Wirtschaftskriminalität / Korruption

Kriminalpolitische Herausforderungen der Finanzkrise

– Organisierte Kriminalität oder Systemversagen? –

Der Ausdruck „Krise„ scheint ein Schlüsselbegriff der Wirtschafts- und Finanzpolitik geworden zu sein. Sein inflationärer Gebrauch signalisiert auch eine Krise des (Zeit-)Geistes. Der Begriff kann entlasten und ein fast schon demütiges Einverständnis mit vermeintlich naturgesetzlich bestimmten Abläufen erzeugen. Die Behandlung der „Finanzkrise„ in den Medien erweckt jedenfalls den Eindruck, als ob es sich um ein naturwüchsig ablaufendes, vorausschauender Steuerung entzogenes Geschehen handele. Diese Sicht ist nicht nur irreführend, sondern falsch. Sie dürfte das Produkt einer geschickten Medienpolitik sein. Angesichts der in jeder Hinsicht katastrophalen Situation der globalen Finanzwirtschaft stellen sich gleichwohl zahlreiche und schwierige Fragen. Sie erstrecken sich über ein weites Spektrum. Es reicht von der Wirtschafts- und Ordnungspolitik bis zum Sicherheitsrecht.

Dr. Wolfgang Hetzer,
Adviser to the Director General, European Anti-Fraud Office, Brüssel

Im Hinblick auf das Wirtschaftsstrafrecht sind manche Wissenschaftler davon überzeugt, dass es sich um die komplexesten Fragestellungen handelt, die jemals an dieses Rechtsgebiet herangetragen wurden. Auch der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer hat jüngst daran erinnert, dass die Wirtschaft für das Strafrecht ein schwieriger Regelungsbereich ist. Ihm müsse man sich mit Respekt und Umsicht nähern. Die Folgen für das Wirtschaftsstrafrecht sind aus seiner Sicht klar:

  • Konzentration der Strafbarkeit auf handfeste Rechtsgutsverletzungen.
  • Freihaltung und Sicherung eines Kernbereichs, in dem die Wirtschaft ihrer eigenen Vernunft folgt.
  • Einrichtung strafrechtlich flankierend gesicherter Prozeduren, die im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung Transparenz und Kontrolle ermöglichen.

