Recht und Justiz

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 211, 22, 23 StGB – Versuchter Mord; hier: Heimtücke durch Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt., 22, 23 StGB – Versuchte gefährliche Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges; hier: Holzknüppel. § 252 StGB – (Schwerer) Räuberischer Diebstahl; hier: Besitzerhaltungsabsicht gerade auch bei der Flucht. (...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht

§§ 211, 22, 23 StGB – Versuchter Mord; hier: Heimtücke durch Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit. Der Angeklagte (A.) lebte wegen wiederholter verbaler und körperlicher Auseinandersetzungen gegenüber seiner Ehefrau räumlich von ihr und den drei gemeinsamen Kindern getrennt. Er fühlte sich ausgegrenzt und gedemütigt, da ihm nach seiner Ansicht nicht der notwendige Respekt entgegenbracht wurde. Als er erfuhr, dass erneut ein Türkeiurlaub seiner Familie bevorstand, war er darüber sehr verärgert. Er wollte deshalb seine Ehefrau, das spätere Tatopfer, zur Rede stellen und ihr eine Lektion erteilen. Er nahm zwei Küchenmesser mit, die er ihr gegenüber „zumindest“ als Drohmittel einsetzten wollte. Nachdem er unter einem Vorwand seinen Sohn zum Einkaufen weggeschickt hatte und nunmehr mit seiner Ehefrau allein in der Wohnung war, begab er sich – mit bedingtem Tötungsvorsatz – ohne vorherige Ankündigung und wortlos mit jeweils einem Messer in einer Hand in die Küche, in der seine Ehefrau ein Backblech spülte. Die Ehefrau sah den A. in dem Türrahmen der Küchentür stehen und in die Küche herein treten. Sie sah ihm in die Augen, in der festen Erwartung, nun wieder Vorhalte gemacht zu bekommen. Sie wollte dem aus dem Weg gehen, stellte deswegen ihr Backblech ab, trat ein bis zwei Schritte auf ihren Ehemann zu, um die Küche zu verlassen, wobei sie nicht bemerkte, da sie ihm nach wie vor in die Augen schaute, dass A. die beiden Messer in den Händen hielt. In dieser Situation versah sie sich insoweit keinerlei Angriffs ihres Ehemanns. Der A., der erkannte, dass seine Frau – wie von ihm erwartet – arglos und deswegen auch wehrlos war, nutzte dies aus und ohne mit ihr ein Wort zu wechseln versetzte er seiner Ehefrau daraufhin einen ersten Stich in den Bauch und in den Oberkörper. Die Geschädigte sank zu Boden, woraufhin er ihr eine Vielzahl weiterer Messerstiche „wahllos auf den Körper“ versetzte. Der zwischenzeitlich zurückgekehrte gemeinsame Sohn trat dem A. gegen den Kopf und zog ihn von der Mutter weg. Durch eine anschließende Notoperation wurde die Geschädigte gerettet.
Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt. (BGH, Beschl. v. 24.09.2014 – 2 StR 160/14)

