Politisch motivierte Gewaltkriminalität

Hasskriminalität

Eine Herausforderung an die moderne Gesellschaft


Hasskriminalität ist in den meisten Fällen eine Form der Gewaltkriminalität. Sie richtet sich gegen Personen, die als „fremd“ oder „anders“ deklariert werden. In ihnen wird eine Gefahr für die eigene Existenz bzw. für die Existenz der eigenen Gruppe gesehen. Rasse, Religion, ethnische Zugehörigkeit, sozialer Status, wie beispielsweise Obdachlosigkeit, aber auch sexuelle Orientierung und körperliche Behinderungen sind Kriterien, die als Ursache vordergründig angegeben werden. Der Hass wird somit lediglich durch die Vorurteile eines meist noch jungen Täters determiniert. Dabei richtet sich Gewalt auch gegen Gegenstände, die bestimmten Gruppierungen oder Eigentümern zugeschrieben werden. Hass in einer andauernden Form endet nicht mit dem Tod des Gegners, was man an der Zerstörung von jüdischen Grabmälern ersehen kann. Der Fremde und all seine Symbole stellen immer und überall eine existenzielle Gefahr dar, die kontinuierlich bekämpft werden muss. Die Hassideologie wird dabei von Massen gelebt und durch Protagonisten verbreitet. Dadurch ergeben sich Kriminalitätsfelder, die nicht auf eine Gesinnung beschränkbar sind und ein immenses Gefahrenpotential für die Innere Sicherheit in Deutschland und Europa darstellen.

Dr. Marwan Abou-Taam,
Mainz


Hass als Angstreaktion?

Hass ist eine der intensivsten Emotionen, zu denen ein Mensch fähig ist. Entsprechend selten kommt er bei den meisten Menschen im Laufe ihres Lebens vor. Das Gefühl des Hasses ist geprägt von empfundener Feindschaft, Widerstreben, Ablehnung, Zorn, Ekel und Verachtung.1 Der Begriff wird nicht einheitlich definiert und inflationär gebraucht. Hassgewalt oder Hasskriminalität2 bezieht sich zunächst auf physische Handlungen und ist meist gegen Menschen, die fremd für den Täter sind, gerichtet.3 Fremdheit im Sinne von unvertraut und unbekannt wird im Kontext von hasskriminellen Handlungen als Ausschlusskriterium definiert. Sie ist das Zeichen für Nichtzugehörigkeit. Diese Nichtzugehörigkeit ist eine Negativdefinition des eigenen Kollektivs, das sich in den betroffenen Kreisen durch fremdenfeindliche Einstellungen zu festigen sucht. Kognitive Überzeugungen über die Lebensrealität der vermeidlichen Fremden sind meistens die wichtigste Ursache einer Feindseligkeit, die nicht zwingend auf Vorurteilen basiert und durch Gewaltrituale gestärkt und reproduziert wird. Sämtliche Ansätze zur Definition von Hasskriminalität sind fokussiert auf eine täterorientierte Betrachtungsweise. Erfahrungen mit den „Anderen“ versuchen, Resonanzen in vergangenen Ereignissen oder/ und in Volkserzählungen zu finden. Das Verhalten gegenüber Fremden wird ideologisch bestimmt und ist von Distanziertheit geprägt. Dabei kann man in den unterschiedlichsten Gruppen die Präferenz für undifferenzierte politische Einstellungen beobachten, es geht also nicht um eigens gewonnene Erkenntnisse.