Diese Erkenntnisse könnten übrigens auch die interessante Frage aufwerfen, von welcher Vernunft die Wirtschaft letztlich geleitet wird und ob dieser eine strafbarkeitsausschließende Wirkung zukommen kann. Eine Antwort liegt womöglich in rechtsphilosophischen (Un-) Tiefen, in welche meine oberflächlichen Bemerkungen nicht vordringen können. Das macht aber nichts. Relevanter ist die Erkenntnis, dass mit der öffentlichen Rede über die Krise eine Betäubung eingeleitet wurde, in der die Suche nach den Verantwortlichen und Schuldigen einer äußerst schädlichen und gemeingefährlichen Entwicklung extrem schwierig wird. Es kommt hinzu, dass die notwendige Arbeit am Begriff der Wirtschaftskriminalität lange Zeit nicht in genügender Weise erfolgte, weil sie ein „Stiefkind der Kriminologie„ war.
Die Lage muss wirklich sehr ernst und verzwickt sein. Immerhin meldet der pseudophilosophische Zeitgeist Feindeinbruch. Ein prominenter Vertreter namens Precht hat sich bislang vor allem bei der publikumswirksamen Erörterung von Identitätsproblemen und Liebesfragen Verdienste erworben. Jetzt bietet er aber auch beeindruckende Lagebeurteilungen an. Der „Feind„ sei auf leisen Sohlen gekommen, nämlich mit der Unterspülung der Moral durch Ebbe und Flut der internationalen Finanzwirtschaft. In der gegenwärtigen Situation brauche eine Demokratie auf der obersten Führungsebene ausgewiesene und unbestechliche Experten. Nur wenn die Besten der Besten regierten sei vertretbar, dass nicht das Volk selbst das Zepter der Macht schwinge. Die Experten in der Realität bundesdeutscher Demokratie fänden sich aber gut getarnt und verschüttet hinter Stapeln ungelesener Expertisen, predigten in Büchern, die kein Politiker lese oder versänken im Alltag unserer Universitäten. Unsere Politiker glichen dagegen herumirrenden Wanderern, denen als Wegweiser Lobbyisten aller Couleur dienten, die im Bundestag ein- und ausgingen. Sie bekämen die Politik, die sie wollen, sei es durch eine Parteispende, durch beharrliche Freundlichkeit oder durch Jobangebote für nebenbei und nachher. Manche Politrentner seien keine „Elder Statesmen„ mehr, sondern „Elder Salesmen„. Wenn eine Erkenntnis und ein gegenläufiges Interesse aufeinandertreffen, gewinne das Interesse.
Wie auch immer: Hinter dem Begriff „Krise„ stehen individuelle und kollektive Selbsttäuschungen, wirtschaftliche Interessen und politisches Kalkül. Der Sprachgebrauch unterstellt den episodischen Charakter der Entwicklung und gaukelt deren Beherrschbarkeit vor („Krisenmanagement„). Politiker können sich als entschlossene und kompetente Schutzherren des Gemeinwohls darstellen, darauf hoffend, dass die Schutzbefohlenen ein kurzes Gedächtnis haben oder die Komplexität der Materie ohnehin nicht durchschauen und ihr „Urvertrauen„ zu den vermeintlich Mächtigen behalten.
Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik haben jedoch in einer Mischung aus Ehrgeiz und Unfähigkeit selbst die Bedingungen geschaffen, unter denen sich die internationale Finanzwirtschaft in ein Schlachtfeld verwandeln konnte. Es wird zu einem beträchtlichen Teil von feigen Freibeutern, überforderten Amtsinhabern, korrupten Wirtschaftssubjekten und kriminellen Gestalten beherrscht, die teilweise mit dem Habitus des seriösen Bankers auftreten. Jedenfalls hat keine Naturgewalt diese Finanzkrise ausgelöst, sondern vor allem beschämendes Versagen in den Vorstandsetagen. Und viele Regierungen haben jahrelang einfach nur zugeschaut. Mittlerweile gibt es eine ganze Chronik des Staatsversagens.
Plötzlich scheint man aber aufgewacht zu sein. Selbst über die Ökonomen und deren Kompetenz wird jetzt nachgedacht, haben sie sich doch ungeachtet ihrer hohen mathematischen Intelligenz gewaltig verrechnet. Die Welt befindet sich womöglich weiter auf dem Weg in ihren schlimmsten wirtschaftlichen und sozialen Alptraum, wie schon im Rückblick auf die Unruhen in Griechenland im Jahre 2008 gemutmaßt wurde. Schon werden die Symptome einer „Systemkrise„ der sozialen Marktwirtschaft diagnostiziert und man sieht gleich die ganze Demokratie in Gefahr. Gleichzeitig erschallt der Ruf nach dem „starken Staat„. Experten stellen die Frage, ob wir in einer „realwirtschaftlichen„ Krise oder „nur„ in einer Finanzmarktkrise stecken. Immerhin haben sie schon entdeckt, dass die Finanzkrise ihren Auslöser in einem dreifachen Staatsversagen in den USA hat:

  1. Eine jahrelange Niedrigzinspolitik der Notenbank, die sogar negative Realzinsen zuließ.
  2. Die Verweigerung einer frühzeitigen Regulierung der Finanzmärkte.
  3. Der Verzicht auf die Rettung von Lehman Brothers, einer „systemisch wichtigen„ Bank.

Die Debatte über einzelne Kausalfaktoren und konkrete Verantwortliche hat sehr zögerlich begonnen. Und sie wirkt immer noch sehr verdruckst. Dabei geht es noch keineswegs um strafrechtliche Schuldfragen.
Ich nenne nur wenige Stichwörter:

  • Weltweit deregulierte Kapitalmärkte.
  • Falsche Konzeption der noch bestehenden Regulierungen.
  • Zu großzügige Geldversorgung durch die Notenbanken.
  • Beteiligung von Regierungen an der Kreditvergabe durch staatliche und halbstaatliche Banken.
  • Versagen der aufsichtführenden Eigentümer und damit regierungsamtliche Pflichtverletzung.
  • Produktion großer Mengen fauler Immobilienkredite durch massive Eigenheimförderung (insbesondere in den USA).
  • Mangelnde Anpassung staatlicher Regulierungen an die Möglichkeiten neuer Finanzmarktinstrumente.
  • Ausnutzung von Regulierungslücken durch Banken im Handeln gegen den Geist bestehender Vorschriften.
  • Versagen des bankinternen Risikomanagements.
  • Unangemessene Vergütungsregeln für Bankmanager.
  • Unzureichende Risikoverteilung im Rahmen von Verbriefungen.
  • Mangelnde Erfahrungswerte mit neuen Produkten und entsprechend unangemessene Risikobewertungen.
  • Überheblichkeit und fast blindes Vertrauen in die prognostische Leistungskraft mathematischer Methoden und hochkomplexer Schätzverfahren.
  • Unterschätzung der Risikoaversion.

Eine sachgerechte Diskussion dieser sehr fragmentarischen Hinweise wäre nur im Rahmen einer breit angelegten ordnungspolitischen Debatte zu leisten. Dazu reicht die Zeit leider nicht. Hier will ich mich deshalb lediglich auf einige strafrechtlich reduzierte Perspektiven einlassen und unsystematisch mit wenigen Fragen beginnen:

  • Sind die in der Finanzkrise aufgetretenen Schäden Ausdruck der Wahllosigkeit von Naturkatastrophen oder die notwendigen Folgen einer Mischung aus professioneller Inkompetenz, politischer Nachlässigkeit und krimineller Energie?
  • Haben sich Personen und Kollektive als Akteure auf den Finanzmärkten dieser Welt sogar verabredet, um in rechtswidriger Weise ihrem Bereicherungsstreben zu frönen und dabei ganze Währungssysteme zu destabilisieren?
  • Ist eine international abgestimmte strafrechtlich orientierte Strategie der Risikominimierung erforderlich oder handelt es sich vor allem um eine ordnungspolitische Aufgabe?
  • Ist nationales Strafrecht auf derartige Herausforderungen überhaupt vorbereitet?
  • Verfügt man irgendwo über ein Sanktionensystem, das Täter beeindrucken kann, die sich in einer Kultur hedonistischer Asozialität weltweit mafiös verbunden haben?
  • Leben wir in einer Epoche, in der sich Organisierte Kriminalität als Wirtschaftsform etabliert hat und in der die Politik auf Hand- und Spanndienste für hochqualifizierte Verschwörer reduziert ist?

