Kriminalität

Mit Nigerianischem Voodoo-Zauber ans Bordell gefesselt

Vom harten Leben der Verzauberten als Prostituierte in Deutschland, vom Profit der sie ausbeutenden „Madames“, Menschenhändler und Schleuser, von Ermittlungsarbeit und von Statistiken

Von Kriminaloberkommissar Bernhard Busch, Landeskriminalamt Saarland

Rückläufige Fallzahlen, hohes Dunkelfeld


Beginnen wir mit dem letzten Teil der Überschrift, den Statistiken. Das Ende des vergangenen Jahres vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichte „Lagebild Menschenhandel 2012“ weist in seinem Überblick über die Entwicklung im Bereich „Menschenhandel in Deutschland“ für den Menschenhandel aus Nigeria rückläufige Zahlen aus: 13 Opfer von Menschenhandel aus Nigeria werden für 2012 verzeichnet, gegenüber 28 im Jahr 2011. Ein Rückgang um mehr als 50 Prozent!

Frauenhandel bringen wir in Europa häufig mit osteuropäischen Senderländern in Verbindung. Dabei wird oft vergessen, dass jedes Jahr auch tausende Frauen aus Afrika nach Europa verschleppt werden. Gerade der von Armut, Korruption, Bürgerkriegen und Flüchtlingsbewegungen geprägte Westen des Kontinents, hier insbesondere Nigeria, ist Ursprungsgebiet unzähliger Opfer.
Aber auch der „Lagebericht“ sieht diesem Rückgang nicht unbedingt als Erfolg:
„Trotz fortgesetzter Kontrollmaßnahmen ist die Anzahl der nigerianischen Opfer im Jahr 2012 in Deutschland rückläufig. Aufgrund des speziellen Modus Operandi und der im Vergleich zu Angehörigen anderer Nationalität geringeren Aussagebereitschaft der Opfer ist in diesem Deliktsbereich aber von einem vergleichsweise hohen Dunkelfeld auszugehen.“, heißt es im „Lagebericht Menschenhandel 2012“.
Nigeria ist mit seinen knapp 140 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des afrikanischen Kontinents und vereint in sich hunderte von Kulturen und Ethnien. Die Bevölkerung teilt sich in den muslimischen Norden und den christlichen Süden, einige hängen animistischen Religionen an. Nicht nur seine enorme Größe und wirtschaftliche Stärke, sondern auch ständige interne Konflikte um Ressourcen, Religion und die Korruption sind kennzeichnend für Nigeria. Es gehört zu den Ländern, die gehandelte Menschen senden, empfangen und gleichzeitig als Umschlagspunkt genutzt werden. Der südlich gelegene Staat Edo kann als Zentrum des Frauenhandels in Nigeria bezeichnet werden. Schätzungen gehen davon aus, dass über zehntausend Frauen bislang von hier aus allein nach Italien gehandelt worden sind. Dazu sind Holland, Spanien, Schweden, die Schweiz, Deutschland und Großbritannien Empfängerländer für Zwangsprostituierte aus Nigeria. Auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zählen dazu.

