Technik

„Vor dem Täter am Tatort“

– Musterbasierte Tatortvorhersagen am Beispiel des Wohnungseinbruchs


Dr. Thomas Schweer, Mitbegründer des Instituts für musterbasierte Prognosetechnik


Im Jahr 2013 registrierte die Polizei bundesweit 149.500 Wohnungseinbrüche, darunter 60.099 unvollendete (40,2%) und 89.401 vollendete (59,8%) (Polizeiliche Kriminalstatistik 2013:169). Dies bedeutet einen Anstieg zum Vorjahr um 3,7%. Betrachtet man den Zeitraum 2006-2013, beträgt der Anstieg gar 36%. Während die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin besonders belastet sind, weisen die Bundesländer Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg unterdurchschnittliche Belastungszahlen auf. Generell lässt sich sagen, dass kaum ein anderes Deliktfeld in den letzten Jahren einen so rasanten Anstieg zu verzeichnen hat wie der Wohnungseinbruchsdiebstahl.

Die Aufklärungsquote lag bei gerade einmal 15,5% (Polizeiliche Kriminalstatistik 2013:168), wobei Thüringen mit 38,5% die höchste und Hamburg mit 7,7% die niedrigste Quote aufwies. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern relativieren sich jedoch, betrachtet man Aufklärungs- und Verurteilungsquote zusammen. Das Kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen erklärt sich diesen Umstand damit, dass in einigen Behörden Wohnungseinbrüche zu vorschnell als aufgeklärt betrachtet werden. Nichtsdestotrotz beklagt das KFN zu recht, dass „in Deutschland ... das Risiko, wegen eines Wohnungseinbruchs belangt zu werden, skandalös niedrig aus(fällt)“ (Wollinger et al 2014:11). Die Gründe hierfür sehen Clages/Zimmermann (2010:288) u.a. bei Mängeln in der Tatortbefunderhebung, in der Qualität der Ermittlungsarbeit oder auch in Personaleng-pässen.
Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Straftaten geht auf das Konto von überregional operierenden, professionell organisierten Gruppierungen, die bei ihren Einbruchsserien höchst effizient vorgehen. Diese Banden arbeiten arbeitsteilig und verfügen über eine ausgefeilte Logistik, was beispielsweise die Erkundung von Tatorten, ihre Begehungsweise und die Auswahl bzw. den Absatz der Beute anbelangt. Sie produzieren durch ihre Taten hohe Schäden, nicht nur materieller Art. Häufig wiegen die Verletzung der Privatsphäre und der Verlust des Sicherheitsgefühls wesentlich schwerer.
Die Täter hebeln Eingangstüren und Fenster auf, stehlen Bargeld, Schmuck und Laptops. Sperrige Gegenstände könnten dagegen beim Abtransport für Argwohn sorgen. Beliebt bei den Tätern sind auch Beutestücke, „die gut verkauft werden können oder zum Selbstverbrauch bestimmt sind“ (Alkohol, Zigaretten) (Balogh 2013:8). Auch Werkzeuge werden gerne entwendet. Nicht selten werden sie später für die Begehung weiterer Einbrüche genutzt.
Haushalte bzw. Gebiete in denen bereits ein Einbruch erfolgt ist, müssen mit höherer Wahrscheinlichkeit mit weiteren Einbrüchen im unmittelbaren Umfeld rechnen als unbelastete Räume. Dieses Täterverhalten kann unter Einsatz von automatisierter Computertechnik als musterbasiert erkannt und somit prognostiziert werden. Diese neue Form der polizeilichen Verbrechensbekämpfung firmiert unter dem Begriff „Predictive Policing“, was soviel bedeutet wie „voraussehende Polizeiarbeit“. Ziel ist es, in großen Datenmengen Muster zu erkennen, um daraus Rückschlüsse auf zukünftige Taten zu ziehen. Das Institut für musterbasierte Prognosetechnik (IfmPt) hat sich der Entwicklung solcher Methoden und Techniken verschrieben und gibt im Folgenden einen Überblick über den aktuellen Stand seiner Arbeit.

