Internationaler Terrorismus

Terroristische Anschläge auf Bahnen und Luftverkehr

Wie gefährlich lebt der mobile Bürger?

Am 11. September 2001 entführen islamistische Terroristen in den USA vier Verkehrsflugzeuge, um sie als „fliegende Bomben„ zu benutzen: Zwei Maschinen krachen in die beiden Türme des World Trade Center, die dritte Maschine wird ins Pentagon gestürzt und die letzte Maschine, mit der vermutlich das Capitol angegriffen werden sollte, stürzt nach einem Handgemenge zwischen Entführern und Passagieren auf freiem Feld ab. Über 3.000 Menschen kommen ums Leben. Am 11. März 2004 zünden islamistische Terroristen während des morgendlichen Berufsverkehrs in Madrid Sprengsätze in mehreren Nahverkehrszügen; 192 Menschen sterben, 2.000 werden verletzt. Am 7. Juli 2005 erfolgt in London der nächste schwerwiegende Anschlag auf öffentliche Verkehrsmittel: Ebenfalls im morgendlichen Berufsverkehr zünden islamistische Selbstmordattentäter fast zeitgleich Bomben in drei U-Bahnen und einem doppelstöckigen Bus; 56 Menschen sterben und über 700 werden verletzt. Genau zwei Wochen später, am 21. Juli, versuchen vier islamistische Selbstmordattentäter, diesen Anschlag zu kopieren; nur weil die Bomben nicht zünden, wird eine Katastrophe vermieden.

Dr. Helmut Albert
Direktor des saarländischen
Landesamtes für Verfassungsschutz

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ruhte der Luftverkehr in den USA nahezu eine Woche. Das Vertrauen der Bürger in das wichtigste Transportmittel einer globalisierten Welt – das Flugzeug – wurde schwer erschüttert; Umsatzrückgänge im internationalen Flugverkehr waren die Folge.
Die Anschläge von Madrid und London führten zu einer weiteren Verunsicherung der Bürger: Zum Einen erreichte der islamistische Terrorismus nun auch Europa; zum Anderen wurden klassische Nahverkehrsmittel, ohne die das Leben in Millionenstädten nicht funktionieren kann, Ziel der Angriffe.
Weitere Anschläge auf den Luft- bzw. Bahnverkehr, die vermutlich zahlreiche Opfer gefordert hätten, scheiterten glücklicherweise. So wurden am 31. Juli 2006 im Regionalexpress von Aachen nach Hamm und in einem zweiten Regionalexpress von Mönchengladbach nach Koblenz zwei herrenlose Koffer gefunden, die eine Sprengvorrichtung aus einer Propangasflasche und mehreren Benzinflaschen enthielten; beide Bomben waren mit zeitgleich eingestellten Zeitzündern versehen, die auch ausgelöst hatten. Lediglich einem Konstruktionsfehler war es zu verdanken, dass es nicht zu einer wahrscheinlich verheerenden Explosion in den beiden Zügen kam. Anhaltspunkte legten früh den Verdach nahe, dass die Täter, zwei 20- bzw. 23-jährige Libanesen, aus islamistischen Motiven gehandelt haben könnten.
Am 10. August 2006 nahm die Polizei in London 24 Islamisten fest, denen vorgeworfen wird, sie hätten geplant, bis zu 12 Flugzeuge im transatlantischen Verkehr mittels Flüssigsprengstoff, der in unauffälligen Alltagsgegenständen im Handgepäck mitgeführt werden sollte, zum Absturz zu bringen. Der Flugverkehr von und nach Großbritannien kam für einen Tag zum Erliegen.
Am 30. Juni 2007 durchbrachen zwei Islamisten mit ihrem Geländewagen, der mit Gaskanistern und Sprengstoff beladen war, die Sperren am Flughafen Glasgow und versuchten, die Außenwand des Abfertigungsterminals zu durchbrechen. Das Fahrzeug blieb an einem Poller hängen und ging in Flammen auf. Die Attentäter wurden festgenommen; einer erlag später seinen Brandverletzungen.
Auch die drei am 4. September 2007 beim Bombenbau festgenommenen Mitglieder einer islamistischen Terrorzelle, der sogenannten „Sauerländer Gruppe„, hatten u. a. erwogen, einen Sprengstoffanschlag großen Ausmaßes auf den Frankfurter Flughafen zu begehen.
Mobile Bürger stellen sich immer öfter die Frage, wie gefährdet sie bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind. Gefragt wird auch nach den Motiven für solche Anschläge: Greifen Terroristen die Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs bewusst an, um unsere Mobilität einzuschränken? Wollen sie die Wirtschaft in der westlichen Welt schädigen? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie man sich vor derartigen Angriffen schützen kann.