Ökonomisch orientierte Beobachter vertreten nach wie vor zumeist die Ansicht, dass die Finanzmarktkrise eine „Systemkrise„ sei. Folgt man dieser Deutung, dann ist niemand schuld, außer vielleicht die Politiker, weil sie die Stellschrauben des Systems nicht richtig gestellt haben. Die Frage, ob das Strafrecht in seiner gegenwärtigen Verfassung oder nach der Implementierung neuartiger Pönalisierungsstrategien geeignet ist, Risiken, wie sie in der anhaltenden Finanzkrise zu Tage getreten sind, präventiv und repressiv wirkungsvoll zu begegnen, bleibt offen. Skepsis ist angebracht. Die Kategorien des Strafrechts beruhen auf Rechtswidrigkeit, Schuld und individueller Zurechnung. Es ist „ultima ratio„ und lebt von Ableitungen aus anderen Rechtsgebieten. Strafrecht versagt, wenn es nicht um die Behandlung natürlicher Personen geht, sondern um die gemeinwohlverträgliche Moderierung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Prozesse und Systeme.Sollte jemals ein Überblick über die von Institutionen und Personen angerichteten Schäden möglich sein, wird es aber vielleicht doch noch eine Debatte über einen Funktionswandel des Strafrechts geben. An deren Ende sollte ein Sanktionsrepertoire stehen, das auch den Herausforderungen einer „Systemkriminalität„ gerecht werden kann und nicht nur Kinderpornografen und vielleicht noch Ladendiebe beeindruckt. Natürlich sind das menschliche Leid und die seelischen Beschädigungen, die dort angerichtet werden, schrecklich. Die entsprechende Delinquenz in dem erstgenannten Bereich hat auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Sie muss mit allen verfügbaren und geeigneten Mitteln verhindert, verfolgt und bestraft werden. Hier geht es aber um einen Sektor der Delinquenz, dessen Bedeutung ebenfalls kaum zu überschätzen ist und in dem der herrschende Komplexitätsgrad insbesondere für das Strafrecht grundlegende und äußerst schwierige Fragen mit sich bringt. Es ist einfach zu viel geschehen, um insbesondere im Wirtschafts- und Kapitalmarktstrafrecht zur Tagesordnung übergehen zu können.
Damit ist nicht ohne weiteres der undifferenzierte Ruf nach dem scharfen Schwert des Strafrechts gerechtfertigt. Er muss ohnehin unerhört bleiben, wenn das Gesetzlichkeitsprinzip und das rechtsstaatliche Strafverfahrensrecht keine Haftung vorsehen (sollten). Diese Grundsätze gelten indessen für jedermann, also auch für diejenigen, die im Vorfeld der Finanzkrise für Banken verantwortlich waren und für sie handelten. Es wäre gleichwohl falsch, nur den „systemischen Charakter„ der Finanzkrise zu betonen und deshalb die Frage der Verantwortlichkeit auch nach strafrechtlichen Maßstäben nicht zu stellen. Zur Beantwortung der Frage der Sanktionierbarkeit bestimmter Verhaltensweisen vor und während der Krise muss man sich eben nicht nur den Ursachen der Krise widmen, sondern auch die Sachverhalte und Geschäfte sehr genau definieren, die möglicherweise unter eine Strafdrohung gestellt sind. Allgemeine Betrachtungen, etwa zur Untreue, helfen nicht, wenn und solange nicht klar ist, um welche konkreten Konstellationen es geht. Leider wird diese Klarstellung ebenfalls aus Zeitgründen unterbleiben müssen. Ich kann hier nur einen thesenhaft verkürzten Überblick über den letzten Stand der Diskussion geben, die erst vor kurzem unter deutschen Strafrechtswissenschaftlern begonnen hat:

  • Die Finanzkrise wird in der öffentlichen Wahrnehmung als naturwüchsiges Phänomen dargestellt während die Idee, dass sie auf ein gleichgerichtetes kriminelles Verhalten einer kriminellen Kaste zurückzuführen ist, wenig Resonanz gefunden hat; deshalb gibt es übrigens noch keine ernsthaften Untersuchungen des Verhaltens einzelner Akteure.
  • Die Höhe der Boni für Bankmanager und die von Anfang an erkennbare Wertlosigkeit dubioser Wertpapiere werfen die Frage auf, ob eine Kombination aus kleptokratischer Mentalität im Bankenbereich und unermesslicher Oberflächlichkeit auch eine Ursache der Finanzkrise ist.
  • Im Handeln der Landesbanken außerhalb ihres öffentlichen Zwecks liegt schon eine Pflichtwidrigkeit.
  • Es gibt keine wirksame Einwilligung der in den Verwaltungsräten agierenden Vertreter der Bundesländer und Sparkassenverbände in die desaströsen Geschäftspraktiken der Landesbanken, weil das Volk der verfügungsbefugte Inhaber dieser Institute ist und deshalb auch etwaige Einwilligungserklärungen selbst unter dem Vorbehalt des § 266 StGB stehen.
  • Es ist ein gigantisches Schneeballsystem eigener Art aufgezogen worden, in dem Kredite an nicht solvente Personen vergeben und hoch verzinst wurden.
  • Mit Bezug auf die Grundstücke einkommensschwacher Schichten als alleiniger realer Basis für Spekulationsgeschäfte wurde die Idee konzipiert, aus Dreck Gold zu machen und schließlich den Konsum in den USA durch den deutschen Steuerzahler finanzieren zu lassen; deshalb sind die einschlägigen Investitionsentscheidungen problemlos unter die §§ 266, 283 StGB zu fassen.
  • Die Bankiers sind die Feldherren unserer Zeit, die nunmehr nicht mehr fremde Armeen, sondern vielfach Geld und Arbeitsplätze vernichten. Das Strafrecht ist daher das einzige Mittel, um ihnen beizukommen (von der „ultima ratio„ zur „sola ratio„). Andernfalls haben sie nichts zu befürchten, weil die Aufsichtsräte keinen Einfluss auf sie haben.
  • Auf den Märkten ist es üblich, dass die Schlaueren an die Dümmeren verkaufen, wobei noch nicht hinreichend geklärt ist, ob dies immer als Betrug strafbar ist.
  • Mindestens im Hinblick auf das Verhalten der Deutschen Bank gab es nur in seltenen Ausnahmefällen offensichtlich unvertretbare Risiken und eine Untreue kommt nicht in Betracht, weil es langfristig nur auf Verstöße gegen klare formelle Regel ankommt, so dass nur extreme Ausreißer von § 266 StGB erfasst sind, nicht aber das ruinöse Verhalten der „Boni-Banker„.
  • Das Kreditgeschäft mit Verbriefungen hat nach einer erfolgreichen Anfangsphase überdreht, so dass sich jetzt das Strafrecht mit ihm befassen muss.
  • Die Bankiers durften ihr Verhalten nicht an einem minimalen Risiko ausrichten, weil nach den Richtlinien des Basler Ausschusses eine Orientierung an „worst-case„-Szenarien vorgeschrieben ist.
  • Bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Finanzkrise muss der Schutzbereich der Bankrottdelikte sowie des Kreditwesengesetzes de lege ferenda stärker in den Fokus genommen werden.
  • Das einseitige Abstellen auf das Rechtsgut Vermögen sowie den Straftatbestand der Untreue ist möglicherweise anachronistisch, weshalb eine Betonung auf von der Gesellschaft her konstruierte Rechtsgüter eine passende Antwort auf die neoliberalen Tendenzen sein kann.
  • Bei der Analyse der Entwicklungstendenzen des Strafrechts in Zeiten der Finanzkrise ist der Aspekt „Governing through Crime„ hinzuzufügen, weil es den Staaten vielleicht gar nicht entscheidend um eine weitere Effektivierung des Strafrechts geht, sondern die politische Rentabilität im Vordergrund steht.