§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt., 22, 23 StGB – Versuchte gefährliche Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeuges; hier: Holzknüppel. Der Angeklagte (A.) war Teil einer Gruppe von Gegendemonstranten der „linken Szene“, die eine Demonstration von Personen der sogenannten „rechten Szene“ stören wollten. Ein Großaufgebot der Polizei, zu dem unter anderem auch der Zeuge Polizeikommissar Q. (Q.) gehörte, hatte dabei die Aufgabe, den ungestörten Ablauf der Demonstration zu gewährleisten. Nachdem zahlreiche Personen aus der „linken Szene“ gewaltsam versucht hatten, von der Polizei errichtete Sperrstellen, die einen Kontakt der beiden Gruppen verhindern sollten, zu durchbrechen, wobei sie zu diesem Zweck die eingesetzten Polizeibeamten attackierten, schlug der A. von hinten kommend aus vollem Lauf mit einem Holzknüppel mit einer Länge von mindestens 30 cm auf den von dem Q. getragenen Einsatzhelm. Durch die Dicke des Helms ausreichend geschützt blieb der Q. unverletzt.
Ein gefährliches Werkzeug ist nach der in ständiger Rechtsprechung verwendeten Formel ein solches, dass nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. In den Feststellungen des AG wird allerdings weder die objektive Beschaffenheit des verwandten Stockes hinreichend konkret mitgeteilt (wie z.B. Breite bzw. Dicke des 30 cm langen Holzknüppels sowie Feststellungen, ob es sich um ein kantiges oder rundes Schlagwerkzeug gehandelt hat) noch die Art der Benutzung (Wucht bzw. Intensität des Schlages). Allein die Beschreibung als „Holzknüppel“ lässt vor dem Hintergrund der in der Beweiswürdigung mitgeteilten Beschreibungen des vom A. verwandten, jedoch später nicht mehr aufgefundenen Gegenstands, keine ausreichenden Rückschlüsse auf dessen (tatsächliche) objektive Beschaffenheit zu. Dass der A. „aus vollem Lauf“ auf den behelmten Kopf des Zeugen Q zugeschlagen haben soll und ein Zeuge den Schlag ergänzend als „Paradebeispiel für einen Schlag mit dem langen Arm“ beschrieb, lässt ferner keinen hinreichenden Rückschluss auf die Wucht des geführten Schlages zu. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Q. auf diesen Schlag nicht reagiert, sondern (einfach) weitergegangen sein soll, unverletzt blieb und die Feststellungen des Urteils sich auch nicht zu einer Beschädigung des Helms (Delle, Kratzer etc.) verhalten. Da der Schlag mit dem vom A. verwandten Gegenstand den Q. nicht etwa an einem ungeschützten Körperteil, sondern – nach den Feststellungen offenbar auch gezielt – den durch den Helm geschützten Kopf traf, waren diese Feststellungen zur Bejahung des Einsatzes eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB unverzichtbar.
Das AG Dortmund verurteilte den A. wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das OLG hob die Entscheidung auf, verwies die Sache zurück und gab zudem den Hinweis, dass abhängig von den seitens des AG neu zu treffenden Feststellungen allerdings gegebenenfalls auch eine Strafbarkeit nach § 113 StGB in Form des tätlichen Angriffs in Betracht käme. (OLG Hamm, Beschl. v. 13.05.2014 – 1 RVs 33/14)

§ 252 StGB – (Schwerer) Räuberischer Diebstahl; hier: Besitzerhaltungsabsicht gerade auch bei der Flucht. Der Angeklagte (A.) entwendete in einem Einkaufsmarkt 17 Speicherkarten im Gesamtwert von 637,92 Euro. Bei dieser Tat führte er wissentlich ein scharfes Taschenmesser sowie eine Schere bei sich. Im Kassenbereich wurde A, der die Ware in seinem Jackenärmel verborgen hielt, von einem Detektiv gestellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte er nun „mitsamt seiner Diebesbeute fliehen“ und versuchte dabei, „den Detektiv zur Seite zu stoßen“. Dieser hielt ihn jedoch mit erheblichem Kraftaufwand fest und verbrachte ihn nach einem kurzen Gerangel unter Mithilfe eines anderen Mitarbeiters in das Detektivbüro. Auch dort versuchte der A, „sich zu entreißen und mit der Beute zu fliehen“, was nur unter Mithilfe eines dritten Mitarbeiters des Fachgeschäfts verhindert werden konnte.
Der Täter eines räuberischen Diebstahls muss mit Besitzerhaltungsabsicht handeln. Das heißt, dass die Drohung oder Gewaltanwendung zum Ziel haben muss, sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. Diese Absicht muss nicht der einzige Beweggrund für die Gewaltanwendung sein. Die Beweiswürdigung der Strafkammer erachtet der BGH als lückenhaft, denn die Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, woraus die Strafkammer den Schluss gezogen hat, der A. habe sich durch die Anwendung von Gewalt gegen den Kaufhausdetektiv den Besitz der entwendeten Speicherkarten erhalten wollen. Allein aus dem erwiesenen Umstand, dass er sich seiner Beute nicht entledigte, sondern diese bis zum Eintreffen der Polizei im Büro des Kaufhausdetektivs bei sich trug, lässt sich eine Besitzerhaltungsabsicht nicht ableiten. Die Flucht unter Mitnahme der Beute begründet die für den Tatbestand des § 252 StGB erforderliche Besitzerhaltungsabsicht nicht ohne Weiteres, legt sie allenfalls nahe. (BGH, Beschl. v. 04.09.2014 – 1 StR 389/14).

Seite: 12weiter >>