Dorothee Dienstbühl
Dipl. Sozialwirtin

Neben Gewalt stehen die Anhänger solcher Weltanschauungen für diskriminierende Forderungen. Sie plädieren gewissermaßen für ein gesellschaftliches Macht- und Gewaltverhältnis, das sich aus der Tatsache ergibt, dass es sich bei ihnen um stark emotionalisierte, in ihrer Identität sehr schwache Personen handelt. Die strukturelle, soziale und kulturelle Abwertung ihrer Gegner ist ihre einzige Chance auf Aufwertung. Fremdenfeindliche Anfeindungen sind Forderungen der Berechtigung des eigenen Kollektivs, sie drücken Ängste aus, die man nicht durch die Ratio des Arguments entgegnen kann.
Hinsichtlich aktueller Diskussionen über Demographie, Bildung und anderer relevanter gesellschaftspolitischer Krisen wird der „Andere“ zur Projektionsfläche. Die Identitätsangebote der modernen Gesellschaft wirken aufgrund ihrer konkurrierenden Vielzahl und Uneindeutigkeit immer weniger harmonisch. Manche Menschen können nicht damit umgehen, dass die Identität somit weniger durch repressive Zuschreibungen gebildet wird. Sie tendieren dazu, sich in Abgrenzung zum Fremden zu identifizieren, dabei bestimmt die Hautfarbe, die ethnische Herkunft oder die Religion den Fremden durch eine Reihe von Zuschreibungen. Der Körper wirkt also als Oberfläche regulativer Diskurse. Absurderweise erhält der verhasste Fremde die zentralste Funktion ideologischer Selbstaufwertung. Daher ist anzunehmen, dass in der stetigen Konfrontation mit der Moderne der Fremde immer eine wichtige Rolle spielen wird. Seine Ausgrenzung scheint die notwendige fixe Bedingung der Selbstdefinition. So wird in der Komplexität global vernetzter identitätsstiftender Aushandlungssysteme eine Lücke im Bereich der Symbolisierung des Politischen entdeckt, worauf mit Populismus als Konfliktstrategie zur Identitätspolitik reagiert wird. Der Populismus, eine Art anarchischer Schatten der Globalisierung, sucht im Fremdenhass und in der Festigung von Vorurteilen und Konfliktlinien eine global sich durchsetzende Volksideologie auszumachen.
Damit lassen sich Emotionen binden und Stimmen gewinnen, jedoch ist Fremdenhass Symptom eines tiefer gehenden Identitätskonfliktes. Der Fremde muss in einer faschistisch-nationalistischen Ideologie vernichtet werden. Diese Denkstrukturen sind indes nicht ausschließlich bei rechtsextremistisch motivierten Gewalttätern zu beobachten und stellen eine Ähnlichkeit zu den radikal-islamistischen Ideologien dar. In dieser wird der Ungläubige als Inbegriff des Bösen zur Vernichtung freigegeben.
So ziemlich jede durch ein bestimmtes Merkmal gekennzeichnete Gruppe oder Gemeinschaft kann aufgrund dessen Gegenstand einer Hassideologie werden: Homosexuelle Menschen als „abartig“ einzustufen, ist die Basis, ihnen das Recht auf Leben abzusprechen. Der Polizisten als bewaffneter und uniformierter Systemknecht, der bei einer Demons-
tration das Recht von Mitgliedern der rechtsgerichteten NPD schützt, darf mit allen Mitteln angegriffen werden. Gewalthandlungen sind also aus Sicht der Täter durch ein empfundenes negatives Merkmal gerechtfertigt und sogar notwendig. In ihrer Konsequenz untergraben sie die rechtstaatliche und demokratische Ordnung und verletzen die Menschenrechte der Opfer; dabei verursachen sie tiefgreifende psychische, physische und soziale Schäden bei allen direkt und auch indirekt Betroffenen.

