Organisierte Kriminalität

Rotlicht- und Organisierte Kriminalität

Die Situation

Das öffentliche Interesse an der Entführung und Verschleppung junger Osteuropäerinnen und an ihrer Ausbeutung in den Sexzentren der westlichen Welt hat nachgelassen.

Manfred Paulus
Erster Kriminalhaupt-
kommissar a.D.Ulm/Donau

Spektakuläre Enthüllungen, Aufsehen erregende Kriminalfälle, Anklagen gegen Menschenhändler und Zuhälter aber auch Anklagen gegen diejenigen, die diesem menschenunwürdigen Treiben tatenlos zusehen oder es durch fragwürdige Entscheidungen begünstigen, sind selten geworden. Der Handel mit der Ware Frau von Ost- und Südost- nach Westeuropa ist keine Schlagzeilen mehr wert, scheint wie verbannt aus Tagesschau und Tagesthemen. Auch in der politischen Diskussion spielt das unangenehme Thema in Deutschland nur noch eine untergeordnete oder auch gar keine Rolle mehr. Es wurde längst von anderen, vermeintlich oder tatsächlich wichtigeren Problemen überlagert und verdrängt.
Neben dem öffentlichen, medialen und politischen Interesse scheint es, als habe auch das Engagement der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden spürbar nachgelassen. Verwundern würde das nicht: Waren doch nach allzu vielen Urteilen, denen langwierige und aufwändige Ermittlungsverfahren wegen (Schweren) Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder Zuhälterei vorausgingen, auf Täterseite Party und Champagner und bei den Ermittlern Frust, Entsetzen und gelegentlich auch Resignation angesagt.
Darauf, dass das Kriminalitätsaufkommen im Bereich des Handels mit der Ware Frau durch wirksame Bekämpfungsstrategien und -maßnahmen, aufgrund fehlenden Angebots an potenziellen Opfern oder durch eine Sättigung der Märkte und ausbleibender Nachfrage geringer und bedeutungsloser geworden wäre, kann das allgemeine Desinteresse jedenfalls nicht zurückzuführen sein.
Erkenntnisse in den Rekrutierungsländern und Beobachtungen im Zielland Bundesrepublik Deutschland belegen gleichermaßen: Der Frauenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung boomt und zeigt keine abnehmenden sondern eher zunehmende Tendenzen.
Der von Seiten der Rekrutierungsländer, der Transit- und der Zielländer, vor allem aber von der Europäischen Kommission anhaltend und aufwändig geführte Kampf gegen dieses internationale und bestens organisierte Verbrechen zeigt, gemessen am Gesamtaufkommen, allenfalls bescheidene Erfolge. Das Angebot an potenziellen Opfern scheint unerschöpflich und die Nachfrage nach ihnen ist unverändert groß.
Frauenhandel mit dem Ziel der Sexsklaverei ist seit jeher, spätestens jedoch seit den Grenzöffnungen nach Osten hin, ein Betätigungsfeld von Tätergruppierungen, die dem Organisierten Verbrechen zuzuordnen sind. Und Deutschland lädt diese viel beschriebenen und zurecht gefürchteten OK-Gruppierungen durch seine zentrale geografische Lage, seine wirtschaftlichen Gegebenheiten, seine hohe Nachfrage nach illegalen Gütern (so auch nach den Opfern dieses Marktes) und nicht zuletzt durch seine anhaltend täterfreundlichen (gesetzlichen) Bedingungen geradezu ein. Und diese Gruppierungen nehmen die Einladung seit Jahren dankend und in hohem Maße an.
Auch bei den potenziellen Opfern in den Rekrutierungsländern Ost- und Südosteuropas hält die seit Jahren feststellbare, hohe Migrationsbereitschaft an, und Deutschland gilt noch immer als ihr Wunsch- und Zielland Nr. 1.
Die Bundesrepublik Deutschland wurde durch diese Interessenlage auf Täter- wie Opferseite und begünstigt durch seine wenig angepassten und wenig praktikablen gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der daraus resultierenden, ausbleibenden oder nur wenig abschreckenden Strafverfolgung zu einem Zentrum der sexuellen Ausbeutung junger Frauen aus dem Osten Europas und zu einem Aktionsfeld mafioser Gruppierungen aus aller Welt.
Rotlicht- und Organisierte Kriminalität sind eng miteinander verknüpft. Und der Handel mit der Ware Frau ist nicht nur ein wesentliches Betätigungsfeld und Standbein sondern ein Basisdelikt der gesamten Organisierten Kriminalität, die sich in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und auf dem Balkan entwickelt und ausgebreitet hat. Es ist die einzige Kriminalitätsform, mit der sich sehr schnell sehr viel Geld erwirtschaften lässt, ohne auch nur einen Cent zu investieren. Und viele Tätergruppierungen haben zumindest am Anfang ihrer zweifelhaften, kriminellen Karriere kein Geld für Investitionen oder sie investieren, wenn sie solches haben, bevorzugt in einem anderen Bereich.
Kommt dem Bereich Rotlichtkriminalität nicht (mehr) die erforderliche Aufmerksamkeit zu, werden die Delikte im Zusammenhang mit der Prostitution nicht mehr wirksam bekämpft, so begünstigt das zwangsläufig auch den schleichenden Prozess des Machtauf- und -ausbaus der Organisierte Kriminalität im Land. So gesehen haben die Freiheiten des Milieus und die zahlreichen, milden und täterfreundlichen Urteile der Vergangenheit und eine daraus möglicherweise resultierende, polizeiliche Enthaltsamkeit für Deutschland fatale Folgen.