Terrorismus – eine besondere Form der Kommunikation

Terrorismus ist eine typische Kampfform in sogenannten „asymmetrischen Konflikten„: Der deutlich unterlegene Terrorist steht einem starken Gegner gegenüber, den er in Folge seiner Schwäche nicht offen angreifen kann; zur Durchsetzung seiner politischen Ziele begeht der Terrorist deshalb Attentate, die dem starken Akteur isolierte, aber empfindliche Schläge versetzen sollen. Da solche Attentate einen starken Gegner in aller Regel nicht zum Einlenken zwingen können, setzt der Terrorist auf psychologische Momente, indem er hofft, dass der durch die konkrete Tat erzeugte Schrecken zu einer größeren Verunsicherung und Destabilisierung des Gegners führen wird; gleichzeitig erhofft er sich Unterstützung aus der Bevölkerung oder von bestimmten Gruppen, die er mit seinem Tun aufrütteln und auf seine Seite ziehen will. Der Terrorist „kommuniziert„ durch seine Taten einmal mit dem angegriffenen staatlichen Gegner, den er zu politischen Zugeständnissen zwingen will, und zum Anderen mit einer Gruppe „interessierter Dritter„ in der Bevölkerung, von der er sich Sympathie und Unterstützung erhofft. Gewinnen kann der Terrorist den Kampf mit einem starken Gegner nur, wenn er diesen mit seinen Anschlägen zermürbt und gleichzeitig durch seine Ziele und die Art seines Agierens immer mehr Sympathisanten unter der Bevölkerung gewinnt: Erleichtert wird Letzteres häufig dadurch, dass der von Terroristen angegriffene Staat unpopuläre Abwehrmaßnahmen ergreift, die die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Regierung und damit die Sympathien für die Terroristen erhöhen.
Der rational agierende Terrorist muss deshalb bei der Wahl seiner Anschlagsziele sehr überlegt vorgehen, da er sich durch Verluste unter der Zivilbevölkerung Sympathien verscherzen würde. Angreifen wird er daher in erster Linie Repräsentanten, Sicherheitskräfte und symbolträchtige Einrichtungen des Staates, gegen den sich sein Kampf richtet.
Dies sieht grundsätzlich auch die islamistische Terrororganisation Al-Qaida so: In einem Brief vom Juli 2005 kritisiert die „Nummer zwei„ der Organisation Al-Zawahiri die vielen Anschläge auf schiitische Muslime und fordert ihren Statthalter im Irak Al- Sarqawi auf, „jegliche Aktionen zu vermeiden, die von den Massen nicht verstanden oder gutgeheißen werden„; er dürfe nicht vergessen, dass die „stärkste Waffe der Mudschahidin die populäre Unterstützung der islamischen Massen im Irak und den umliegenden islamischen Ländern„ sei.
In der Theorie ist daher ein Anschlag auf Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs, die von am Konflikt unbeteiligten Bürgern genutzt werden, eine denkbar schlechte Wahl. Angriffe auf solche Anschlagsziele müssten deshalb in der Praxis eine eher seltene Ausnahme bilden.

