Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex – Wallmeister der Festung Europas oder Garant für die Sicherheit der Außengrenzen?


Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin

Die humanitären Katastrophen im Mittelmeer haben die Gremien der EU in eine Krise gestürzt. Offensichtlich wurden lange Zeit die irreguläre Migration und ihre sicherheitspolitischen Implikationen im Gegensatz zu den Warnungen von Fachleuten nicht als Weltordnungsproblem Nummer Eins erkannt oder einfach ignoriert. Im Fokus der nun aufbrandenden Diskussion um Migrationsdruck, Bekämpfung verbrecherischer Schlepperbanden und Erarbeitung einer neuen Flüchtlingsstrategie steht die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit ihrer Operation Triton vor den Küsten Italiens, der nun Funktionen zugeschanzt werden sollen, die sie nach bisheriger Lesart –wie nachstehend ausgeführt- nicht leisten kann.

Das Stockholmer Programm und die Folgen

Wesentliches Element des Programms war das „Integrierte Grenzmanagement für die Außengrenzen“, um illegale Einwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen und um damit ein hohes Maß an Sicherheit aufrechtzuerhalten. Ausdrücklich wurde die Stärkung der Rolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gefordert, um deren Fähigkeit zu verbessern, wirksamer auf sich verändernde Migrationsströme zu reagieren. Gleichzeit wurde die essentielle Rolle von Frontex für eine Bewertung eines Schengen-Raums ohne Binnengrenzkontrollen betont. Bei der langfristigen Weiterentwicklung von Frontex sollte auch die Möglichkeit der Schaffung einer Europäischen Grenzschutztruppe geprüft werden.

Offensichtlich hatte man im ursprünglichen europäischen Impetus nur bedingt die Schattenseiten eines grenzenlosen Binnenraums gesehen. Fallen Grenzen und Kontrollen weg, bedeutet dies Verwundbarkeit gegenüber grenzüberschreitender Kriminalität, Terrorismus, Drogenkriminalität, irregulärer Migration und Ausbreitung von Epidemien. Schengen, einst der Hermelinbesatz der europäischen Einigung, ist zwischenzeitlich in den Augen einer kritischen Öffentlichkeit zur Chiffre für grenzenlose Kriminalität und irreguläre Massenimmigration geworden. Frankreich und Deutschland sahen sich sogar gezwungen, im Schengener Grenzkodex eine Notfallklausel durchzusetzen, der die begrenzte Einführung von Grenzkontrollen bis zu maximal zwei Jahren für den Fall erlaubt, dass ein Schengenstaat trotz EU-Hilfen seine Außengrenzen nicht mehr schützen kann und die innere Sicherheit anderer Staaten massiv bedroht ist.