Das Milieu

Wie sieht das die Prostitution vereinnahmende und beherrschende Milieu heute in der Bundesrepublik Deutschland aus? Warum überhaupt gibt es dieses – in weiten Teilen – kriminell orientierte und kriminell handelnde, rund um die Prostitution angesiedelte Milieu?
Zunächst ist festzustellen, es gibt nicht eines sondern es gibt viele Milieus in Deutschland. Sie agieren größtenteils unabhängig voneinander, sind teilweise aber auch miteinander verbunden, unterstützen oder bekämpfen sich. Zu jedem Milieu gehören Objekte – Häuser, Wohnungen, Kneipen, Bars, Bordelle, ganze Straßenzüge oder Stadtviertel… Und zu jedem Milieu gehören (Milieu-)Personen: Zuhälter, Prostituierte, Mieter, Vermieter, kleine und große Bosse, Ausbeuter und Ausgebeutete, Gehilfen, Gummi- und Pfandflaschensammler, menschliche Wracks. Zunehmend aber auch Anwälte, Betriebswirtschaftler, „seriöse„ Geschäftemacher in feinstem Zwirn, Erpresser und Erpresste, Korrumpierende und Korrumpierte, vom Milieu Abhängige, ihm aus welchen Gründen auch immer Hörige! Sie alle sind einer bestimmten Ebene des hierarchischen Milieuaufbaus zugeordnet.
Und sie alle sind den ungeschriebenen Gesetzen des Milieus verpflichtet.
Diese Milieugesetze sind von größter Bedeutung. In der Parallelgesellschaft Rotlichtmilieu finden die Spielregeln und Normen der Allgemeinheit und ihre Gerichtsbarkeit keine Anerkennung. Das Milieu hat eigene Wertvorstellungen, eigene Spielregeln, eigene Gesetze. Es hat eigene Ermittler, eigene Richter und wenn erforderlich auch eigene Henker.
Der Verrat ist nach diesen Milieugesetzen die schlimmste und am härtesten zu ahndende Verfehlung. Und Verrat ist alles, was dem Milieu und seinen Mächtigen Schaden zufügen könnte oder schadet. Würde sich eine Prostituierte hilfesuchend an die Polizei wenden oder aber davon sprechen, nicht freiwillig der Prostitution nachzugehen, dann wäre das Verrat. Ausländerinnen, allen voran die Opfer des Menschenhandels, lernen das in ihrer ersten Lektion und die wird ihnen zumeist längst vor Betreten deutschen Bodens oder deutscher Bordelle erteilt.
Deshalb, nur deshalb gehen alle aus Moldawien, der Ukraine, Rumänien oder einem anderen Rekrutierungsland eingeschleusten und in Deutschland anschaffenden Frauen „freiwillig„ der Prostitution nach, deshalb leugnen sie beharrlich jegliche Zwangssituation. Und dieses „freiwillig„ ist ein wahres Zauberwort.
Geht eine Prostituierte „freiwillig„ der Prostitution nach, dann haben plötzlich Freier, Clubchefs, Bar- und Bordellbesitzer aber auch Zuhälter kein Problem mehr damit.
Und nicht nur das: Auch die Gutmenschen, die Polizei und andere Behörden, Justiz, Kommunen, Landkreise und die Politik werden entlastet; das Strafrecht mit seinen einschlägigen Normen wird außer Kraft gesetzt!