Datengrundlage


PRECOBS (Pre Crime Observation System) ist eine Software, um Techniken und Methoden der geografisch, mathematisch und sozialwissenschaftlich unterstützten Kriminalitätsanalyse zu kombinieren und damit neue manuelle und automatische Prognosetechniken für die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs bereitzustellen. PRECOBS grenzt sich ganz bewusst von Systemen ab, die ausschließlich mathematisch-statistisch basiert sind, in dem es auch kriminalistische, soziologische und psychologische Elemente in die Methodik einbindet (z. B. die die Rational-Choice-Theorie oder die Routine-Activity-Theorie). An der Entwicklung dieser neuen GIS-basierten Prognosemethode waren deshalb auch Polizeibeamte beteiligt, deren langjährige Erfahrung maßgeblich die Methodik geprägt hat.
PRECOBS arbeitet ausschließlich mit Falldaten aus den polizeilichen Vorgangserfassungs-systemen. Dazu gehören Angaben zur Tatzeit1 und Tatort sowie katalogisierte beschreibende Deliktmerkmale wie Modus Operandi und Beute. Das System verarbeitet grundsätzlich keine personenbezogenen Daten.

Near Repeats


Deliktkonzentrationen in engen zeitlichen und geografischen Räumen bilden die Grundlage der near repeat prediction. Das Phänomen der near repeats wurde weltweit in mehreren wissenschaftlichen Studien, vor allem im Bereich des Wohnungseinbruchs, untersucht und nachgewiesen. Dabei gingen Geografen, Mathematiker und Kriminologen der Frage nach, in welchen Intervallen near repeats auftreten bzw. wie hoch die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens ist, wobei mit unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Größen gearbeitet wurde. Auch die Auswertung von Daten über Wohnungseinbrüche in Duisburg, Zürich, London und München belegen, dass geografische Bezirke, in denen ein Einbruch erfolgt ist, häufig in kurzer Zeit und im direkten Umfeld mit Folgedelikten rechnen müssen (near repeat victimization).
Near repeats können mehrere Delikte umfassen, während near repeat pairs aus zwei Delikten gebildet werden. Das schließt nicht aus, dass ein und dasselbe Delikt Teil mehrerer near repeat pairs sein kann. Die Anzahl der near-repeat-Paare ist für die qualitative Bewertung eines geografischen Raumes hinsichtlich seiner Bedeutung für die near repeat prediction vorteilhafter als die Betrachtung der reinen near repeats.
Analysiert werden sowohl die Winter- als auch die Sommerzeit, weil die Täter ganzjährig agieren. Im Focus stehen jedoch die Wohnungseinbrüche, da insbesondere professionelle Wohnungseinbrecher eine ausgeprägte Delikttreue aufweisen und sich stärker auf Wohnungen als auf andere Diebstahlsdelikte konzentrieren. In die Analyse fließen die vergangenen fünf Jahre ein, um ein detailliertes Bild über Wanderungsbewegungen zu erhalten.

Das Near-Repeat-Phänomen in Zürich


Vorstehende Abbildung zeigt die near-repeat-Quote in der Stadt Zürich in der Winterzeit 2009/10. Setzt man den zeitlichen Rahmen bzw. den geografischen Raum auf 72 h und 400 m fest, lagen von 2.502 Delikten 1.535, das entspricht einem Anteil von 61%, in near repeat pairs.
Die Herausforderung ist es, near repeats richtig und ad hoc zu prognostizieren. Dabei setzt die near repeat prediction auf empirische Erkenntnisse aus dem spezifischen Deliktfeld und erarbeitet Unterscheidungsmerkmale für Gelegenheits- und Wiederholungstäter. Die Gebiete in denen zweitgenannter Typus verstärkt auftritt, werden als „near repeat areas“2 identifiziert.

 

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