Anschläge auf Verkehrsmittel in der Vergangenheit

Dennoch sind solche Anschläge nicht nur in jüngster Zeit durch islamistische Terroristen, sondern bereits in der Vergangenheit relativ häufig begangen worden. Daher stellt sich die Frage, wie diese Tatsache, die im absoluten Gegensatz zur „Theorie der Kommunikation durch die Tat„ zu stehen scheint, erklärbar ist.

Entführungen und Kaperungen von Flugzeugen und SchiffenInsbesondere in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam es zu einer hohen Zahl von Flugzeugentführungen durch palästinensische Terroristen, die mit ihren Taten Aufmerksamkeit für ihre politischen Anliegen erregen wollten; gelegentlich sollten isolierte Forderungen – etwa nach Freilassung von Gesinnungsgenossen aus der Haft – durchgesetzt werden.
Als Beispiel für diese terroristische Taktik sei insbesondere an die Entführung der Lufthansamaschine „Landshut„ nach Mogadischu erinnert: Im Zusammenhang mit der Entführung von Hanns-Martin Schleyer durch die „Rote Armee Fraktion„ (RAF) hatten am 13. Oktober 1977 Terroristen der palästinensischen „Popular Front for the Liberation of Palestine„ (PFLP) die Maschine in ihre Gewalt gebracht, um die Forderung ihrer deutschen Gesinnungsgenossen nach Freilassung von inhaftierten Terroristen zu unterstützen. Vermutlich um ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, ermordeten die Entführer den Flugkapitän. Die Entführung wurde am 18. Oktober durch ein Kommando der GSG 9 beendet.
Eine ähnliche Aktion traf ein italienisches Kreuzfahrtschiff: Am 7. Oktober 1985 entführten palästinensische Terroristen die „Achille Lauro„ vor der ägyptischen Küste und brachten 450 Passagiere und Besatzungsmitglieder in ihre Gewalt. Ziel der Entführer war es, 50 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft freizupressen. Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, töteten die Terroristen einen im Rollstuhl sitzenden US-Touristen und warfen seinen Leichnam ins Meer. Die Entführer konnten am 9. Oktober das Schiff in Port – Said verlassen, nachdem ihnen freies Geleit zugesichert worden war.
Dieser frühe, auf die Kaperung und Entführung von Verkehrsmitteln gerichtete Terrorismus weist mehrere Gemeinsamkeiten auf:

  • Die Terroristen waren rational vorgehende Täter.
  • Die Taten waren Mittel zur Durchsetzung isolierter politischer Ziele. Sie sollten über die Berichterstattung in den Medien die internationale Öffentlichkeit aufrütteln und Druck auf einzelne Regierungen erzeugen.
  • Opfer unter Besatzung und Passagieren waren zwar einkalkuliert, aber nicht das primäre Ziel.
  • Gemordet wurde nur, um den Druck auf staatliche Stellen zu erhöhen, damit die primären Forderungen erfüllt werden.
  • Damit die Taten vor der eigenen Anhängerschaft und potenziellen Sympathisanten „gerechtfertigt„ werden konnten, wurden die wenigen Opfer meist nach ganz bestimmten ideologischen Merkmalen (Staatsbürger „feindlicher„ Staaten, Soldaten, Funktionsträger) ausgewählt.

Auch wenn die Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel erfolgten, lagen sie ganz auf der Linie der „Kommunikation durch die Tat„: Sie sollten die erpressten Staaten verunsichern und zu Zugeständnissen bewegen; unbeteiligte Reisende sollten möglichst nicht ums Leben kommen, um sich die Sympathie der eigenen Anhänger und der Weltöffentlichkeit nicht zu verscherzen.

