich, der Grad an angenommener Wahrscheinlichkeit geht im Schrifttum hier indes am weitesten auseinander. Teilweise wird dieser Weg der Erlangung mit dem lapidaren Hinweis verworfen, kein Staat würde so etwas tun, da Atomwaffen auch nach einem Einsatz zurückverfolgt werden könnten (vgl. Mueller (2010); Sauer (2007a), S. 11–13; Sauer (2007b)). Andere Autoren hingegen betonen, dass zumindest in Staaten wie Pakistan, dessen Sicherheitskräfte von Extremisten mit Terrorismusbezug durchsetzt sind, oder in dem in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung korruptionsgeplagten Russland die Überlassung von atomwaffenfähigem Material an Terrororganisationen durch illoyale Beamte durchaus denkbar erscheint (vgl. Bunn (2010), S. 30 und 32; Bunn (2014), S. 177–181; Graham (2008), S. 67). Die spätere Radikalisierung eines vormaligen muslimischen Mitarbeiters eines belgischen AKW, der während seiner Zeit dort auch sicherheitsrelevante Bereiche betreten durfte, dient darüber hinaus als Beleg, dass auch in westlichen Staaten Szenarien der freiwilligen Überlassung durchaus nicht völlig ausgeschlossen werden können (vgl. Bunn (2016), S. 29). Da indes auch für eine solche Überlassung Sicherheitsvorkehrungen überwunden werden müssten, halten auch diese Autoren eine solches Szenario für wenig real, aber eben doch für realer als die zuvor genannten.
Zumindest Diebstahl und Überlassung sind nach dieser Ansicht mithin zwar schwierig, aber nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Bunn (2016), S. 14). Bei allen Unterschieden im Detail geht die herrschende Ansicht insofern davon aus, dass es sich bei Atomterrorismus um eine reale, aber eher abstrakte Gefahr handelt.
Gleichwohl wird Atomterrorismus von der Mehrheit der damit befassten Praktiker und Wissenschaftler als sehr ernstes Risiko angesehen, da die Wahrscheinlichkeit eines solchen Anschlags zwar gering, die Folgen aber katastrophal wären und das Risiko anhand der Summe aus Wahrscheinlichkeit und Folgen und nicht etwa nur anhand der geringen Wahrscheinlichkeit zu bewerten sei (vgl. Bunn (2010), S. 13–22; Bunn (2014), S. 183–184; Allison (2004), S. 1–16; Allison (2006); Allison (2007); Levi (2007); Mowat-Larssen (2010); Falkenrath et al. (1998), S. 167–216; Carter et al. (1998), S. 80–94; Zimmerman (2009), S. 13–14; Anet (2001)).