  • Das Strafrecht muss berücksichtigen, dass die Kreditvergabe immer eine Gratwanderung zwischen Gewinnerzielung und Sicherheit ist und dass ein kollektiver Zwang das Unrechts- und Gefahrenbewusstsein schwächt, was bei den „sale and lease back-Geschäften„ der Gemeinden zu sehen ist.
  • Die Erfinder der neuen Finanzprodukte sind die für die Krise eigentlich Verantwortlichen.
  • Es ist zweifelhaft, ob der Sachverhalt der Finanzkrise durch strafrechtliche Aufarbeitung zu ermitteln ist; insbesondere die Staatsanwaltschaft ist damit überfordert.
  • Das Strafrecht muss nicht verschärft, sondern auf neue Konstellationen erweitert werden, wobei es auch um die Einführung von Kollektivrechtsgütern geht.
  • Im Neoliberalismus sind der Staat und das Strafrecht parteiisch; es gibt viel Strafrecht für die Verlierer und kein Strafrecht für die Reichen und die Finanzkrise hat gezeigt, dass Unternehmen nicht per se gut sind und dass sie daher kontrolliert werden müssen.
  • Gerade Politiker in den Aufsichtsräten der Landesbanken haben lange nichts dagegen gehabt, wenn üppige Gewinne in den Staatssäckel flossen und sie leisteten keinen Widerstand, obwohl dies bei derart riskanten Finanzgeschäften nötig gewesen wäre.
  • Es liegen starke Indizien dafür vor, dass bei der Einrichtung und Unterhaltung von Risikomanagementsystemen grobe Fehler gemacht wurden (z.B. HSH-Nordbank).
  • Soweit die beim Risikomanagement verletzten Regeln den Anforderungen einer Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. § 266 StGB entsprechen, liegt beim Vorliegen von Schaden und Vorsatz eine entsprechende Strafbarkeit nahe.
  • Im Mangel eines ausreichenden Risikomanagements liegt eine Pflichtverletzung im Sinne des Pflichtwidrigkeitsbegriffs des Untreuetatbestandes.
  • Bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Finanzkrise sind auf objektiver Tatseite die Umgehungsgeschäfte problematisch, die formal zwar noch häufig in Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut erfolgen, aber wirtschaftlich dem Gesetzesziel zuwiderlaufen.
  • Es fehlt zumeist an strafbarkeitsbegründenden Umgehungsklauseln und im subjektiven Tatbestand ergibt sich das Problem des Prinzips „Schwarzer Peter„, da jeder behauptet, sich auf die angebliche Expertise eines anderen verlassen zu haben, so dass bis jetzt kein überzeugender strafrechtlicher Umgang mit dieser „kollektiven Unvertretbarkeit„ stattfindet.
  • Das Strafrecht ist ein geeignetes Instrument zur Reduzierung des Konkurrenzdrucks unter Bankern, da der Arbeitnehmer bei einer strafrechtlichen Flankierung aufsichtsrechtlicher Regulierungsvorschriften dem Vorgesetzten das jeweilige strafrechtlich bewehrte Gebot entgegenhalten kann, wenn von ihm die Eingehung unvertretbarer Risiken verlangt wird.
  • Schon alleine das Bestehen eines existenzgefährdenden Risikos genügt für die Annahme eines Vermögensschadens und für die subjektive Tatseite bedarf es lediglich einer dementsprechenden Kenntnis.
  • Wer eine systemrelevante Bank existenziell gefährdet, bedroht das System als Ganzes und beeinträchtigt das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Bankenwesens, weshalb die Verortung eines entsprechenden Straftatbestandes im Kreditwesengesetz angemessen ist.
  • Die Kumpaneien zwischen Macht und Recht müssen ein Ende haben und das Strafrecht muss auch in den Vorstandszimmern Geltung bekommen und behalten.
  • Die Angst vor dem Strafrecht reicht allein als Grund für die Strafbarkeit der Banker nicht aus, zumal das Vermeidungspotential bei den Reichen und Mächtigen viel höher ist und sie deshalb auch vor dem Strafrecht besser dastehen.
  • Die Kriminalpolitik muss sich mehr den systemischen Risiken und nicht nur der Anwendung des geltenden Rechts zuwenden.