Zufallsbefund bei TkÜ führt von Saarbrücken nach Nigeria


Schon seit Jahren ist Saarbrücken eins der zahlreichen Mekkas an der deutsch-französischen Grenze für Männer, die schon immer mal oder auch immer mal wieder ein Bordell besuchen wollten. Frankreich ist für Freier ein schwieriges Pflaster. Bordellprostitution ist schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verboten; mit einer Gesetzesverschärfung 2003 wurde auch die Straßenprostitution weiter eingeschränkt, weitere Gesetzesänderungen durchlaufen zur Zeit die parlamentarischen Beratungen.
Nach dem EU-Beitritt neuer Mitgliedsländer kommen immer mehr und andere Frauen nach Saarbrücken. Viele von ihnen fallen auf die sogenannten Lover-Boys rein; das Ergebnis: Die Frauen arbeiten, die Männer nehmen ihnen das Geld ab. Menschenhandel spielt bei diesem „Zuzug“ vermutlich eine Rolle, ist aber oft schwer nachzuweisen.
Jedenfalls bestätigt sich die kapitalistische Erkenntnis, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Flatrate-Bordelle und Straßenstrich senken auch die Bordell-Preise. Viele der Frauen können sich die Miete im Bordell nicht leisten – das bringt den Straßenstrich nach vorn.
Insgesamt sind Ermittlungen im Zusammenhang mit Prostitution und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft, für die Polizei in Saarbrücken keine Seltenheit. Dabei hat es sich ergeben, dass mehrfach Nigerianerinnen im Zentrum dieser Ermittlungen standen.
Im Zuge einer TkÜ-Maßnahme bei einer Ermittlung gegen einen Bordellbetreiber führte bereits im Jahr 2005 ein Zufallsfund auf eine neue Spur: Unerwartet war plötzlich am Telefon eine afrikanische Sprache zu hören, wobei es zunächst nur eine Vermutung war, dass es sich um eine afrikanische Sprache handelte. Recherchen machten die Vermutung wahrscheinlicher, Letztlich bestätigte ein Wissenschaftler, es könne sich bei der Sprache um Edo handeln, eine afrikanische Sprache, die in Nigeria gesprochen wird.
Treibende Kraft für einen Weggang der Frauen und Mädchen ist oft die ausweglose Situation im eigenen Land: zunehmende Armut, sich verschlechternde Lebensumstände, hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Bildungsmöglichkeiten, ethnische oder religiöse Konflikte und daraus folgende unfreiwillige Umsiedlungen, soziale und wirtschaftliche Diskriminierungen von Frauen und die bis heute verbreitete Polygamie. Manche sind bereits in ihrer Heimat gezwungen, sich zu prostituieren. Da ist der Gedanke, nach Europa zu gehen, für viele gar nicht so abwegig. Manche wissen, welche Art Beschäftigung sie erwartet, andere hoffen auf eine bessere Arbeit. Oft wird die Vorstellung von Europa geradezu verherrlicht – die Erfolgsgeschichten zurückkehrender Frauen, die nicht die ganze Wahrheit erzählen, bestärken sie oft in ihrer Illusion. Die unwürdigen, ausbeuterischen und oft lebensgefährlichen Arbeitsverhältnisse, Gefahren wie HIV/AIDS und andere Geschlechtskrankheiten sowie die überwältigende Zahl der Misserfolge werden vernachlässigt und verdrängt.
Eine Internetrecherche führte schließlich zu einem Essener Studenten aus Nigeria, der bestätigte, dass Edo gesprochen wurde. Er war auch in der Lage zu dolmetschen und begleitete als Dolmetscher die gesamte Ermittlungsarbeit, die sich aus dem Zufallsfund entwickeln sollte.
Das Gespräch, das zufällig im Rahmen der TkÜ-Maßnahme abgehört wurde, hatte eine Prostituierte geführt. Wiederum zufällig und ganz untypisch von einem Telefon im Bordell aus – sie hatte nämlich ihr Handy vergessen. Am anderen Ende der Leitung war ihre „Madame“.
Gegen diese „Madame“ wurde ein getrenntes Ermittlungsverfahren eingeleitet, ebenfalls mit einer TkÜ. Daraus konnte man nach und nach erschließen, wie genau der spezifisch nigerianische „modus operandi“ aussieht, von dem im „Lagebericht“ die Rede ist.
Das Verfahren wurde später vom LKA Stuttgart übernommen. Es wurde das Verfahren „Voodoo“.

Eine nigerianische „Madame“


Eine Madame ist eine ehemalige nigerianische Prostituierte die, so würde sie selbst es vielleicht formulieren, „es geschafft hat.“ Sie hat die Schulden als Prostituierte abbezahlt, sie hat meist ein oder mehrere Kinder von einem deutschen Mann und damit auch einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Sie will einen bestimmten Lebensstandard sichern und hat folgende Finanzierungsquelle gefunden: Sie holt – gegen üppige Bezahlung, versteht sich – eine junge Nigerianerin nach Deutschland. Damit ist die Madame die erste Person in einer verhängnisvollen Reihe von Kriminellen, die eine harte Zeit im Leben ihres zukünftigen Opfers bestimmten werden.

In einer Kultur mit einer solchen Tradition ist es nicht allzu weit zu dem Schritt, die Tochter nach Europa zu schicken, auch wenn es sich bei dem Angebot um Sexarbeit handelt. Wenn in einer Familie mit vielen Kindern nicht alle versorgt werden können, scheint es eine plausible Lösung, ein Kind fortzuschicken, wenn dadurch die Situation der anderen verbessert wird. Die Gefahren sind dabei nicht allen bewusst. Innerhalb des Landes werden Kinder und Jugendliche vor allem aus den östlichen und südlichen Staaten in die großen Städte, aber auch in andere westafrikanische Länder verschleppt. Man schätzt, dass allein innerhalb Nigerias etwa 12 Millionen Kinder und Jugendliche unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Dabei sind die Grenzen zwischen Menschenhandel und freiwilliger Prostitution fließend. Fast immer ist eine dritte Partei involviert, die an die Familien herantritt und die Frauen auffordert, sich auf die „Reise“ einzulassen.
Die Madame findet die junge Nigerianerin im Umfeld ihrer eigenen nigerianischen Familie oder ihres dortigen Lebensumfeldes. Wenn die junge Frau – nicht alle haben schon das 15. Lebensjahr erreicht – ein Leben in Deutschland attraktiv findet, wird sie zunächst angemessen vorbereitet. Hier kommt ein Voodoo-Priester in Spiel.

Seite: 123weiter >>