Editorial

Editorial


Liebe Leserin,
lieber Leser,

spätestens seit dem Bekanntwerden der menschenverachtenden Anschlagsserie der Mitglieder der Nationalsozialistischen Union (NSU) hat sich gezeigt, dass Gefahren für unsere Gesellschaft nicht nur vom islamistisch motivierten Terrorismus drohen. Erst vor wenigen Wochen, am 10. Dezember 2012, ist Passagieren an Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs gegen Mittag eine herrenlose Tasche aufgefallen, aus der Drähte ragten. Wie sich später herausstellte, enthielt die verdächtige Tasche Sprengstoff. Trotz intensiver polizeilicher Fahndungsmaßnahmen konnten bislang keine Tatverdächtigen ermittelt werden. Folglich liegen Urheberschaft und Tatmotivation im Dunkeln. Also auch die Frage, ob die Tat durch eine Organisation gesteuert oder von einem emotionalisierten Einzeltäter bzw. einer Kleingruppe begangen wurde. „Der Einsame-Wolf Terrorist.

Herbert Klein
Ltd. Kriminaldirektor, Polizeipräsidium Rheinpfalz, Chefredakteur

Eine neue Herausforderung für die innere Sicherheit“ titelt Dr. Florian Hartleb, Lehrbeauftragter an der Universität Bonn, und betrachtet das Phänomen des „Kleinzelltäters“. Er stellt fest, dass das Konzept des „Einsame-Wolf Terrorismus“ im deutschen Kontext bislang keine Rolle spielt, obwohl es zahlreiche empirische Fälle dafür gibt, auch in Deutschland. Anhand des Falles „Breivik“ hinterfragt er, was für Lehren aus dem norwegischen Fall gezogen werden können. Dabei steht die Frage nach Ursachen, Motiven, Gefahrenpotentialen und die mögliche Prävention im Vordergrund. Über die Einordnung des „Einsame-Wolf Terrorismus“ setzt er sich mit möglichen Bekämpfungsstrategien gegen dieses neue Phänomen auseinander. Beispielsweise fällt bei dem Massenmörder Breivik auf, wie stark virtuelle Räume und das Internet zu böswilligen Zwecken genutzt werden können. Der Täter stand in Kontakt mit anderen Menschen, nicht physisch, aber virtuell, von einem kleinen Zimmer bei seiner Mutter aus. Zusammenfassend kommt Hartleb zu dem Ergebnis, dass der Fall „Breivik“ nicht in ein klassisches Schema passt, zumal Terrorismus stark mit gruppenbezogenem Handeln assoziiert ist. Einsame Wölfe führen oftmals nur eine einzige Tathandlung aus, weshalb die Bekämpfung des Einsamen-Wolf-Terrorismus die Sicherheitsbehörden vor höchst komplizierte Herausforderungen stellt. Obwohl es durchaus Warnzeichen (gerade im virtuellen Raum) geben kann, sind diese Terroristen wahrscheinlich sozial isoliert und vermeiden als autistische Extremisten Kontakte.

Eine der letzten Ausgaben des Fernsehmagazins report MÜNCHEN befasste sich mit dem Ku-Klux-Clan in Deutschland. Recherchen belegen demnach: Der rassistische Geheimbund Ku-Klux-Klan ist auch in Deutschland aktiv; und das seit beinahe 100 Jahren. Damit nicht genug: Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass sich auch der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund, abgekürzt NSU, von den Ideen dieser Geheimorganisation leiten ließ. Erster Kriminalhauptkommissar a.?D. Manfred Paulus aus Ulm/Donau bearbeitet in seinem Beitrag „Ku-Klux-Was? Rituelle Gewalt in Deutschland – (K)Ein Thema für die Gesellschaft, (k)ein Thema für die Polizei!?“ das Phänomen der rituellen Gewalt und knüpft damit auch an eine mögliche Facette der NSU-Mordserie an. Er beschreibt die grundsätzliche Missachtung und Verweigerung der Gesellschaft bei dem Phänomen der rituellen Gewalt. Auch erkennt er viele Mängel und Defizite im Bereich der Gesetzgebung, der Ermittlungen und der Strafverfolgung und stellt die Frage, ob sich die Opfer eines solchen Geschehens nicht selbst helfen und die entscheidenden Schritte zu ihrer Befreiung von sich aus machen können. Schließlich sieht er gerade in diesem Bereich die Polizei in besonderem Maße in der Pflicht, da sie nicht selten die einzige Anlaufstelle ist, von der sich Zeug(inn)en wie Opfer Hilfe versprechen und Hilfe erwarten.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse und des Gefährdungspotenzials, das den beschriebenen Phänomenen inne wohnt, sind die Forderungen und Erwartungen an die Sicherheitsbehörden aus meiner Perspektive unmissverständlich. Auch wenn der NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit noch nicht abgeschlossen hat, dürfte feststehen, dass deutliche Verbesserungen in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden erreicht werden müssen und sich die Diskussion über eine grundlegenden Neuausrichtung aufdrängt.

Herbert Klein