Entwicklung von Hasskriminalität in Deutschland und Europa

Der Begriff Hasskriminalität vom amerikanischen Hate Crime hat sich in Deutschland nur bedingt etabliert. „Hass“ gilt vielen Juristen als ein sehr weit gefasster und zu schwammiger Begriff. Mit dem definitorischen Minimalkonsens, dass Hass ausufernde Gewalt gegen einen Menschen bedinge, kann auch ein persönliches Gewaltdelikt, wie eine Eifersuchtstat, als eine Hasstat verstanden werden. Als Hasskriminalität werden aber insbesondere solche Gewalttaten bezeichnet, die ohne persönliche Beziehung zum Opfer erfolgen und sich gegen das wahrgenommene Fremde richten. Entsprechend wird Hasskriminalität in der Kriminologie mit Vorurteilskriminalität ersetzt. Dabei handelt es sich keineswegs um ein neues Phänomen. Die Christenverfolgung im Alten Rom oder die NS-Zeit sind Beispiele für eine regelrecht „staatlich verordnete“ Vorurteilskriminalität. Neu ist die Behandlung solcher Verbrechen in Politik, Justiz und Wissenschaft als eigene Kategorie von Straftaten seit Ende des 20. Jahrhunderts.
Kriminologisch werden Hassverbrechen nach Würdigung der Tatumstände und der Einstellung des Täters dann als solche beurteilt, wenn die Tathandlung mit einem oder mehreren dieser Merkmale in einem kausalen Zusammenhang steht. Dabei ist zu beachten, dass Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich der Definitionskriterien existieren. Aussagen im Ländervergleich über die quantitative Entwicklung von Hasskriminalität zu treffen, ist nur sehr vage möglich, da Hasskriminalität nicht einheitlich definiert und ausgewiesen in den Kriminalstatistiken geführt wird. Die OECD sammelt in ihrem Bericht über Hasskriminalität zwar die nach Vorgabe der jeweiligen Länder registrierten Straftaten, dies jedoch ohne die notwendige Kommentierung bezüglich der Erhebungs- und Zählfaktoren.4 Entsprechend ungeeignet zum Vergleich über Aufkommen, Täter- und Opferstrukturen sind die aufgeführten Daten.
Die Zahl gewalttätiger Vorurteilsdelikte in Deutschland lässt sich nur schwer beziffern. Hasskriminalität wird in Deutschland nicht als solche erfasst, sondern unter politisch motivierte Kriminalität (PMK) subsumiert und entsprechend gezählt. Dieser Terminus ist in der differenzierten Erfassungsmethodik der Kriminalstatistik noch relativ neu, erfasst sogenannte „klassische Staatsschutzdelikte“5 und damit einen erheblichen Teil jugendlicher Gruppengewalt. Das Definitionssystem wurde nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und – Senatoren des Bundes und der Länder (IMK) zum 1. Januar 2001 eingeführt.6 PMK unterscheidet sich von anderen Kriminalitätsformen in erster Linie dadurch, dass sie nicht aus ökonomischen Motiven heraus, sondern aufgrund einer inneren Überzeugung, „im Recht zu sein“, herrührt.7 Dabei geht man von krimineller Gewalt aus, die sich gegen Andersdenkende richtet und eher der Gruppendynamik der Gewalt als einer tatsächlichen politischen Überzeugungen zuzurechnen ist. Straftaten mit fremdenfeindlichem und / oder antisemitischem Hintergrund sind Teilmenge der „Hasskriminalität“. Dem Unterthema „Polizei“ werden politisch motivierte Straftaten zugeordnet, die sich unmittelbar gegen Polizeikräfte oder gegen polizeiliche Einrichtungen oder Ausrüstungsgegenstände richten. Die erfassten Sachverhalte werden als mehrdimensionale Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Dies bezieht sich vor allem auf die Qualität des Delikts und deren objektiven thematischen Zuordnung. Auch Delikte, die der Allgemeinkrimnalität zugeordnet werden (Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsdelikte und Sachbeschädigungen), können Hasstaten sein, wenn die Würdigung der gesamten Umstände von Tat und Einstellung des Täters / der Täter Anhaltspunkte für eine politische Motivation geben. Unter diesem Aspekt werden vor allem Gewalttaten analysiert und beim Vorliegen entsprechender Zusammenhänge als politisch motivierte Tat eingeordnet.
Es existieren Schätzungen, dass in Deutschland pro Jahr etwa 2.000 bis 3.000 Vorurteilsdelikte jeglicher Art unter Ausübung körperlicher Gewalt begangen werden. Hinzu kommen jährlich rund 20.000 zur Anzeige gebrachte Straftaten, bei denen die Opfer auf andere Weise angegriffen werden, wie beispielsweise durch Sachbeschädigungen, Beleidigungen oder Drohungen. Die Dunkelziffer lässt sich indes kaum schätzen. Insgesamt bestehen in Europa noch erhebliche empirische Erkenntnisdefizite auf diesem Gebiet, wodurch kriminalistische, kriminalpolitische und strafrechtliche Bedenken gegenüber der Klassifikationsmethode und der justiziablen Verfolgung von Hasskriminalität hervor gerufen werden.