Sprengstoff- und Raketenanschläge auf Flugzeuge

Daneben gab es allerdings auch Anschläge, die von vornherein auf die Vernichtung von Flugzeugen und damit auf die Tötung der Passagiere abzielten:

  • Am 4. April 1985 versuchten Terroristen der Organisation „Abu Nidal„ in Athen, ein jordanisches Passagierflugzeug beim Start mit einer Flugabwehrrakete abzuschießen; die Rakete traf zwar das Ziel, explodierte glücklicherweise aber nicht.
  • Am 2. April 1986 explodierte eine Bombe an Bord eines US-Flugzeuges, das mit 111 Passagieren von Rom über Athen nach Kairo unterwegs war; der Sprengsatz riss ein Loch in die Bordwand, durch das vier Passagiere hinausgerissen wurden. Dem Pilot gelang es, die Maschine in Athen notzulanden. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich die Organisation „Abu Nidal„.

Die Terrororganisation „Abu Nidal„, die im Laufe ihres Bestehens ca. 200 Anschläge verübte, ließ zu der Zeit, als die o. g. Anschläge verübt wurden, keine eigentliche politische Linie mehr erkennen, die durch eine „Kommunikationsstrategie„ hätte vermittelt werden können; vielmehr „vermietete„ sie ihre terroristischen Fähigkeiten gegen Geld oder beging Terrorakte für staatliche Akteure, die sie wiederum finanziell unterstützten oder ihr Schutz gewährten. Vor allem der zweite Anschlag ist im Zusammenhang mit Spannungen zwischen den USA und Libyen zu sehen, das den internationalen Terror – und insbesondere die Gruppe „Abu Nidal„ – unterstützte; diese Spannungen gipfelten in der Bombardierung von Tripolis am 15. April 1986 durch US-Kampfflugzeuge.

  • Am 21. Dezember 1988 explodierte über der schottischen Kleinstadt Lockerbee an Bord eines US-Flugzeuges eine Bombe; bei dem Anschlag kamen alle 259 Passagiere und Besatzungsmitglieder sowie 11 Bewohner von Lockerbee ums Leben. Am 31. Januar 2001 wurde ein libyscher Agent schuldig gesprochen, den Anschlag geplant zu haben; Ende 2003 bekannte sich die libysche Regierung dazu, den Terroranschlag unterstützt zu haben und sagte Entschädigungszahlungen zu.

Der Anschlag von Lockerbee ist ein Akt des Staatsterrorismus, der vermutlich ein Racheakt für die Bombardierung von Tripolis im Jahr 1986 sein sollte. Rache ist keine rationale politische Strategie; Massenmord an Unschuldigen kann nur Abscheu erregen und zur Ächtung der Täter führen. Daher fehlt auch zunächst jede Tatbekennung der Urheber und damit auch jeder Anhaltspunkt für eine „Kommunikationsstrategie„, wie sie sonst beim Terrorismus erkennbar wird.
Deutlich wird jedoch bei diesen Anschlägen, dass terroristische Akteure dann in einer asymmetrischen Auseinandersetzung auf eine Vermittelbarkeit bei interessierten Dritten wenig Rücksicht und bewusst die Tötung einer großen Anzahl von Menschen in Kauf nehmen, wenn es nur noch darum geht, einem angegriffenen Staat mit allen Mitteln schwere und vernichtende Schläge zuzufügen. In einem solchen Fall werden die Bürger des Staates neben seinen Institutionen und Repräsentanten zum Ziel von Angriffen: Die Terroristen wollen ihnen keine „Botschaft„ vermitteln, die sie auf ihre Seite ziehen soll, sondern den Staat insgesamt destabilisieren und zur „Kapitulation„ zwingen.