Deshalb, nur deshalb nimmt man es gelegentlich nicht ungern zur Kenntnis und geht man nur all zu gern davon aus, dass diese Frauen sich „freiwillig„ prostituieren.
Und auch an den Stammtischen der Republik tröstet man sich damit, dass diese Frauen doch inzwischen längst wissen, wo ihre Reise hingeht, dass sie froh und glücklich sein können, in einem deutschen Puff arbeiten zu dürfen, dass es ihnen hier bei uns immer noch besser geht, als daheim…
Hinter all diesen Thesen steht die so beruhigende wie falsche Erkenntnis, dass sich all diese Frauen freiwillig prostituieren.
In Wahrheit gibt es keine Frau, die im Stunden- oder gar Viertelstundenrhythmus mehr oder weniger appetitliche und mehr oder weniger perverse Freier bedient, ohne letztlich außer einem anwachsenden Schuldenberg etwas davon zu haben und genau das ist häufig der Fall.
Fakt ist: Neun von zehn in Deutschland anschaffende Prostituierte sind fremdbestimmt. Sie bestimmen also nicht selbst über sich und ihr Tun. Und bestimmen darüber Andere, so ist der Schritt hin zur Abhängigkeit und Ausbeutung nicht mehr sehr groß. Polizeiliche Erkenntnisse hierzulande und solche in den Rekrutierungsländern belegen, (potenzielle) Opfer werden gewaltsam entführt und gewaltsam der Prostitution zugeführt.
Ein hoher Anteil wird getäuscht, in die Schuldenfalle getrieben, in Abhängigkeit und in eine hilflose Lage versetzt und auf diese Weise gefügig gemacht. Dabei leisten Drogen wertvolle Dienste.
Drogen sind im Milieu längst mehr als eine zweite, bedeutende Einnahmequelle und ein zweites Standbein neben der Prostitution. Drogen sind eine Vielzweckwaffe und werden gezielt und zweckorientiert eingesetzt: Mit Drogen werden die (potenziellen) Opfer kriminalisiert. Damit wird ihnen der Weg zur Polizei erschwert oder unmöglich gemacht. Mit Drogen wird Hilflosigkeit und Abhängigkeit (von Zuhältern und dem Milieu) erzeugt. Drogen erleichtern den Einstieg in die Prostitution und das „Anschaffen„ selbst.
Drogen wirken leistungsfördernd, was die Einnahmen erhöht und sie führen ins Elend, was wiederum zuhälterische Hilfe erfordert, Abhängigkeit schafft. Scheint diese Hilfe nicht mehr von Nutzen, ist ein Opfer irgendwann nicht mehr ausbeutbar, wird es zum lästigen Abfall und weggeworfen, entsorgt.
Andere Frauen aus Ost- und Südosteuropa sind in Not (Armut, Krankheiten u.a.) und nur deshalb bereit, sich (vorübergehend) zu prostituieren. Wieder andere sind mit der Prostitutionsausübung, jedoch nicht mit den Bedingungen einverstanden, unter welchen sie stattfindet. Sie alle gehen n i c h t freiwillig der Prostitution nach. Sie alle sind Opfer. Und Opfer sollten Opfer sein dürfen.