Soziale Ausgangslage und umgekehrter Individualisierungsprozess

Hass nährt sich aus Ideologien, die grundlegende weltanschauliche Möglichkeitsräume vorgeben und identitätsbestimmende Überzeugungen predigen. Die dualistische Weltsicht und die fehlende Fähigkeit zum Reflexiven sind weitere zentrale Eigenschaften von Tätern, die aus politisch bestimmbaren Hassmotiven handeln. Häufig handelt es sich bei Hass auf das Fremde um eine fanatische Überkompensation, also um eine psychologische Bewältigungsstrategie, die auf persönlichem Scheitern und empfundener Benachteiligung beruhen.8 Die Konstruktion von Hass auf das Fremde erwächst regelmäßig aus einer gewonnenen Perspektive, die mit dem sozialen Umfeld des Individuums einhergeht. Somit ist der Hass gegen das Fremde vor allem ein Ergebnis von extrinsischer statt intrinsischer Motivation. Wenn ein Täter wegen Gewaltdelinquenz im Sinne von Hasskriminalität in strafrechtlich relevante Erscheinung tritt, müsste unbedingt das Täterumfeld ebenfalls untersucht werden und welche Rolle der Täter in diesem tatsächlich spielt. Von besonderer Bedeutung sind die Charaktere im Täterumfeld, welchen Platz diese bei dem Täter einnehmen und wer die Inhalte als richtungweisend für den Hass kommuniziert. Entscheidend ist dabei die Suggestibilität, die in der Botschaft liegt und dass sie charismatisch als absolute Lösung verkauft werden kann.9
In den letzten Jahrzehnten nahm der soziokulturelle Modernisierungsprozess an Geschwindigkeit zu. Daraus ergaben sich für den Einzelnen, zumindest theoretisch, mehr Handlungsoptionen. Die andere Seite dieser Medaille ist, dass Möglichkeitsspielräume gleichzeitig als Bedrohung wahrgenommen werden, auf deren verunsichernde Wirkung durch die soziale Konstruktion von eindeutigen Ausgrenzungen reagiert wird. Das ist umso mehr der Fall, je weiter sich der Bürger in die Unmündigkeit begeben hat. Besonders massiv fallen junge Menschen als „Hassverbrecher“ auf.10
Wenn man sich im Transformationsprozess nicht wiederfindet, sucht man im Kollektiv eindeutige Obligationen, die gewissermaßen Sicherheit vermitteln. Im Dualismus wird die Differenzierung überflüssig. Je komplexer die Welt, desto einfacher muss ihre Deutung sein. Der zutiefst inhumane Kern von Hassideologien besteht darin, dass Menschen nicht als Individuen mit einer sich stets entwickelnden Persönlichkeit verstanden, sondern als ewige gefangene eines „minderwertigen“ Kollektivs verpönt werden. Sie werden für jegliches Negativverhalten eines mutmaßlichen Angehörigen ihrer vermeintlichen Gruppe verantwortlich gemacht. Auch werden sie für historische und gar für zukünftig vermutete Fehlentwicklungen verurteilt, beschimpft und bestraft. Jede Entwicklungsmöglichkeit jenseits zugeordneter kollektiver Zuschreibungen wird den einzelnen aberkannt. Diese Verfemung ist umso gefährlicher, je mehr sie als Ideologisierung von sogenannten „Situationsinterpreten“ pseudo-intellektuell verkleidet wird. Wenn die Selektivität des Arguments vorurteilsbestätigend wirkt, können größere gesellschaftliche Kreise massenpsychologisch erreicht werden.11
Die eigene kollektive Zugehörigkeit von Hassakteuren ist eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass sie moralische Identität nicht durch Selbstrespekt generieren. Hier greifen vielfältige Konstruktionen, die die Abstraktion in einer Utopie suchen. So bekommt man seinen Wert durch die Zugehörigkeit zum nationalen und oder religiösen Kollektiv. Das Kollektiv bestimmt die eigene Identität, sein Fortbestehen ist somit wichtiger als die individuellen Bedürfnisse. In letzter Konsequenz definiert das Kollektiv die Bedürfnisse seiner Mitglieder entlang einer identitätsbildenden Illusion, die vom Einzelnen als wahrhaftig erlebt wird. Dadurch wird die Emotionalisierung der zugeschriebenen Feindschaft aus Sicht der Ideologen zu einer manipulierenden Macht, die die Anhänger an das konstruierte Weltbild und aneinander bindet.
Ein wichtiges konstituierendes Element einer solchen kollektivistischen Identität ist die permanente Gefahr, die von „Fremdgruppen“ ausgeht. Dabei manifestiert sich die Bedeutung der Gewalt als Annahme eines absoluten Wertes, dem man das eigene oder fremde Leben opfert. Wenn Identität nicht nur durch Selbstbezug, sondern durch die Konfrontation mit den „Anderen“ konstruiert wird, dann ist der „Fremde“ sicherlich der wichtigste „Andere“. Diese Konfrontation erleichtert nicht nur die eigene Identitätsbildung – sie trägt im Sinne der Stigmatisierung auch zur Identitätsbildung des vermeintlich „Anderen“ bei.