Sprengstoff- und Giftgasanschläge von Neofaschisten und Sekten auf den Bahnverkehr

Auch Anschläge auf den öffentlichen Schienenverkehr sind keine grundlegend neue Erscheinung. Bereits in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erschütterte eine Reihe von Bombenanschlägen Italien. Drei dieser Anschläge trafen den Eisenbahnverkehr in schwerwiegender Weise:

  • Am 4. August 1974 explodierte eine Bombe im „Italicus„-Express auf der Strecke zwischen Florenz und Bologna; 12 Menschen starben, 48 wurden verletzt.
  • Am 2. August 1980 explodierte eine Bombe im Bahnhof von Bologna; der Anschlag forderte 85 Tote und 200 Verletzte.
  • Am 23. Dezember 1984 explodierte an Bord des Schnellzuges von Neapel nach Mailand eine Bombe in einem Eisenbahntunnel; 16 Menschen wurden getötet, 266 verletzt.

Diese Anschläge widersprechen nur scheinbar der Theorie, dass Terroristen mit ihren Anschlägen „kommunizieren„ und deshalb eine hohe Zahl von Opfern vermeiden müssen, damit sich ihre Sympathisanten nicht von ihnen abwenden. Als Täter dieser Verbrechen wurden Jahre später einige Neofaschisten in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt; es halten sich aber hartnäckig Gerüchte, dass auch staatliche Stellen und ausländische Geheimdienste in diese Taten verwickelt gewesen seien. Wie dem auch sei, die Anschläge wurden von den Urhebern gerade nicht begangen, um im Sinne einer „Kommunikation durch die Tat„ den Staat zu Zugeständnissen zu bewegen oder auf bestimmte Anliegen der Terroristen aufmerksam zu machen; im Gegenteil: Ziel war es, den Verdacht der Urheberschaft auf linke Gegner zu lenken und diese zu diskreditieren sowie den Staat insgesamt in seiner damaligen Ausgestaltung als unregierbar und handlungsunfähig hinzustellen. Diese „Strategie der Spannung„ zielte letztlich darauf ab, die aufgebrachte Bevölkerung dazu zu bringen, sich von „den Linken„ abzuwenden; die Terroristen hofften, die Bürger würden nach einem solchen „Rechtsruck„ nach dem „starken Staat„ rufen und einen Putsch rechter Kräfte begünstigen.
Eine völlig eigene Kategorie stellt der Giftgasanschlag der japanischen Aum-Shinri-Kyo-Sekte am 20. März 1995 auf die U-Bahn in Tokio dar. Dieser mit dem Kampfstoff „Sarin„ durchgeführte Anschlag forderte 12 Tote und über 5.000 Verletzte. Einzig erkennbarer Zweck war der Tod möglichst vieler Fahrgäste; politische Ziele oder Forderungen waren nicht erkennbar. Dieses Attentat auf öffentliche Verkehrsmittel steht insofern einzigartig da, als es keinem rational vermittelbaren politischen Ziel dient. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Sekte, die von der Unvermeidbarkeit einer bevorstehenden Apokalypse ausging, diese durch Anschläge selbst herbeiführen wollte. Wenn das Ziel aber Massenmord und kollektiver Selbstmord aus irrationalen Beweggründen ist, können die Täter auf jede Rücksichtnahme und Vermittelbarkeit im Sinne einer „Kommunikation„ verzichten: Der von ihnen erzeugte Terror enthält keinerlei politische Botschaft; für ihre auf den allgemeinen Untergang zielenden Taten gibt es zudem keinen „interessierten Dritten„ mehr, wenn sie erfolgreich sind.


Mobile Bürger stellen sich immer öfter die Frage, wie gefährdet sie bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind (Foto: Hofem)