Die Opfer des Menschenhandels lernen in der Regel allein die Gesetze des Milieus und keine anderen kennen.
Sie kommen nie in dem Deutschland an, das sie sich erhoffen, das sie so sehr schätzen und vielleicht sogar lieben. Sie kommen auch nicht in dem Deutschland an, das wir kennen und in dem wir Deutschen – die Allgemeinheit – leben und uns wohl fühlen. Sie sind vielmehr von Anfang an Gefangene des Milieus und seinen Spielregeln unterworfen. Soziale Kontakte zur Allgemeinheit hin werden bewusst und strikt untersagt, verhindert oder unterbunden.
Die Milieugesetze, ihre strikte Anwendung und Einhaltung, machen herkömmliche polizeiliche Mittel und Ermittlungsmethoden zu stumpfen, untauglichen Waffen. So nützt das Instrument der Vernehmung nur wenig, wenn das Gegenüber permanent lügt oder schweigt. Eine Telefonüberwachung kann beendet werden, wenn die Polizei im zweiten, gesprochenen Satz freundlich als Mithörer begrüßt wird. Und die Durchsuchung oder Razzia in einem Rotlichtobjekt kann unterbleiben, wenn die Pässe der Bediensteten beim Eintreffen der Einsatzkräfte schön geordnet auf dem Tresen bereitliegen.
Um Menschenhandel, Sexsklaverei und andere (Organisierte) Milieukriminalität zu entdecken und wirksam zu bekämpfen, bedarf es heute anderer Waffen. Auf den „Luxus„ aufwändiger und langfristig angelegter Strukturermittlungen mit völlig ungewissem Ausgang und ohne jegliche Erfolgsgarantie ausgestattet, wird man dabei nicht verzichten können. Eine bei der Polizei zunehmend verbreitete Statistikhörigkeit und die daraus resultierende Jagd nach dem schnellen, bei näherem Hinsehen jedoch oft bescheidenen und fraglichen (Teil-)Erfolg, kommt allein politischen Interessen entgegen. Einer wirksamen OK-Bekämpfung dient dieses Streben nicht. Im Gegenteil: Es verhindert sie.
Die Größenordnungen der Milieus sind sehr verschieden, die Strukturen, Milieugesetze und deren Anwendung, sind im Wesentlichen überall gleich.
Wie aber entstehen und warum gibt es diese, die Prostitution vereinnahmenden und beherrschenden Milieus?
Die Lebensverhältnisse in der Prostitution sind extrem schwierig und belastend. Der soziale Druck, der auf den Prostituierten lastet, wiegt schwer und der zwangsläufig erforderliche, alltägliche Spagat zwischen Gesellschaft und Parallelgesellschaft stellt hohe Anforderungen. Die anhaltende, physische wie psychische Stresssituation der Frauen in der Prostitution macht den Schutz und den Beistand, den eine Subkultur (das Milieu) bieten kann und auch bietet, geradezu existenznotwendig. Begünstigt wird das Entstehen und die Existenz der Milieus auch durch die staatliche und gesellschaftliche Zurückhaltung und Distanzierung gegenüber der Prostitution (unanständig, anrüchig, sittenwidrig).
Dadurch entsteht das Vakuum, in welchem die Parallelgesellschaft entstehen und sich entfalten kann.
Schließlich kommt dem Milieu auch die Ambivalenz entgegen, mit der die Gesellschaft der Prostitution und ihrem Umfeld begegnet, indem sie diese zutiefst verachtet und verdammt, gleichzeitig aber in hohem Maße in Anspruch nimmt.