Gewalt als Botschaft und Erscheinungsform individueller Perspektivlosigkeit


Hass zu entwickeln und durch Gewalt zum Ausdruck zu bringen, ist ein individueller Prozess, der durch verschiedene Faktoren extrinsisch und intrinsisch gefördert wird. Damit diese Faktoren bei einer Person wirken können und zu einem Zustand des absoluten Hasses und Zerstörungswillens führen, benötigen sie Zeit. Auch die Indoktrination zur ideologischen Verfestigung der hassenden Attitüde beansprucht Zeit und eine stetige Wiederholung. Das Vorhandensein dieser Zeit, um sich zu extremisieren, hängt von der persönlichen Lebenssituation ab. Aggression und Destruktivität werden vor allem durch Langeweile und das Gefühl, nicht ausgelastet zu sein, hervorgerufen.12 Schulvermeidung und Jugendarbeitslosigkeit spielen eine bedeutende Rolle. Dabei vermeiden solche Jugendliche durch eigenes Verhalten selbst einen strukturierten Tagesablauf, Angebote mit dem Ziel der gesellschaftlichen Integration und der in den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt lehnen sie ab. Nicht selten stammen sie zudem aus sogenannten „Multiproblemfamilien“ und haben ein durch das Umfeld erlerntes Gewaltverhalten.13 Dies erleichtert die Einstellung zur Gewalt gegen einen anderen, auch völlig fremden Menschen als probates Mittel ungemein und macht Gegenargumentationen nahezu wirkungslos.
Eine weitere Besonderheit der Hassverbrechen liegt in ihrem viktimologischen Verständnis: so sehen Täter die von ihnen verübte Gewalt gegen Menschen, Sachen oder Symbole lediglich als Botschaft an die Gesellschaft. Sie wollen auf ein Problem aufmerksam machen, dessen Kern sie vom Opfer verkörpert sehen, was aus ihrer Perspektive die Tat als Medium dieser Botschaft rechtfertigt. Somit können Hassverbrechen auch als „Botschaftsverbrechen“ begriffen werden.14 Entsprechend richtet sich die Straftat oder Gewalttat nicht lediglich gegen eine individuelle Person, sondern ist als Hassbotschaft des Täters gegen die spezifische Opfergruppe zu verstehen. Das Opfer wird dabei nicht nur insoweit geschädigt, als es unmittelbar und individuell als konkreter Adressat der Tat Leid erfährt, es wird ferner zum Objekt degradiert. Dies umso mehr, da die Täter sich selbst als Opfer der Opfer sehen. Als Vertreter der Gruppe, die das Opfer als Verursacher sämtlicher Nachteile der Täter aus deren Sicht repräsentiert, kann er diese auf emotionaler Ebene nicht erreichen. Das bedeutet, seine Verletzungen, die Qual des Menschen oder auch sein Blut erzeugen bei den Tätern kein Gefühl des Mitleidens oder der Empathie, welche die Gewaltanwendung stoppen könnten.15
Die Hassideologie stiftet unter solchen Rahmenbedingungen Sinn durch Gewalt. Allerdings verdeckt der Wunsch den Anderen zu zerstören die Zerbrechlichkeit der eigenen Identität. Die Ideologie, die den Hass leitet und gegen eine oder mehrere Personengruppe bündelt, ist kein Teil der eigentlichen Persönlichkeit und stellt auch keine Konsequenz einer reflektierten Auseinandersetzung mit politischen Inhalten dar. Dennoch wird sie als Attitüde adaptiert und aufgrund ihrer Wichtigkeit als Leitmotiv des eigenen Denken und Handeln empor formuliert.
Gewalt hat scheinbar eine Faszination inne, die sich als Stummheit im Sinne des fehlenden reflexiven Selbstbezuges äußert, denn hier tritt die Sinnstiftung mit einem arroganten Dominanzanspruch auf. Als Feinde definierte Gruppen als Gefahr zu betrachten, rechtfertigt nicht nur sämtliche Gewaltmaßnahmen,16 es führt auch zu der Ansicht, nur Anhänger der eigenen Gruppe seien die Verkörperung eines Ideals. Da dieses Ideal bedroht ist, ist die einzige denkbare Lösung die physische Vernichtung von allem, was nicht zu diesem Ideal dazugehört bzw. nicht dazugehören kann. Somit provoziert stets das Fremde als latente Gefahr. Selbst wenn es nicht als direkter Feind erkennbar ist, also von ihm kein Angriff ausgeht, wird es schlichtweg als solcher stigmatisiert. Diese Denkweise eint einen ideologisch motivierten Einzeltäter mit dem Amokläufer, mit gewalttätigen Skinhead-Anhängern und mit islamistischen Terroristen.