Im Einsatzraum Triton beschlagnahmte Schlepperschlauchboote


Unverändert besteht das Problem der europäischen Migrationspolitik darin, dass die Interessenlagen im Bereich der Migrations- und Asylpolitik höchst unterschiedlich sind. Weder werden die damit zusammenhängenden Probleme als Querschnittsaufgabe verstanden noch ist Entwicklung geeigneter Interventionsstrategien erkennbar. Das Gesamtbild wirkt eher disparat. Auch wenn die Kommission und insbesondere die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström auf eine wirkungsvolle gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik, stärkere Kontrollen an den EU-Außengrenzen und wirkungsvollere Anwendung der Schengenregeln pocht, sind signifikante Auswirkungen nicht erkennbar. Im Gegenteil: Führende griechische Politiker drohten Anfang März 2015 sogar, 300.000 Immigranten, darunter möglicherweise auch Dschihadisten, Papiere auszustellen und damit Europa zu überfluten.
Unter diesen Vorzeichen sind Schleusungen zum Millionengeschäft geworden, zumal sie als „high profit-low risk“-Geschäftsmodell gelten. Geisterschiffe, bei denen mit Flüchtlingen vollgestopfte ausgemusterte Seelenverkäufer unter der Flagge von Billigländern ohne Treibstoff und mit blockierter Steuerung von der Crew verlassen und ihrem Schicksal überlassen werden, sind der aktuelle Höhepunkt des Geschäfts mit dem Elend dieser Welt. Der zwischenzeitlich eingestellte Versuch der italienischen Marine, mit der Aktion „Mare Nostrum“ Flüchtlinge aus Seenot zu retten, hatte die Schleusungsaktivitäten eher verstärkt, konnten doch die Hintermänner der kriminellen Machenschaften damit rechnen, dass ihre Elendsfracht im Bedarfsfall aus Seenot gerettet wird. Gleiches gilt für die Nachfolgeaktion „Triton“ von Frontex, die allerdings vorrangig einen Grenzschutzauftrag hat.
Was eine Zeitlang als Vermutung galt, hat sich zwischenzeitlich erhärtet. Menschenschmuggel ist nach dem Drogenhandel das lukrativste Geschäft innerhalb der Organisierten Kriminalität. Der Reingewinn wird weltweit auf bis zu 5 Milliarden Dollar geschätzt, allein die Schleuserringe, die sich auf Afrika spezialisiert haben, erwirtschaften einen jährlichen Reingewinn von 150 Millionen Dollar. Immer deutlicher werden Querverbindungen zu terroristischen Gruppierungen sowie die Beteiligungen am Waffen- und Drogenschmuggel. Die Presse wurde erst hellhörig, als aus einem Strategiepapier des sogenannten Islamischen Staates hervorging, dass dieser die Flüchtlingsströme nutzen will, um Europa mit Terroristen zu infiltrieren. Dazu wollen die Dschihadisten die zentrale geographische Lage von Libyen nutzen und sich der Flüchtlingsboote gleichsam als trojanische Pferde bedienen.
Großrazzien gegen Schleusergruppierung sowie die Einrichtung gemischter Ermittlungsgruppen haben inzwischen Hochkonjunktur. Ende Januar 2015 fanden zeitgleich in neun Bundesländern Großrazzien gegen Schleusergruppierungen statt, bei der über 500 Bundespolizisten einschließlich der GSG 9 der Bundespolizei, 200 Beamte der Landespolizeien und Ermittler der Bundeszollverwaltung beteiligt waren. Elf Haftbefehl wurden vollstreckt. Ausgangspunkt waren fünf Ermittlungsverfahren, an denen auch Beamte von Europol sowie der niederländischen und bulgarischen Polizei beteiligt waren. Den kriminellen Banden konnten über 200 Schleusungen nachgewiesen werden, die neben den 3.500 Euro für gefälschte Visa bis 8.000 Euro pro Schleusung verlangten. Bei einer weiteren Großrazzia in sieben europäischen Ländern ebenfalls Ende Januar 2015 unter Federführung von Europol, das nunmehr eine Spezialeinheit gegen Menschenschmuggel eingerichtet hat, wurden 46 Personen unter dem Verdacht festgenommen, über 10.000 Kosovaren illegal in die EU verbracht zu haben, wobei für eine Familie z.B. Schleuserkosten von 7.000 Euro entstanden.
Während sich die deutsche Gazetten im Frühjahr weitgehend den Krisen in Griechenland und in der Ukraine widmeten, hatten renommierte europäische Blätter schon längst eine für Europa wesentlichere Bedrohung ausgemacht. So titelte der französische Figaro „Illegale Zuwanderung nach Europa: die Explosion“ und wartete auf drei Seiten mit Zahlen und Fakten über dies kommende Weltordnungsproblem Nummer 1 auf. Immer deutlicher wird, dass die gemeinsamen Regeln des Schengen- und Dublin-Aquis nur noch Programm sind und von einigen EU-Mitliedstaaten unterlaufen werden. So registrieren Italien und andere Staaten an den Außengrenzen die Flüchtlinge nicht mehr und lassen sie weiterziehen. Über 3.000 unbegleitete Minderjährige sind spurlos aus italienischen Aufnahmeeinrichtungen verschwunden. Unterdessen sind die Warnzeichen auch im deutschen Blätterwald angekommen, denn die Alarmzeichen werden immer bedrohlicher. Während das Mittelmeer zunehmend zur Todesfalle für die Karawane des Elends wird, die von skrupellosen Schleuserbanden mit immer neuem Nachschub gefüttert wird, rechnen Experten mit bis zu einer Millionen migrationswilligen Personen allein aus Afrika. Die Politik wirkt hilflos, obwohl die Alarmglocken schon seit Jahren schrillen.
Breit wurden Anfang April des Jahres die Ausführungen des Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums Romann thematisiert. Nach seinen Angaben registrierte die Bundespolizei allein 2014 57.00 unerlaubte Einreisen, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 75 Prozent, und erfasste 27.000 illegal Lande aufhältige Personen. Außerdem nahm die Bundespolizei 2014 mehr als 2.100 Schleuser fest. Bei seinen Ausführungen ließ der Behördenleiter deutliche Zweifel an der Wirksamkeit der europäischen Mechanismen zur Steuerung der Zuwanderung erkennen, denn die Lenkung und Kontrolle der irregulären Menschenströme über das Mittelmeer ist eigentlich eine Angelegenheit der gesamten EU und nicht nur der Mittelmeeranrainer. Hierfür fehlen allerdings die finanziellen Mittel, eine belastbare Strategie und ein gemeinsamer politischer Wille.
Nicht zuletzt durch die Zunahme der dschihadistischen Bedrohung als Folge innerstaatlicher ethnischer Auseinandersetzungen gewinnen effektive Außengrenzkontrollen einen zusätzlichen Stellenwert, tragen sie doch dazu, radikale Rückkehrer frühzeitig zu identifizieren oder an der Ausreise zu hindern. Um die Rückkehr von Kämpfern aus Krisengebieten und um die Einreise anderer als gefährlich geltender Personen bei der Einreise in die EU zu erschweren oder zu verhindern, hat EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos strengere Grenzkontrollen unter Verwendung einer Liste mit Risikoindikatoren angekündigt, die aus naheliegenden Gründen nicht bekanntgegeben werden, aber die Wirksamkeit von Außengrenzkontrollen nunmehr weiter in den Fokus der sicherheitspolitischen Überlegungen rücken. Durch die prekäre Lageentwicklung wird die europäische Grenzschutzagentur Frontex, ehedem eher im Halbschatten einer europäischen Sicherheitsstrategie stehend, zunehmend deutlicher zu einem Hauptakteur im Ensemble europäischer Sicherheitsdienstleister, was letztendlich in einer verbesserten Finanzausstattung und in einer Erweiterung ihres Einsatzspektrums deutlich wird. Ihr eigentliche Funktion und Aufgabenwahrnehmung ist jedoch nur wenigen bekannt. Dies wird allein dadurch deutlich, dass selbst Fachleute in Unkenntnis der Fakten Frontex auffordern, die Rettungsaktion der „Mare Nostrum“ der italienischen Marine fortzusetzen. Hierzu wurde Frontex weder geschaffen, noch ist es materiell und personell in der Lage, diese Sisyphusarbeit zu leisten.

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