Der Markt

400 000 bis 500 000 Frauen bedienen in Deutschland die Nachfrage von Freiern, die sich aus allen gesellschaftlichen Schichten rekrutieren. Gut die Hälfte der Sexarbeiterinnen, örtlich sind es 80%, sind Ausländerinnen und von den „Deutschen„ haben nicht wenige einen Migrationshintergrund. Sie sind, auf welche Weise auch immer, jedenfalls zumeist im Sinne und auf Betreiben ihrer Ausbeuter, in den Besitz eines deutschen Passes gelangt, wodurch Aufenthalt und Ausbeutung langfristig gesichert werden können. Ohne die Thailänderinnen und Frauen anderer Nationen zu vergessen – die allermeisten der heute in Deutschland tätigen Sexarbeiterinnen kommen aus Ost- und Südosteuropa.
Es kommt in Deutschland täglich zu etwa 1,5 Millionen Freier-Prostituierten-Kontakten. Bei einem als realistisch anzusehenden durchschnittlichen Dirnenlohn von 100 Euro werden im bundesdeutschen Prostitutionsmilieu jeden Tag 150 Millionen Euro umgesetzt. Das sind Umsätze, wie sie sonst wohl nur von weltweit tätigen Unternehmen wie Adidas oder Tschibo getätigt werden und bei denen so manche, treusorgende Ehefrau ins Grübeln kommen könnte.
Durch Menschenhandel, Sexsklaverei, Drogen- und Waffengeschäfte, Schutzgelderpressung und andere OK-Kriminalität werden am Rande des bundesdeutschen Prostitutionsgeschehens allerdings noch weit höhere Umsätze erzielt. Eine Feststellung, bei der so mancher sicherheitspolitisch Verantwortliche ins Grübeln kommen könnte.
Werden diesem gigantischen Markt mit der (importierten) Ware Frau und der Tatsache, dass weiterhin jährlich hunderttausende Frauen von Ost nach West gehandelt und nicht wenige davon der Prostitution zugeführt werden, die vom Bundeskriminalamt im jährlichen „Bundeslagebild Menschenhandel„ veröffentlichten Zahlen gegenüber gestellt, so wird deutlich, dass Frauenhandel und Sexsklaverei in Deutschland nicht (mehr) erkannt und nicht (mehr) wirksam bekämpft werden – oder aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen nicht mehr erkannt und nicht mehr wirksam bekämpft werden können.
Allein aus dem kleinen Land Moldawien sind während der vergangenen Jahre 600 000 bis 800 000 junge Menschen (überwiegend Frauen) westwärts gezogen oder westwärts gehandelt worden. Sicher landeten sie nicht alle in Deutschland und sicher auch nicht alle in der Prostitution. Kennt man allerdings die von Organisierter Kriminalität geprägten Bedingungen in dem kleinen und geplagten, zwischen Rumänien und der Ukraine eingeklemmten Land, weiß man von dem dort verbreiteten Wunsch der jungen Menschen, in den Westen und da vor allem nach Deutschland zu gelangen, kennt man die jahrelangen, geradezu grob fahrlässigen und kriminalitätsfördernden Praktiken bei der Visumsvergabe und dazu die Handelswege und -praktiken auf der gängigen Balkanroute, so wird man nachdenklich und kommt zur begründeten Annahme, dass nicht wenige dieser jungen Frauen (vielleicht mit rumänischem* oder längst mit einem deutschem Pass ausgestattet) mitten in Deutschland als Sexsklavinnen gehalten werden könnten.

Die Mafia

Abgesehen davon, dass Frauenhandel, Sexsklaverei und andere Milieukriminalität seit jeher in hohem Maße Tätern und Tätergruppierungen zuzuschreiben ist, welche nach Zusammensetzung, Arbeitsweise und Zielsetzung der polizeilichen Arbeitsdefinition des Organisierten Verbrechens entsprechen, machten sich seit dem Fall der Mauern nach Osten hin Gruppierungen aus aller Welt auf, um an diesen lukrativen Märkten im bundesdeutschen Rotlicht teilzuhaben.

  • Nigerianer,
  • Ghanaer,
  • Araber (Libanesen),
  • Türkische und kurdische Gruppierungen,
  • Balkansyndikate,
  • Russenmafia,
  • Ukrainer,
  • Litauische Banden und nicht zuletzt
  • Albanische Clans

