Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 17 S. 1 StGB, §§ 1627 S. 1, 1631 Abs. 2 S. 1 BGB - Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung eines männlichen Kleinkindes auf Wunsch der Eltern und unvermeidbarer Verbotsirrtum des Arztes; hierbei auch: Skalpell als nicht gefährliches Werkzeug.

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.


I. Materielles Strafrecht


§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 17 S. 1 StGB, §§ 1627 S. 1, 1631 Abs. 2 S. 1 BGB - Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung eines männlichen Kleinkindes auf Wunsch der Eltern und unvermeidbarer Verbotsirrtum des Arztes; hierbei auch: Skalpell als nicht gefährliches Werkzeug. Der Angeklagte führte fachlich einwandfrei in seiner Praxis in Köln unter örtlicher Betäubung die Beschneidung des zum Tatzeitpunkt vierjährigen J. mittels eines Skalpells auf Wunsch von dessen Eltern (Angehörige des islamischen Glaubens) durch, ohne dass für die Operation eine medizinische Indikation vorlag. Er vernähte die Wunden des Kindes mit vier Stichen und versorgte ihn bei einem Hausbesuch am Abend desselben Tages weiter. Zwei Tage später wurde das Kind von seiner Mutter in die Kindernotaufnahme der Universitätsklinik in Köln gebracht, um Nachblutungen zu behandeln. Die Blutungen wurden dort gestillt. 
Dirk Weingarten

Dirk Weingarten
Polizeihauptkommissar & Ass. jur.
Polizeiakademie Hessen

Der äußere Tatbestand von § 223 Abs. 1 StGB ist erfüllt. Nicht erfüllt sind die Voraussetzungen von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB. Das Skalpell ist kein gefährliches Werkzeug im Sinne der Bestimmung, wenn es - wie hier - durch einen Arzt bestimmungsgemäß verwendet wird. Ein Arzt, der auf Wunsch der Eltern einen vierjährigen Knaben mittels eines Skalpells behandlungsfehlerfrei beschneidet und dabei davon ausgeht, als frommem Muslim und fachkundigem Arzt sei ihm die Beschneidung des Knaben entsprechend dem Wunsch der Eltern, die dem islamischen Glauben angehören, erlaubt, handelt angesichts der insoweit sehr unklaren Rechtslage in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum und somit ohne Schuld. (LG Köln, Urteil v. 07.05.2012 - 151 Ns 169/11)

§§ 240, 249 Abs. 1, 253 Abs. 1, 255 StGB – Zueignungsabsicht beim Raub: Gewaltsame Wegnahme eines Mobiltelefons zwecks Durchsuchens und Kopierens von Bilddateien als Raub oder räuberische Erpressung. Der Angeklagte entwand dem Geschädigten gegen dessen Widerstand ein Mobiltelefon, um im Speicher des Geräts nach Beweisen für die Art der Beziehung zwischen dem Geschädigten und der Schwester des Mitangeklagten zu suchen. Ob der Geschädigte das Gerät zurückerlangen würde, war ihm dabei gleichgültig. Später übertrug er darin gespeicherte Bilddateien auf sein eigenes Handy, um sie an Dritte zu verschicken. 
Danach hat sich der Angeklagte nicht eines Verbrechens des Raubes, sondern nur einer Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht, denn er handelte nicht, wie § 249 Abs. 1 StGB voraussetzt, in der Absicht, das Mobiltelefon sich oder einem Dritten zuzueignen. Weder wollte er sich den Substanz- oder Sachwert des Geräts aneignen noch hat er dessen Wert durch den vorübergehenden Gebrauch gemindert. Es fehlt an dem für eine Aneignung erforderlichen Willen des Täters, den Bestand seines Vermögens oder den eines Dritten zu ändern, wenn er das Nötigungsmittel nur zur Erzwingung einer Gebrauchsanmaßung einsetzt oder wenn er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören“, „zu vernichten“, „preiszugeben“, „wegzuwerfen“, „beiseite zu schaffen“, „zu beschädigen“, sie als Druckmittel zur Durchsetzung einer Forderung zu benutzen oder um den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern. Dass die vom Angeklagten beabsichtigte Durchsuchung des Speichers und das Kopieren der dabei aufgefundenen Bilddateien im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache lag, ändert hieran nichts, denn dies führte nicht zu deren Verbrauch. In diesem Fall kommt auch eine Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung nicht in Betracht, wenn der Täter den mit der Tat verbundenen, im Besitz des Mobiltelefons liegenden Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf andere Zwecke gerichteten Verhaltens hinnimmt. (BGH, Beschl. v. 14.02.2012 – 3 StR 392/11)