Möglichkeiten zur polizeilichen Intervention und strafrechtlichen Ahndung

Eine unmittelbare Reaktion auf das Bekanntwerden der von der NSU verübten Morde war die Forderung nach einem Gesetz gegen Hasskriminalität. Die Länder Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen brachten daher einen Gesetzesantrag zur Aufnahme menschenverachtender Tatmotive in den Bundesrat ein, nach welchem entsprechende Hasstaten schärfer mit Strafe bemessen werden sollen.17 Bislang kennt das deutsche Strafrecht keine gesondert als Hassdelikt qualifizierten Straftaten.18 Die Begriffsdefinition wird in der Rechtsprechung dann allerdings relevant, wenn sie zur Klassifizierung einer Straftat und damit zur Feststellung der besonderen Schwere der Schuld dient. Nach geltendem Strafrecht muss der Strafrichter die Schuld, aber nicht zuletzt auch Beweggründe, Ziele und Gesinnung des Täters in der Strafzumessung abwägen. Was der Bundesrat dem jetzt hinzufügen will, ist somit in der gängigen Praxis der Rechtsprechung längst geboten. Der Vorstoß des Bundesrates ist nicht als wirkliche Neuerung des deutschen Strafgesetzes zu sehen, sondern als eine politische Initiative. Die Absicht, mithilfe des Strafrechts ein offenes, demokratisches Klima zu fördern, könnte jedoch dysfunktionale Reflexe erzeugen. So wird etwa von US-amerikanischen Wissenschaftlern konstatiert, dass eine Anti-Hasskriminalität-Gesetzgebung durch permanente Schuldzuweisung einen noch tieferen Keil zwischen soziale Gruppen treiben kann.
In der öffentlichen Debatte um die Verhinderung und Eindämmung von Hasskriminalität wird häufig ein „entschlosseneres Eingreifen“ von Polizisten gefordert. Diese Forderung muss allerdings in Hinblick auf das Aufgabenprofil der Polizei dezidierter betrachtet werden. Die Polizei muss im alltäglichen Einsatz auf der Grundlage rechtlicher Vorschriften das Verhalten von Menschen bewerten und aufgrund dieser Bewertung über weitere Maßnahmen entscheiden. Damit bewegt sie sich bereits in einer äußerst komplizierten Rechtsmaterie. Zudem zeigt sich Hasskriminalität den Beamten vor Ort nicht als ein fest definierter Tatbestand innerhalb des Strafgesetzbuchs, sondern erweist sich als ein komplexes Verhalten, das die Beamten als solches zunächst erkennen müssen. Neben einem Grundstraftatbestand muss die politisch motivierte Ausrichtung des Täters für die gerichtliche Untersuchung dann auch nachweisbar sein, damit die strafprozessuale Ahndung möglich ist. Entsprechend schwierig gestaltet sich bereits als solche ausgewiesene Ahnung einer hassgesteuerten Tat.
Vielmehr wiegt in der öffentlichen Debatte jedoch die Frage nach dem Schutz vor Hasskriminalität und somit der Verhütung der konkreten Gefahrensituation bis hin zur Generalprävention. Jegliche Reaktion auf Hasskriminalität muss mit Schwerpunkt der kriminellen Aktivitäten durch jugendliche und heranwachsende Täter beachtet werden – und aus welchen Ideologien sich dieser Hass nährt. Die Besonderheit von Jugendlichen begangener Gewaltdelinquenz ist der graduelle Entwicklungsprozess, in dem sie sich befinden. Dieser wird durch vielfältige Faktoren, wie persönliche und familiäre Bindungsstrukturen, die Beeinflussung durch Gleichaltrige, persönliche Einstellungen, das Selbstbild und auch die eigene Intelligenz wiederum beeinflusst. Bestehen in mehreren Bereichen Mängel, kumulieren sich diese als Risikofaktoren für Kriminalität. Entsprechend kann man für verfestigte Kriminalitäts- und Gewaltmuster, insbesondere bei Intensivtätern, von multiplen Ursachen ausgehen, die sich gegenseitig verstärken. Vermittlung von Allgemeinbildung als Grundlage der argumentativen Auseinandersetzung und Maßnahmen zur Förderung von Resilienz potentieller Tätern können dabei geeignet sein, die Persönlichkeitsstruktur zu stabilisieren. Die Aussichten auf Erfolg sind allerdings nur marginal, solange es nicht gelingt, den Jugendlichen aus dem Einflussumfeld herauszuholen. Dazu bedarf es einer geregelten Tagesstruktur mit Zugang zum gesellschaftlichen Leben, insbesondere durch Arbeit als integrativem Element. Daher sind Übergänge zwischen Maßnahmen zur Vorbeugung und Rückfallvermeidung, sowie zwischen sicherheits- und sozialpolitischen Interventionskonzepten fließend.