und noch einige andere eroberten sich Milieuanteile, bauten sie aus und üben heute in weiten Teilen Macht aus im bundesdeutschen Prostitutions- oder Rotlichtmilieu.
Die Übernahmen erfolgten weitgehend lautlos. Wohl wissend, dass Organisierte Kriminalität da am besten funktioniert, wo Ruhe vorherrscht, wurden spektakuläre und öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen vermieden – so gut das eben ging.
Zudem sahen sich die bis dahin herrschenden Kiezgrößen und Revierfürsten zumeist hoffnungslos überlegenen Eindringlingen mit einer bis dahin kaum bekannten Gewaltbereitschaft ausgesetzt, die jeden Widerstand zwecklos erscheinen ließen oder solchen im Keime erstickten.
Die Bosse der Gruppierungen des Organisierten Verbrechens waren freilich auch klug genug, die bisherigen Statthalter nicht nur zum Teufel zu jagen sondern sie und ihre Milieukenntnisse für ihre Zwecke zu nutzen. Und so gibt es Hinweise darauf, dass lokale Rotlichtgrößen in die neuen Strukturen eingebunden und mit bestimmten Aufgabenfeldern betraut wurden.
Vermehrt wurden Strohleute eingesetzt. Bordellbetriebe wurden von „vorgeschalteten„ Geschäftsführern oder Wirtschaftern übernommen, die nicht vorbestraft und unverdächtig waren. Alle vertraglichen Regelungen wurden akribisch über Steuerberater, Anwälte und Notare abgefasst und bald waren keine Rückschlüsse auf Investoren, Eigentumsverhältnisse, Geldflüsse und vor allem auf die eigentlichen Herrscher und Gruppierungen im Hintergrund mehr möglich.
Örtlich wurden zudem sehr nützliche Verbindungen geknüpft. So genannte Staranwälte sind bei Partys im Milieu ebenso angetroffen worden, wie (ehemalige) Spitzenpolitiker, Prominente aus Film und Fernsehen, Richter und Polizisten… Kennt man das Milieu und seine Strategien, so weiß man, dass solche Einladungen niemals nur Zufall oder freundschaftliche Geste sind.
Auch Rockergruppierungen (Hells Angels), so scheint es, hatten örtlich Mühe, sich ihre Milieuanteile zu sichern. Sie scheinen derzeit bemüht, sich so aufzustellen, dass sie gegenüber den ausländischen Eindringlingen und deren Gewaltbereitschaft konkurrenzfähig bleiben.
Andere deutsche Investoren und Zuhälter machten sich auf, um nach neuen Möglichkeiten und Geschäftspraktiken zu suchen. Sie veränderten ihr Äußeres und sie veränderten ihre Strategien. Sie traten bei den Behörden vermehrt als seriöse Geschäftsleute auf, verwandelten Puffs in Wohnheime GmbH und Co KG, kreierten neue Spielarten wie Gang-Bang-Parties oder Flatrate-Sex.
Sie errichteten stilvolle Häuser in Gold und Marmor, in griechischem, römischem oder fernöstlichem Stil, keineswegs zufällig in Flughafennähe (Stuttgart, München), in der Nähe von Macht- und Behördenzentren (selbst der Europarat in Straßburg hatte sich unlängst mit den regen, nachbarschaftlichen Milieukontakten seiner Abgeordneten und den sich daraus ergebenden Gefahren zu befassen – und das ist keineswegs nur ein französisches Problem, denn die Zuhälter albanischer Herkunft sitzen in Deutschland und schicken ihre Sklavinnen über die Europabrücke auf den Straßburger Strich) oder einer Polizeiakademie.
Sie dringen in Erlebniswelten, Wellnessanlagen, Freizeitparks ein. Und sie suchen auf diese Weise Zugang zu einem Klientel, das mit Macht und Einfluss ausgestattet ist, das es sich jedoch nicht erlauben kann, durchs Laufhaus zu gehen:


Rechtsanwälte, Bürgermeister, Politiker, Polizisten, Juristen, Prominente… In den Strategien des Milieus und im Milieujargon: Erpressbare, nützliche Idioten!
Sehr aufwändige und intensiv geführte Ermittlungen der Kriminalpolizei in Augsburg ergaben, dass ein von höchst seriös erscheinenden Betreibern „bestens geführtes„ und selbstverständlich „kriminalitätsfreies‘„ Nobelbordell von Strohpersonen betrieben wurde, hinter denen eine türkische Tätergruppierung aus dem Raum Köln die Fäden zog, die der OK zuzuordnen war.
Die angeblich völlig frei und in bester Atmosphäre anschaffenden Prostituierten waren erheblichen Zwängen ausgesetzt.
Ein „höchst niveauvolles und seröses„ Haus, scheinbar fernab jeglicher Kriminalität, so wurde in Augsburg nachgewiesen, war ein Objekt des Organisierten Verbrechens.
Es ist begründet zu vermuten, dass dies anderswo nicht anders ist. Allein der Nachweis, so scheint es, fehlt.
Auch stilvollste und seriöseste Einrichtungen dieser Art sind und bleiben Teil des Milieus.
Und in diesem Milieu hat die Organisierte Kriminalität heute in weiten Teilen das Sagen.
Dass der OK zuzuordnende Gruppierungen vermehrt ins Milieu eindringen und dort ihre Macht kontinuierlich ausbauen konnten und weiterhin ausbauen können, ist auf fehlende Milieukenntnisse, fehlendes Problembewusstsein und damit verbundene Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen sicherheitspolitisch Verantwortlicher zurückzuführen. Dies führt wiederum zu einem deutlich zu niedrig angesetzten Stellenwert der Milieukriminalität bei den Sicherheitsbehörden.
Die einschlägigen Tatbestände (Menschenhandel, Zuhälterei) sind zudem wenig praktikabel.
Durch gesetzliche Neuregelungen (2001: Aufhebung der Pflicht zur regelmäßigen Gesundheitskontrolle für Prostituierte, 2002: Prostitutionsgesetz; Streichung des Tatbestands der Förderung der Prostitution) und politische Veränderungen (2004 und 2007: Erweiterung der EU nach Osten und Südosten hin mit entsprechenden Freizügigkeitsregelungen) wurden die polizeilichen Möglichkeiten erheblich eingeschränkt, einschlägige (Organisierte) Kriminalität begünstigt und das Viktimisierungsrisiko für junge Ost- und Südosteuropäerinnen erheblich erhöht.
Doch es ist nicht nur die Verkennung des Milieus, es sind nicht nur die Fehleinschätzungen derer, die in der Verantwortung stehen; es ist gelegentlich auch ihre klammheimliche Sympathie für das Milieu, welche zu den Freiheiten führt, die diesem und damit auch dem (Organisierten) Verbrechen eingeräumt werden. Dieses Milieu hat Gewichtiges zu bieten:
Sex, Geld und Skrupellosigkeit. Und es setzt diese, seine Waffen so geschickt wie erfolgreich ein.
Roberto Scarpinato, Leitender Oberstaatsanwalt der Direzione Distrettuale Antimafia di Palermo, ist der wohl erfahrenste und profilierteste Mafiajäger und Mafiakenner der Gegenwart. Er arbeitete noch mit den heutigen Symbolfiguren des Kampfes gegen das Organisierte Verbrechen, Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino zusammen, die beide im Jahr 1992 mit einem von der Mafia gezündeten Sprengsatz in die Luft gejagt wurden.
Scarpinato war auch Chefankläger im Prozess gegen den italienischen Staatspräsidenten Giulio Andreotti, dem er Mafiakontakte nachwies und den er aus dem Amt hievte.
Dieser Roberto Scarpinato warnt Deutschland seit Jahren, ohne dabei sehr erfolgreich zu sein, vor dem Eindringen mafioser Kräfte, vor dem Gewähren lassen des Organisierten Verbrechens und vor dieser in Deutschland immer wieder und immer noch spürbaren Mafiaromantik:

Auch Roberto Scarpinato hält die in Deutschland zur Verfügung stehenden und angewandten Mittel und Methoden zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität für wenig taugliche, stumpfe Waffen:

Schon nach den Morden in Duisburg wies Scarpinato auf die in Deutschland fehlenden oder mangelhaften Instrumente zu einer erfolgreicheren Bekämpfung des Organisierten Verbrechens hin:


Maßnahmen

Was ist zu tun, um den im bundesdeutschen Rotlicht immer deutlich sichtbarer werdenden, verhängnisvollen Prozess aufzuhalten, der zwangsläufig in eine korrupte, von kriminellen Machthabern geprägte und von Kriminalität und Unrecht beherrschte Zukunft – nicht nur des Milieus sondern des ganzen Landes – führen könnte?
Ein Patentrezept gibt es ganz sicher nicht. Und es gibt nach all dem, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten in naiver, gutgläubiger oder grob fahrlässiger Weise hingenommen und gestaltet wurde, auch keine schnelle, wirksame Lösung.
Es sind wohl eine Vielzahl von Maßnahmen erforderlich, die miteinander verbunden zu einem Abwehrsystem reifen müssen, welches geeignet ist, den Herausforderungen wirksam zu begegnen. Einige erforderliche (Sofort-)Maßnahmen, die das Treiben der Kriminellen im bundesdeutschen Rotlicht und die Gruppierungen der Organisierten Kriminalität ganz empfindlich stören würden, drängen sich jedoch geradezu auf:

1. Strafrechtliche und strafprozessuale Anpassungen

Im Bereich Rotlicht- und Organisierte Kriminalität, wegen Zuhälterei und (Schweren) Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, ergehen in Deutschland angesichts des Kriminalitätsaufkommens erheblich zu wenig – und noch weniger angemessene – Urteile. Das Risiko für die Täter ist gering, die Strafverfolgung schreckt nicht ab sondern ermutigt und zieht neue Täter und Tätergruppierungen an.