§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB - Diebstahl mit Waffen: Schweizer Offiziersmesser als gefährliches Werkzeug. Der Angeklagte begab sich in die Verkaufsräume einer Firma. Dort entnahm er einer Auslage die Verpackung eines U.-Head-Sets und öffnete mit einem mitgeführten Taschenmesser dieselbe. Sodann entnahm er die Ware und versteckte die leere Verpackung. An der Kasse bezahlte er sodann einen anderen Gegenstand und verließ das Ladenlokal, ohne das entnommene Head-Set, im Wert von 40,95  zu bezahlen. Nachdem der Angeklagte das Ladenlokal verlassen hatte, wurde er von Detektiven, die den Diebstahl beobachtet hatten, auf den Diebstahl angesprochen. Der Angeklagte räumte die Tat ein und bezahlte nachträglich die Ware. Die Firma stellte Strafantrag wegen Diebstahls. Bei dem vom Angeklagten mitgeführten Taschenmesser handelt es sich um ein sog. Schweizer Offiziersmesser mit einer heraus klappbaren Klinge von 6 cm Länge und maximal 1,2 cm Breite, wobei eine Seite der Klinge scharf und die andere stumpf ist. 
Führt ein Angeklagter bei einem Diebstahl ein „Schweizer Offiziersmesser“ mit einer Klingenlänge von 6 cm bei sich, so erfüllt er damit den objektiven Tatbestand eines Diebstahls mit Waffen gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Ein solches Taschenmesser ist zwar keine Waffe (anders als ein Spring- oder Faustmesser), entspricht aber dem Tatbestandsmerkmal „anderes gefährliches Werkzeug“. Ein Taschenmesser scheidet nicht deshalb als gefährliches Werkzeug aus, weil es „nicht zum Einsatz gegen Menschen bestimmt“ ist, sondern „in der Regel zum Aufschneiden von Früchten oder auch mit Hilfe weiterer Funktionen zum Öffnen von Flaschen“. Es bleibt die latente Gefahr des Einsatzes gegenüber Menschen. (OLG-Köln, Urteil v. 10.01.2012 - III-1 RVs 258/11, 1 RVs 258/11)

§§ 250 Abs. 2 Nr. 1, 252, 253, 255 StGB – Räuberische Erpressung: hier natürliche Handlungseinheit; besonders schwerer Raub mit geladener Schreckschusspistole, hier: Notwendigkeit tatrichterlicher Feststellungen. Der Angeklagte suchte gemeinsam mit dem gesondert verfolgten S. den Zeugen in dessen Wohnung in der Absicht auf, unter Androhung von Gewalt von ihm 300  zu erlangen und „aus der Wohnung des Zeugen Wertgegenstände mitzunehmen“. Zum Abtransport der angestrebten Beute hatte der Angeklagte eigens eine große leere Sporttasche mitgebracht. Nachdem die Täter von dem Zeugen unter Vorhalt einer geladenen Schreckschusspistole die Herausgabe eines Laptops, eines I-Phones und einer Playstation erzwungen hatten, wurden sie durch Erscheinen eines Besuchers gestört und begaben sich mit der Beute in Richtung der Wohnungseingangstür. Dabei erblickte der Angeklagte auf einem Wäscheständer einen nassen Lacoste-Pullover, den er in Zueignungsabsicht an sich nahm. Als der Geschädigte den Pullover ergriff, schlug der Angeklagte „mit seinem Kopf auf die Nase des Zeugen, um sich den Besitz des Pullovers zu erhalten“. 
Die Wegnahme des Pullovers schloss sich zeitlich und räumlich unmittelbar an die räuberische Erpressung an. Sie wurde unter Fortwirkung der – wenn auch nach Erscheinen des Besuchers möglicherweise gelockerten – Zwangslage begangen. Damit lag natürliche Handlungseinheit vor. Zudem wurde die noch vor Beendigung der räuberischen Erpressung begangene Wegnahme des Pullovers von dem Entschluss des Angeklagten getragen, „aus der Wohnung des Zeugen Wertgegenstände mitzunehmen“. Jedoch sind die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht belegt. Es wurde durch den Tatrichter nicht festgestellt, dass nach der Bauart der Schreckschusspistole beim Abfeuern der Munition der Explosionsdruck nach vorne durch den Lauf austritt und es sich deshalb um eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1a) und Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt. (BGH, Beschl. v. 06.06.2012 - 5 StR 233/12)