Ausblick

Hasskriminalität wird ein Thema bleiben, mit dem sich Deutschland in allen Teilen der Gesellschaft auseinandersetzen muss. Dabei kann Hass als Emotion und Grundlage zur Gewaltausübung nicht monokausal erklärt werden, ebenso wenig wie die Prozesse die einen Menschen zu einem hassgesteuerten Täter machen. Bereits der Begriff „Hasskriminalität“ ist im deutschen Sprachraum umstritten, entsprechend wird er bislang eher vereinzelt verwendet. Das Phänomen hassmotivierter Delikte ist dagegen sehr wohl bekannt, wird jedoch mit einem starken Schwerpunkt bei rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten öffentlich wahrgenommen. Dies verkennt jedoch die Bandbreite von Ideologien und Vorurteilen, die in der Kriminalität durch Hass auf „das Andere“ zugrunde liegen. Hasskriminalität nur als Akt rechtsgerichteter Fremdenfeindlichkeit zu verstehen, verkennt auch den erheblichen Forschungsbedarf. Über Ursachen, Wirkweisen oder auch Opferschutz und geeignete Reaktionen und Gegenmaßnahmen besteht bisher zu wenig Erfahrungswissen, um geeignete Präventions- oder Abwehrstrategien zu entwickeln.
Die Opfer besser zu schützen muss das Ziel jeglicher Interventionen sein. Dabei müssen die Maßnahmen dennoch bei den Tätern ansetzen und Möglichkeiten zur Aufarbeitung der eigenen Vorurteile bieten. Ansätze, wie sozialpolitische Maßnahmen, die als Ziel die Eingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt definieren, oder Antiaggressionstrainings zur Steigerung der Resilienz existieren längst und werden Jugendlichen, die aufgrund schulischer Probleme keine Ausbildung oder Arbeit finden oder als aggressiv bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, zuteil. Auch hat die Polizei bereits eigene Betreuungseinheiten für jugendliche Intensivtäter in Polizeidirektionen installiert, um gezielter und unter Absprache aller betroffenen Ämter auf die Täter einwirken zu können.19 Doch haben all diese Bestrebungen Grenzen in der Kostenintensität der Maßnahmen und der Zeitbemessung der Betreuer für den Einzelnen entgegen der dauerhaften Beeinflussung eines anti-sozialen Umfeldes und vor allem jahrelanger Sozialisation. Sofern die Intervention nicht im Rahmen einer Haft installiert ist, wird sie in der Nähe des Jugendlichen durchgeführt, so dass er anstatt dieses Angebot wahrzunehmen, häufig den Weg der bewussten Vermeidung wählt und in dem für die gesellschaftliche Integration ungünstigen Umfeld bleibt. Entsprechend gering sind die Chancen der einzelnen, punktuell angesetzten Interventionen, wie sie bislang eingesetzt und praktiziert werden.
Hasskriminalität zu begegnen kann keine alleinige Aufgabe von Polizei und Justiz bleiben. Zu häufig manifestiert sich Hass aus persönlichem Mangel innerhalb eines sozial unsicheren Raumes. Auch kann ihr alleine mit Gesetzen nicht begegnet werden, da der emotionale Prozess und die Manifestierung des Hasses an sich nicht an Straftaten gekoppelt sein, bzw. diese damit nicht noch nicht in Zusammenhang stehen müssen. Die Prozesse zur Hassbildung und zum Aufbau der Gewaltbereitschaft interdisziplinär zu erforschen und auf dieser Basis Gegenmaßnahmen zu konzipieren, kann ein wirksamer Ansatz sein. Doch bedarf es dazu Zeit und einer engeren Zusammenarbeit zwischen sicherheits- und sozialinstanzlichen Einrichtungen.