Anschläge islamistischer Terroristen auf den öffentlichen Personenverkehr

Islamismus ist nur auf den ersten Blick ein religiöses Phänomen. Tatsächlich handelt es sich um eine politische Ideologie, die mit Versatzstücken aus dem Islam untermauert wird. Mit dieser Ideologie, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstand, soll der Niedergang der „islamischen Welt„ gestoppt sowie eine neue wirtschaftliche und kulturelle Blüte herbeigeführt werden. Hierfür sollen zunächst alle kulturellen und gesellschaftlichen Einflüsse des Westens, der als „verderbt„ und „moralisch verkommen„ angesehen wird, zurück gedrängt werden. Neben einer strengen „Reislamisierung„ und der Einführung eines religiös geprägten Rechtssystems, der „Scharia„, ist das Ziel die Errichtung von sog. „Gottesstaaten„ und möglichst ihrer Vereinigung unter einer einheitlichen Führung. Souverän eines solchen „Gottesstaates„ ist nicht das Volk, sondern Gott selbst, der nach islamistischer Lesart im Koran klare Handlungsanweisungen für die Gestaltung des Staatswesens gegeben hat. Da diese von Gott selbst stammen, stehen sie nicht zur Disposition und können folglich auch nicht durch von Menschen geschaffene Gesetze abgeändert werden. Folgerichtig wird die Demokratie als „unislamisch„ abgelehnt; teilweise wird sogar die Stimmabgabe bei der Wahl von Islamisten als Abfall vom Glauben angesehen.
Während die Mehrheit der Islamisten ihre Ziele auf friedlichem Weg verfolgt, ist eine Minderheit militanter Islamisten der Auffassung, die Gründung islamischer „Gottesstaaten„ sei nur mit Waffengewalt zu erreichen. Sie sind der festen Überzeugung, der „Djihad„ gegen die „ungläubigen Regime in der islamischen Welt„ und die „Aggressoren aus der westlichen Welt„ seien eine individuelle Pflicht für jeden Muslim.
In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Angriffen auf den Luft- und Bahnverkehr. Für solche Anschläge waren überwiegend islamistische Täter verantwortlich.

Anschläge auf den Flugverkehr

Die Anschläge vom 11. September 2001, bei denen entführte Verkehrsflugzeuge als „Waffen„ benutzt wurden, richteten sich nicht in erster Linie gegen den Flugverkehr als „Lebensader„ der westlichen Welt: Primäre Angriffsziele waren vielmehr mit dem World Trade Center, dem Pentagon und (vermutlich) dem Capitol die herausragenden Symbole wirtschaftlicher, militärischer und politischer Macht der USA. Die Terrororganisation Al-Qaida, die diesen Angriff über Jahre geplant und vorbereitet hatte, wollte damit die Führungsmacht der westlichen Welt in ihren Grundfesten erschüttern. Die Entführung der Flugzeuge und die Ermordung der Passagiere und Besatzungen waren somit nur „unvermeidbare Begleiterscheinung„ dieses Angriffs, nachdem das Oberhaupt von Al-Qaida, Osama Bin Laden, den ursprünglichen Plan verworfen hatte, den Anschlag mit Kleinflugzeugen zu begehen, die mit Sprengstoff beladen werden sollten: Er war der Meinung, dass die nach dem Start entführten, noch vollgetankten Maschinen größere Zerstörungen an den Gebäuden anrichten würden.
Dass diese Angriffe eine riesige Zahl unschuldiger Opfer forderten und weltweiten Abscheu auslösten, spricht nicht gegen die „Theorie der Kommunikation„. Denn entscheidend ist in diesem Fall, welche Botschaft die Planer dieser Anschläge kommunizieren wollten:

  • Getroffen werden sollten mit einer Art symbolischen „Enthauptungsschlages„ gegen ihre wirtschaftlichen, militärischen und politischen Zentren die USA als Führungsmacht der westlichen Welt, die seit Jahrzehnten die „korrupten„ und „unislamischen„ Regime in der „islamischen Welt„ unterstützt. Da sich „die islamische Welt„ in der Vorstellung der Terrororganisation Al-Qaida und vieler Islamisten seit Jahrhunderten zudem in einem ständigen Abwehrkampf gegen die Angriffe und Herrschaftsansprüche „der westlichen (christlichen) Welt„ sieht, handelt es sich bei den Angriffen auch um eine „Kriegserklärung„ an diese „Kreuzzügler„: Während sich islamistische Terrorangriffe in der Vergangenheit nur gegen die westliche Präsenz in islamisch geprägten Regionen richteten, sollte nunmehr den USA und ihren Verbündeten klar gemacht werden, dass auch sie jetzt auf ihrem heimischen Territorium nicht mehr sicher sein können. Und je schrecklicher die Auswirkungen eines solchen Schlages sein würden, um so deutlicher musste diese Botschaft nach Ansicht der Planer beim westlichen Gegner ankommen.
  • Der „interessierte Dritte„ dieser Botschaft des 11. September 2001 ist die Gesamtheit der Muslime, die zum Kampf gegen die westliche Vorherrschaft und zum Zusammenschluss unter einheitlicher Führung aufgerufen werden sollte. Je größer und unüberschaubarer die Zahl derer ist, die mit einem Anschlag angesprochen und für eine bestimmte politische Position gewonnen werden sollen, desto weniger müssen sich die Planer Gedanken über eine konkrete Vermittelbarkeit ihres Tuns machen; die frühere Rücksichtsnahme bei der Zielwahl tritt deshalb weitgehend in den Hintergrund. Opfer unter den verhassten „Kreuzzüglern„ können nach Vorstellung der Planer unter „wahren„ Muslimen keine Sympathien kosten, selbst wenn der ein oder andere Muslim ungewollt bei einem solchen Massenmord sein Leben verlieren sollte. Etwas anderes gilt nur, wenn Anschläge in erster Linie oder gar ausschließlich Opfer unter Muslimen fordern: Da dies in der islamischen Welt zu ablehnenden Reaktionen führt, versucht Al-Qaida, ihre Anhänger und Sympathisanten von derartigen Exzessen abzuhalten.
  • Betrachtet man den religiös motivierten Terrorismus unter dem Aspekt der „Kommunikation durch die Tat„, dann gibt es neben dem Angegriffenen und dem „interessierten Dritten„ einen weiteren „Ansprechpartner„, den es beim säkularen Terrorismus nicht gibt und der daher leicht übersehen wird: Gott. Islamistische Terroristen glauben, dass sie mit ihren Taten „die Befehle Gottes„ befolgen und sich folglich Verdienste im Jenseits erwerben. Je mehr sich die Täter bei ihrem Kampf gegen die „Amerikaner und ihre Verbündeten„ am mutmaßlichen Willen ihres Gottes orientieren, umso weniger werden sie auf eine politische Vermittelbarkeit ihrer Morde innerhalb der islamischen Welt oder Folgereaktionen des Angegriffenen achten.

Ähnliches gilt für die im August 2006 verhinderten Anschläge auf den transatlantischen Luftverkehr, bei denen Selbstmordattentäter bis zu 12 Verkehrsflugzeuge auf dem Weg von Großbritannien nach den USA mittels Bomben zum Absturz bringen wollten. Auch wenn sich hier die Angriffe eindeutig gegen den internationalen Luftverkehr richteten sowie ausschließlich die an Bord befindlichen Besatzungsmitglieder und Passagiere ermordet werden sollten, hätten die Taten wie die Anschläge des 11. September 2001 eine eindeutige Botschaft enthalten:

  • Die USA und Großbritannien, die von den Islamisten vor allem nach dem Irakkrieg als die wichtigsten Verbündeten im „Kampf gegen die muslimische Welt„ angesehen werden, sollten mit einem verheerenden Schlag erschüttert und destabilisiert werden. Das Motiv war vermutlich einerseits Rache für die „Angriffe auf die islamische Welt„ und gleichzeitig die Hoffnung, dass die vom Terror getroffene Bevölkerung von ihrer Regierung eine Änderung ihrer Politik fordern würde.
  • Dass dem Angriff ausschließlich unschuldige Zivilisten zum Opfer gefallen wären, ist aus der Sicht radikaler islamistischer Terroristen irrelevant, da es sich in der Mehrheit um amerikanische und britische Staatsbürger gehandelt hätte. Diese werden unterschiedslos als „Feinde der islamischen Sache„ angesehen. Zudem findet eine Unterscheidung zwischen Zivilisten und Funktionsträgern in einer asymmetrischen Auseinandersetzung, bei der die Rache am Gegner im Vordergrund steht und dieser vom Unterlegenen mit allen Mitteln niedergerungen werden soll, nicht mehr statt.
  • Wie schon beim 11. September 2001 setzten die Terroristen darauf, dass es sie keine Sympathie in der islamischen Welt kosten würde, wenn hauptsächlich „Amerikaner, Kreuzfahrer und Juden„ Opfer eines Anschlags würden.