§§ 263, 22, 23 StGB - Betrug durch falsche Tatsachenbehauptungen im Mahnverfahren. Die Angeklagte beantragte bei dem zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Mahnbescheides gegen die F. B. GBR mbH über eine Hauptforderung von 180.960 Euro. Als Anspruchsgrund bezeichnete sie dabei einen „Dienstleistungsvertrag gemäß Rechnung vom 02.11.2006“. Sowohl die geltend gemachte Forderung, als auch der zu ihrer Begründung herangezogene Vertrag waren – wie die Angeklagte auch wusste – nicht existent. Die Geschäfte der F. B. GBR mbH wurden von der Mitangeklagten U. B. (der Mutter der Angeklagten) und der AG gemeinsam geführt. Beide waren nach dem Gesellschaftsvertrag nur gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt. Der Mahnbescheid wurde antragsgemäß erlassen und entsprechend den Angaben der Angeklagten im Mahnantrag der Mitangeklagten U. B. unter deren Wohnanschrift zugestellt. Diese benachrichtigte absprachegemäß die AG nicht von der erfolgten Zustellung und ließ die Widerspruchsfrist verstreichen. Die Angeklagte erwirkte daraufhin einen Vollstreckungsbescheid, der der F. B. GBR mbH wiederum unter der Wohnadresse der Mitangeklagten U. B. zugestellt wurde. Auch hiervon erlangte die AG keine Kenntnis. Nach dem Ablauf der Einspruchsfrist beantragte die Angeklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Bezug auf ein Konto der F. B. GBR mbH bei der Deutschen Bank und erhielt nach dessen Erlass von der Drittschuldnerin 184.324,60 Euro überwiesen. 
Im Mahnverfahren kann durch falsche Tatsachenbehauptungen bei der Antragstellung ein Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB begangen werden. Werden die Mahnbescheidsanträge aber nur maschinell bearbeitet, scheidet eine Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs aus, weil es an der erforderlichen Täuschung einer natürlichen Person (des bearbeitenden Rechtspflegers) fehlt. (BGH, Beschl. v. 20.12.2011 - 4 StR 491/11)

§§ 29ff BtMG, § 46 StGB – Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Berücksichtigung der Beteiligung verdeckter Ermittler bei der Strafzumessung. Im Rahmen der Strafzumessung bei unerlaubtem Betäubungsmittelhandel sind staatliche Beteiligungshandlungen an Drogengeschäften als gewichtige Strafzumessungsgründe zu berücksichtigen, insbesondere bei einer staatlichen Initiative zu einem konkreten Drogengeschäft. (BGH, Beschl. v. 09.02.2012 – 2 StR 455/11)

II. Prozessuales Strafrecht

§§ 52, 252 StPO - Einführung der polizeilichen Vernehmung eines Arztes in die Hauptverhandlung nach Widerruf der Entbindung von der Schweigepflicht. Die von einem Arzt als Zeugen nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen einer polizeilichen Verneh-
mung gemachten Angaben dürfen auch nach Widerruf der Entbindungserklärung seitens des Geschädigten durch Vernehmung des polizeilichen Vernehmungsbeamten in die Haupt-
verhandlung eingeführt und im Urteil verwertet werden. 
Vorliegend fügte die Angeklagte ihrem Ehemann mit einem Butterflymesser zwei Stichverletzungen in den linken Oberkörperbereich zu, nachdem dieser sich schützend vor seine neue Partnerin gestellt hatte, der die Angeklagte als Nebenbuhlerin das Gesicht zerschneiden wollte. Der Geschädigte - als Ehemann der Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt - hatte zunächst die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. In der Hauptverhandlung machten dann sowohl der Geschädigte als auch die behandelnden Ärzte, gegenüber denen der Geschädigte mittlerweile die Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen hatte, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Die Vorinstanz hat deshalb die Angaben des behandelnden Arztes über die Verletzungen 
des Geschädigten dadurch in die Hauptverhandlung eingeführt, dass es die polizeiliche Vernehmungsbeamtin zu den von diesem im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben vernommen hat. Zum Zeitpunkt seiner polizeilichen Vernehmung waren die behandelnden Ärzte vom Geschädigten von der Schweigepflicht entbunden gewesen. (BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 1 StR 547/11)