Sind bei der jetzigen Gesetzeslage nicht mehr und angemessenere Urteile möglich, so sind die einschlägigen Normen des Straf- und Strafprozessrechts diesen Herausforderungen anzupassen.

2. Neufassung des Prostitutionsgesetzes vom 1.1.2002

In keinem anderen Gesetzeswerk wird die Verkennung des Milieus so deutlich, wie im Prostitutionsgesetz. Es stellt die Prostitution jedem anderen Gewerbe gleich – die Prostitution ist jedoch kein Gewerbe wie jedes andere und wird niemals ein solches sein. Es räumt Bordellbetreibern und Zuhältern ausdrücklich ein „eingeschränktes Weisungsrecht" ein. Doch wer soll dieses Recht einschränken und wer soll das kontrollieren? Dieses Weisungsrecht ist in seiner praktischen Bedeutung nichts anderes als die ausdrückliche Legalisierung der Zuhälterei.

3. Wiedereinführung des Tatbestands der
Förderung der Prostitution

Mit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes wurde der Tatbestand der Förderung der Prostitution gestrichen. Diese Norm war reformbedürftig, ist aber als Ermittlungstatbestand unverzichtbar (ermöglichte polizeiliche und damit soziale Kontakte ins Milieu, wodurch Viktimisierungsprozesse und Kriminalität erkannt werden konnten).

4. Erlaubnispflicht zum Betreiben eines Bordells oder einer
bordellähnlichen Einrichtung mit einem Einbau von Schutz-
mechanismen gegen „Strohpersonen"

Eine solche Konzession benötigt jeder Gastwirt!

5. Erlaubnis der Prostitution ausschließlich als
selbsttätige Erwerbstätigkeit

Ein Verbot jeglicher Einflussnahme dient dem Schutz der Prostituierten vor Ausbeutung, zugleich wäre damit eine klare Regelung der Zuhälterei möglich und auch die Steuerfrage zu lösen.

6. Verbot der Prostitution für Frauen unter 21 Jahren

Die allermeisten Opfer des Frauenhandels und der Sexsklaverei sind noch keine 21 Jahre alt.

7. An- und Abmeldepflicht der Prostituierten bei der örtlich zuständigen Polizei

Sie dient dem Schutz und der Sicherheit der Prostituierten, ermöglicht zudem eine Kontrolle der Handelswege der Ware Frau.

8. Wiedereinführung der Pflicht regelmäßiger Gesundheitskontrollen für Prostituierte

Neben gesundheitlichen Aspekten würden dadurch regelmäßige, soziale Kontakte möglich, bei denen Kriminalität erkannt werden kann.

* In den Jahren vor der Aufnahme Rumäniens in die EU (2007) befürchteten die Menschen in Moldawien eine Ausgrenzung und ein Zusammenbrechen der kleinen, bilateralen Märkte mit Rumänien. Viele Menschen – allen voran solche in Verbindung mit dem Organisierte Verbrechen – waren bemüht, sich einen rumänischen Pass zu beschaffen. Voraussetzung dafür war unter anderem das Beherrschen der rumänischen Sprache – sehr viele Moldawier(innen) aber sprechen Rumänisch. Voraussetzung war auch, 36,– Euro aufzubringen, die für die Ausstellung des Passes erforderlich waren. Diesen Betrag brachten viele arme Menschen nicht auf. Diejenigen, die mit dem Organisierten Verbrechen in Verbindung standen, so ist zu vermuten, allerdings schon.


Quellenangabe:

Symposium der 14. Karlsruher Gespräche „Organisierte Kriminalität„,
Referat von und Gespräche mit Roberto Scarpinato vom 5.-7-2-2010 in Karlsruhe