WEISSER RING

Der WEISSE RING: Seit 40 Jahren Stimme der Opfer


Von Karl-Heinz Weber,
Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz, Polizeipräsident a.D.

„Wenn alle den Täter jagen, wer bleibt dann beim Opfer?“ Unter diesem Motto haben vor 40 Jahren 17 herausragende Männer und Frauen – unter ihnen der Journalist und bekannte Fernsehmoderator der Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ Eduard Zimmermann – den WEISSEN RING gegründet. Ihr Ziel: Opfern von Straftaten eine Stimme geben, auf ihre Belange und Bedürfnisse aufmerksam machen und alles daran setzen, ihre rechtliche und soziale Situation zu verbessern. Denn früher hatten Opfer keine Lobby. Es gab keinen, der für sie einstand. Opfer von Straftaten wurden alleingelassen, waren vor Gericht häufig nicht mehr als Objekt und schlichtes Beweismittel, um den Täter zu überführen. Ob, wie und in welcher Form sie unter den Folgen einer Tat leiden mussten und Entschädigungsleistungen für an ihnen begangenes Unrecht erwarten konnten, blieb häufig unklar oder gänzlich unbeantwortet.

Nach und nach begann sich dies allerdings zu ändern. Die staatliche Unterstützung wurde verbessert, Opfer erhielten schneller und unbürokratischer finanzielle Unterstützung. Darüber hinaus erhielten sie auch im Strafprozess mehr Rechte, Traumabehandlungen und anderweitige Betreuungsmaßnahmen von Opfern nach der Tat wurden ausgeweitet. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre sind mehr als erfreulich – möglich geworden sind sie auch durch den massiven und unermüdlichen Einsatz des WEISSEN RINGS. Denn bis heute hilft der Verein Opfern von Straftaten ganz praktisch und behutsam, etwa durch Trost und Beistand, Begleitung zur Polizei oder zu Gerichten oder durch Weitervermittlung an andere Organisationen. Der Verein leistet auch finanzielle Hilfen. Inzwischen ist der WEISSE RING mit über 100.000 Förderern Deutschlands größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und verfügt über ein flächendeckendes Hilfenetzwerk. Rund 3200 ehrenamtliche, professionell ausgebildete Mitarbeiter stehen in bundesweit 420 Außenstellen Menschen in Not mit Rat und Tat zur Seite. Der Verein verfügt auch über ein bundesweites und kostenloses Opfer-Telefon, deren Mitarbeiter an allen sieben Wochentagen unter der Rufnummer 116 006 von 7 bis 22 Uhr Hilfe, Rat und Orientierung geben. Mit der Einrichtung einer Onlineberatung stellt sich der WEISSE RING nun auch aktuellsten Herausforderungen.
Darüber hinaus tritt der Verein aber auch öffentlich für die Belange und Bedürfnisse von Kriminalitätsopfern ein. Als fester und gefragter Ansprechpartner für Medien hat es sich der WEISSE RING zum Ziel gemacht, die Opferperspektive in der Öffentlichkeit zu verankern. Was müssen diejenigen erdulden und durchmachen, denen unverschuldet Leid geschieht? In deren Leben ungefragt eingegriffen wird? Die oft noch jahrelang nach einer an ihnen begangenen Straftaten nicht nur die körperlichen, sondern auch die psychischen und seelischen Folgen einer Straftat spüren und sich den Weg zurück in ein normales Leben mühsam erkämpfen müssen? All dies und mehr möchte der WEISSE RING ins seiner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit vermitteln. Der WEISSE RING ist aber auch Dialogpartner der Politik. Konkret heißt das, dass er seine Haltung und seine Erfahrung aus 40 Jahren Opferhilfe in die politische Debatte und in den Prozess der politischen Meinungsbildung einbringt, den Finger in offene Wunden legt und darauf aufmerksam macht, wo es hakt und klemmt und wo Verbesserungsbedarf besteht.
Nicht zuletzt ist auch Prävention fest in der Satzung des WEISSEN RINGS verankert. Vorbeugung ist der beste Opferschutz – nach diesem Grundsatz gehen unsere Mitarbeiter vor, wenn sie beispielsweise in Schulen gehen und mit Kindern und Jugendlichen über Mobbing und Beziehungsgewalt sprechen oder an Infoständen auf Kriminalität gegenüber Senioren aufmerksam machen. Die Bandbreite der Präventionsarbeit beim WEISSEN RING ist sehr groß. Vor allem ist die Präventionsarbeit des Vereins aber auch sehr praktisch ausgelegt. So finden sich beispielsweise auf der Website des WEISSEN RINGS oder in den Broschüren, die der Verein herausgibt, praktische Tipps zur Sicherung des Hauses oder Wohnung, um Einbrechern von vorn herein keine Chance zu geben, aber auch Verhaltenstipps zu den Themen K.O.-Tropfen, Zivilcourage und Blind Dates. Das Ziel ist, über Gefahren und Risiken zu informieren, nicht zu bevormunden, aber auch, nicht künstlich und unnötig Angst zu schüren. Denn gerade auch beim Thema Prävention ist Behutsamkeit angebracht. Dies wird unseren Mitarbeitern konstant vermittelt.