Die zitierten Positionen sprechen für sich. Sie reflektieren die Erkenntnis, dass die Finanzkrise zumindest teilweise durch die fehlende Kontrolle und die betrügerische Vertuschung der bestimmten Finanzprodukten innewohnenden Risiken verschuldet wurde. Deshalb ist es auch verständlich, dass nach einer stärkeren Intervention des Strafrechts zum Schutz des Finanzsystems verlangt wird. Voraussehbar ist insbesondere, dass sich das Strafrecht weiter auf Bereiche kollektiver, im Wirtschaftssystem implizierter Rechtsgüter ausdehnen wird. Man hält die in Europa seit langem offenkundige Tendenz, den Strafrechtsschutz auf kollektive Rechtsgüter auszuweiten, jedoch nicht für eine Konsequenz des ökonomischen Neoliberalismus, sondern ihm vielleicht entgegengesetzt. Bei einer leicht ironisierenden Betrachtung könnte man schließlich auch behaupten, dass die Finanzkrise kein Systemversagen des Neoliberalismus ist, weil sie die in der sozialen Marktwirtschaft dominierende Mittelschichtperspektive durch den Einsatz staatlicher Mittel zur Rettung der Hochfinanz „nach oben„ verlagert hat und damit dessen politischen Haupteffekt ganz gut erreicht hat.
Wie auch immer: Es sollte deutlich geworden sein, dass die Finanzkrise nicht bloß „Systemversagen„ ist. Sie ist durch massenhaftes objektiv straftatbestandsmäßiges Verhalten der verantwortlichen Personen im Bankensektor mitverursacht worden. Staatliche Instanzen haben dabei grob fahrlässig geholfen. In Deutschland haben gerade öffentliche Banken mindestens über 100 Milliarden Euro in ex ante minderwertige bzw. wertlose amerikanische Papiere investiert. So wurde der Konsum in den USA zu Lasten der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler subventioniert. Die angebliche Professionalität zahlreicher Entscheidungsträger in der deutschen Bankenwelt und in der Politik war offensichtlich auf dem gleichen Niveau, das Vertreter der indianischen Urbevölkerung hatten, als sie den europäischen Eroberern für ein paar Glasperlen Manhattan und später für ein paar Fässer Whiskey ihre Seele und ihre Würde verkauften.
Bislang hat niemand die notwendigen und klaren Schlussfolgerungen gezogen. Das alles ist nicht nur ein politischer Skandal, sondern ein fortgesetztes Systemversagen besonderer Art, weil wir hochgefährliche und global veranstaltete Organisierte Kriminalität vor uns haben. Dabei dürften in der Tat die voreilig gezahlten und in jeder Hinsicht unangemessenen Boni das entscheidende Motiv sein. Trotzdem finden keine hinreichend wirksamen Anstrengungen statt, diese illegitime Beute aus den Scheingewinnen der Vergangenheit zu konfiszieren. Vielmehr wird die Praxis der Beutesicherung selbst in den gerade von Regierungen geretteten Banken fortgesetzt. Das gilt auch für den Einsatz des Investmentbankings zur Ausweisung von Gewinnen.
Leider ist die Einsicht immer noch nicht weit verbreitet, dass die rechtliche Aufarbeitung dieser Verhältnisse im Bankenbereich nur in staatlich-strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geleistet werden kann. Das läge auch im Interesse des Bankensystems selbst, um den Anschein einer „Funktionärskleptokratie„ zu beseitigen.
Es ist höchste Zeit, dass das traditionell gegen die „Unterschicht„ eingesetzte Strafrecht auch gegen die „Oberschicht„ gleichmäßig angewendet wird. Wenn es jemals irgendein Feld gegeben hat, wo dies überfällig ist, dann ist es die Finanzkrise. In ihr haben sich Risiken verwirklicht, die seit geraumer Zeit evident waren. Das Ausmaß der eingetretenen Schäden mag überraschend gewesen sein, ihr Eintritt war es nicht. Selbst in den regulierten Zonen fand der Tanz auf dem Vulkan mit Wissen und Wollen der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft statt. Nationale Egoismen und menschliche Schwächen, unzureichende Gesetze und mangelhafte Aufsicht, systematisierte Selbstbegünstigung (vulgo: Korruption) und Kompetenzmängel, gesellschaftliche Lethargie und Verluderung des Gemeinsinns sowie strukturelle Fehlentscheidungen zählen neben vielen anderen zu den Faktoren, welche die größte Vermögensvernichtung der neueren Wirtschaftsgeschichte initiiert und gefördert haben. Ich fasse zusammen:

  • Die gegenwärtige und anhaltend verheerende weltwirtschaftliche Entwicklung ist kein unvermeidbares schicksalhaftes Verhängnis, sondern das Produkt aus politischen Fehlentscheidungen, wirtschaftlicher Inkompetenz und krimineller Energie.
  • Mit der Verwendung des Begriffs „Finanzkrise„ finden Neutralisierungen und Täuschungen in einem öffentlichen Diskurs statt, der den Eindruck erweckt, als ob das System der globalen Kapitalmärkte nur einer vorübergehenden Funktionsstörung ausgesetzt und die strafrechtlich zurechenbare Verantwortlichkeit bestimmter Entscheidungsträger bedeutungslos sei.
  • Am Anfang des Katastrophenszenarios standen mehrere Regierungen in den USA, die mit einer wohlfahrtsstaatlichen Kreditpolitik besonders einkommensschwache Bevölkerungskreise in die Schuldenfalle führten und so einen exzessiven Verbriefungshandel mit minderwertigen hypothekarisch gesicherten Wertpapieren und Kreditausfallversicherungen provozierten.
  • In den USA hat ein Staatsversagen in mehrfacher Hinsicht das Entstehen einer Finanzindustrie gefördert, in der sich durch empirisch in keiner Weise abgesicherte mathematische Modelle bei der Konstruktion strukturierter Finanzprodukte ein Rationalitätsabbruch und ein Realitätsverlust ereigneten, so dass ein Klima des Größenwahns und asozialer Unverantwortlichkeit entstehen konnte.
  • Insbesondere im angelsächsischen Teil der Welt wurde der Niedergang der konventionellen industriellen Güterproduktion vom Aufstieg einer Kapitalmarktkultur begleitet, die Profitmaximierung jenseits wirtschaftlicher Vernunft betreibt und den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft Hohn spricht.
  • Die Renditeerwartungen, die tatsächlichen Gewinne und bestimmte Geschäfte im privaten Bankenbereich zeigen, dass vor allem der Handel mit innovativen und strukturierten Finanzprodukten zu einem selbstreferentiellen System gemeinwohlschädlichen Eigennutzes degeneriert ist.
  • In Deutschland haben sich Landesbanken unter den Augen verantwortlicher Politiker ohne das erforderliche „Know-How„ weit jenseits ihrer Deckungsmöglichkeiten an internationalen Spekulationsgeschäften beteiligt und dabei durch die Gründung vermögensloser Zweckgesellschaften die Bilanzgrundsätze der Klarheit und Wahrheit absichtlich und systematisch verletzt.
  • Regierungen auf der ganzen Welt haben die Produktion und den Einsatz „finanzieller Massenvernichtungswaffen„ (Warren Buffet), also den Handel mit Derivaten jedweder Art, zugelassen, ohne rechtzeitig eine auch nur halbwegs belastbare Folgenabschätzung geleistet zu haben, eine Unterlassung, welche die ethischen Grundlagen politischen Handelns in Frage stellt.
  • Manch ein Investmentbanker (Lloyd Blankfein) behauptet inzwischen sogar, dass er Gottes Auftrag erfülle, wenn er den Gewinn seines Institutes maximiert, ein Umstand, der möglicherweise nicht nur den Sachverstand, sondern auch den in dieser Branche möglicherweise herrschenden Geisteszustand als fachmedizinisch (Psychiatrie) überprüfungsbedürftig erscheinen lässt.
  • Manche Rating-Agenturen haben unter den Bedingungen eines objektiven Interessenkonfliktes immer wieder Behauptungen aufgestellt, die nicht die realen wirtschaftlichen Verhältnisse von Unternehmen und Märkten reflektierten, sondern einem manipulationsträchtigen Wunschdenken entsprachen.
  • Die staatliche Finanzaufsicht konnte nicht verhindern, dass bestimmte Praktiken internationaler Rechnungslegung nicht den korrekten Vermögensstatus von Marktteilnehmern wiedergaben, sondern der geschönten und riskanten Selbstdarstellung zum Bilanzstichtag dienten.
  • Die Haushaltspolitik in etlichen Mitgliedstaaten der EU hat infolge des erreichten Verschuldungsgrades den großen Akteuren auf den internationalen Finanzmärkten Spekulationsmöglichkeiten eröffnet, die ganze Volkswirtschaften existenzbedrohenden Risiken aussetzen.
  • Die finanzielle Verfassung und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit mancher Volkswirtschaften in der EU haben realpolitisch eine gemeinschaftliche Einstandsverpflichtung erzwungen, die einen Wandel der herkömmlichen Solidargemeinschaft zu einer neuartigen Haftungsunion jenseits des bestehenden vertraglichen Rahmenwerks bewirken könnte, mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft des europäischen Integrationsprojektes.
  • Die Teilnahme an globalen Finanztransaktionen wurde zunehmend durch eine wettbewerbsverzerrende und riskante Kreditschöpfungspolitik geprägt, mit der die Beteiligten aufgrund der jeweiligen Hebelwirkungen Investitionen tätigen konnten, die ihrer realen finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei weitem nicht mehr entsprachen.
  • Die Geldpolitik mancher Notenbanken und unzureichendes Risikomanagement in zahlreichen Bankinstituten haben die Bedingungen geschaffen, unter denen selbst das Finanzgebaren großer Investmentfirmen zunächst von Selbsttäuschung und dann von manipulativen Maßnahmen geprägt wurde, die schließlich in manchen Fällen den Verdacht systematischen und organisierten betrügerischen Verhaltens begründet haben.
  • Weltweit koordinierte Initiativen der Finanzindustrie haben auch für die Realwirtschaft zu stabilitätspolitischen Gefahren geführt, deren Realisierung eine Dynamik und Zerstörungskraft entfalten könnte, denen mit den Mitteln herkömmlicher nationaler und internationaler Ordnungspolitik nicht mehr wirksam begegnet werden kann.•
  • Es bleibt für absehbare Zeit ungewiss, ob die Anwendung des Strafrechts gegenüber einzelnen Verantwortungsträgern in Wirtschaft, Finanzindustrie und Politik geeignete präventive und repressive Wirkungen haben könnte, weil der notwendige Klärungsprozess im Hinblick auf rechtsstaatliche Strafbarkeitsvoraussetzungen und sinnvolle Sanktionen gerade erst begonnen hat.