Anmerkungen
Vgl. Kolnai, A.: Ekel, Hochmut, Hass. Zur Phänomenologie feindlicher Gefühle, Frankfurt 2007, S. 100.
Der Begriff ist die Übersetzung des aus der angloamerikanischen Forschung stammenden Terminus „hartecrime“, der gewalttätige und gruppenzentrierte Übergriffe bezeichnet, die aus negativen und erniedrigenden Bewertungen heraus eine abschätzende Wahrnehmung einer fremden Gruppe als Ziel ihrer Gewalt definiert.
Nach Kolnai ist Hass immer auf Menschen bezogen und gegen Menschen gerichtet; Hass gegen eine Sache kann nur als Hass gegen eine menschengemachte Idee und somit als stellvertretendes Ziel begriffen werden, vgl. Kolnai 2007, 164.
Vgl. Hate Crimes in the OSCE Region, Bericht online verfügbar, unter: www.osce.org/odihr/33989.
Als solche gelten folgenden Straftatbestände: §§ 80–83, 84–86a, 87–91, 94–100a, 102–104a, 105–108e, 109–109h, 129a, 129b, 234a oder 241a des Strafgesetzbuches (StGB).
Bundesamt für Verfassungsschutz 2010, Verfassungsschutzbericht 2009, S. 35.
BMI / BMJ Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht (Kurzfassung) 2006, S. 24.
Hole, G.: Fanatismus. Der Drang zum Exrem und seine psychischen Wurzeln, Gießen 2004, S. 26.
Vgl. Le Bon, G.: Psychologie der Massen, Köln 2011, S. 39 f.
Dies liegt vor allem an einer generell erhöhten Beeinflussbarkeit, die sich in der „Alters-Kriminalitäts-Kurve“ niederschlägt. Die sog. „Age-Crime-Curve“ ist das Ergebniss verschiedenster Untersuchungen zum Thema Delinquenz und Alter. Registrierte Gewalttäter sind überproportional unter 20 Jahre alt. Je nach sozialem Hintergrund treten bis 30 Jährige Männer im Gewaltspektrum gegen ihnen Fremde auf, dies jedoch eher vereinzelt, vgl. McGuire, J.: Understanding psychology and crime. Perspective on Theory and action, Berkshire / New York 2009, S. 213.
Dies bezieht sich auf die Annäherungstheorie (Convergence Theory), nach welcher Massenverhalten nicht von der Masse selbst ausgeht, sondern von einzelnen Individuen in die Gruppe hineingetragen wird. Entsprechend schließen sich Menschen, die in einer bestimmten Weise handeln wollen, zusammen.
Vgl. Fromm, E.: Anatomie der menschlichen Destruktivität, 23. Auflage Reinbeck bei Hamburg 2011, S. 273; Dienstbühl, D: Gewalt als verständigung. Die Bandbreite von Jugendgewalt in Deutschland, in: Kriminalistik 8–9/2011 (507–512), S. 509.
McGuire 2009, S. 91 f.
Vgl. Schneider, H.J.: Opfer von Hassverbrechen junger Menschen: Wirkungen und Konsequenzen. Fremdenfeindlichkeit in viktimologischer Perspektive, in: MschrKrim 5/2001 (S.357–371), S. 359.
Dienstbühl, in: Kriminalistik 09/2011, S. 510 f.
Vgl. Nolting, H.-P.: Lernfall Aggression. Wie sie entsteht – wie sie zu vermeiden ist, 4. Auflage Reinbeck bei Hamburg 2004, S. 173.
Pressemitteilung des Bundesrates Nr. 33 vom 02.03.2012.
Hass als rechtlich definiertes Element einer Straftat findet sich allerdings in § 130 StGB, Volkverhetzung, vgl. § 130 Nr. 1 Abs. 1: „Wer in einer Weise, die dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert (…)“. Demnach ist der Aufruf gegen Hasstaten explizit strafrechtlich zu ahnden.
Beispielsweise die Polizeidirektion Südhessen in Darmstadt hat mit BASU 21 (Besonders auffällige Straftäter unter 21 Jahren) eine solche Einheit auf den Weg gebracht. Aufgrund der hohen Fallzahlen konzentrieren sich die Beamten mittlerweile auf Jugendliche bis 18 Jahren.