Das Ehrenamt – eine unschätzbar wichtige Säule


In den vier Jahrzehnten seines Bestehens konnte der WEISSE RING vielen hunderttausend Kriminalitätsopfern und ihren Angehörigen helfen. Bereits auf den ersten Blick verdeutlichen das Zahlen sehr gut: Seit Bestehen des Vereins wurden insgesamt mehr als 345.700 materielle Hilfeleistungen erbracht. Für Opferbetreuungsmaßnahmen wie Umzugshilfen, Hilfeschecks für anwaltliche oder psychotraumatologische Erstberatungen oder rechtsmedizinische Untersuchungen wurden mehr als 200 Millionen Euro bereitgestellt. Das Opfer-Telefon verzeichnet seit dem Start der Rufnummer 116 006 im September 2010 über 83.400 Hilfsgespräche mit über 550.000 Gesprächsminuten (alle Angaben: Stand Dezember 2015).
Es gibt darüber hinaus aber noch einen zweiten Blick – einen dahinterliegende und den Zahlen zugrunde liegende Ebene, die in Form von Daten und Werten gar nicht mess- und erfassbar ist: die vielen zigtausend Stunden des ehrenamtlichen Einsatzes, die die Mitarbeiter des WEISSEN RINGS in ihrer praktischen Opferhilfe vor Ort und am Telefon leisten. Sie sind es, die das Rückgrat des Vereins bilden und flächendeckende professionelle Opferhilfe in Deutschland überhaupt erst möglich machen. Sie hören zu, begleiten und sprechen Mut zu. Sie geben Betroffenen nicht nur Selbstvertrauen zurück, sondern helfen auch dabei, wieder Vertrauen in die Gesellschaft zu fassen und ein Gefühl von Sicherheit im täglichen Leben zurückzugewinnen. Und sie vermitteln natürlich auch schnell und unbürokratisch finanzielle Hilfen, wo es nötig wird. Keine Frage: Der Beitrag der ehrenamtlichen Mitarbeiter des WEISSEN RINGS ist von unschätzbarem Wert und eine zentrale Säule, um die Arbeit des Vereins zu gewährleisten. Ein Beispiel aus der Opferhilfe-Praxis des WEISSEN RINGS kann dies ganz plastisch verdeutlichen:

Hilfe nach Stalking

Vier Jahre lang wurde Andrea Mau aus Rotenburg (Wümme) von einem Stalker bedrängt, der tief in ihr Leben eingriff und es massiv einschränkte. Im Dezember 2006 besuchte Mau ein Internet-Chatportal, um neue Bekanntschaften zu machen. Mit einem Kontakt wurde der Austausch intensiver, man traf sich persönlich – und Mau verliebte sich. Ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen zog Mau mit ihrer Tochter beim neuen Freund ein.
Anfangs waren es nur Auffälligkeiten des Neuen, denen Mau noch keine Beachtung schenkte: Ärger mit der Ex-Freundin, viele diesbezüglich geführte Telefonate und verschickte SMS, üble Beschimpfungen. Darüber hinaus kam vom neuen Lebensgefährten auch immer wieder Kritik am Erziehungsstil von Andrea Mau, was ihre Tochter betraf. Einmal duschte der neue Freund die kleine Tochter als Erziehungsmaßnahme eiskalt ab. Das Maß war voll, Andrea Mau wollte raus – doch der neue Freund hinderte sie nicht nur am Hinausgehen, sondern schlug auch zu. Vorfälle wie diese wiederholten sich noch viele Male. Nach den Vorfällen kam stets die Reue des Freundes – und Andra Mau vergab ihm. Dann kam allerdings ans Licht, dass der Freund noch ein Verhältnis zur Ex-Freundin unterhielt. Ein Streit folgte. Wieder wurde der Freund gewalttätig, brach Andrea Mau zwei Rippen.

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