Anschläge auf den Bahnverkehr

Im Jahr 1995 erschütterte eine Serie von Bombenanschlägen auf die Pariser Metro Frankreich: Am 25. Juli werden durch eine Bombenexplosion in der Station Saint Michel acht Menschen getötet und 119 verletzt; am 6. und 17. Oktober werden durch Bombenexplosionen 16 bzw. 30 Menschen verletzt; am
3. Dezember werden bei einem Bombenattentat in der Metro vier Menschen getötet und 91 verletzt. Zu den Anschlägen bekennt sich die algerische „Bewaffnete Islamische Gruppe„ (GIA). Im Oktober 2002 werden zwei Algerier als Mittäter zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Glaubt man der Berichterstattung in der Presse, so blieben die Motive der Täter während des Prozesses weitgehend im Dunkel. Vermutungen sprechen jedoch dafür, dass es sich bei der Anschlagsserie um einen Racheakt der GIA für eine gescheiterte Flugzeugentführung handelt: Ende 1994 hatten vier GIA-Terroristen eine Air France-Maschine in Algier entführt; bei einer Zwischenlandung in Marseille stürmten französische Kommandoeinheiten die Maschine und töteten die Entführer.
Auf diese erste Anschlagsserie von Islamisten auf den Bahnverkehr in Westeuropa folgten die in der Einleitung beschriebenen Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid und vom 7. Juli 2005 in London. Zwei weitere Anschläge scheiterten am 21. Juli 2005 in London und am 31. Juli 2006 in Deutschland.
Aufschlussreich für die Motivlage der Täter, bei denen es sich nur in einem Fall um Selbstmordattentäter gehandelt hat, sind insbesondere die Anschläge von London.
Bei den Anschlägen von London – vermutlich aber auch bei den Anschlägen von Madrid – werden die zivilen Opfer für die Handlungen ihrer Regierungen in Haftung genommen. So erklärte Muhammad Sidique Khan, einer der Londoner Selbstmordattentäter, in seinem „Märtyrervideo„: „Eure demokratische Regierung begeht Akte der Grausamkeit an meinem Volk„. Damit macht sich der Täter in geradezu zynischer Weise unser demokratisches System zur Rechtfertigung des Anschlages zu Nutze: Die Bevölkerung in Demokratien ist aus Sicht der Islamisten für das Handeln der von ihr gewählten Regierungen verantwortlich; greift diese Regierung militärisch in der islamischen Welt ein, dann wird die Bevölkerung stellvertretend zum legitimen Angriffsziel. Die Attentäter wollten also mit ihrem Anschlag die Bevölkerung Londons für den Irakkrieg bestrafen und den Konflikt in das Heimatland des „Kriegsgegners„ hineintragen.
Bestätigt wird diese Sichtweise durch die Reaktion Bin Ladens auf die Anschläge von Madrid. In einer Rede vom April 2004 bot er den europäischen Staaten einen „Waffenstillstand„ an. Die Anschläge vom 11. September 2001 und vom 11. März 2004 bezeichnete er „als eure eigene Währung, mit der euch zurückgezahlt wurde„; ein aufmerksames Volk lasse es nicht zu, „dass seine Politiker mit seiner Sicherheit spielen„.
Aber warum wurden in allen drei Fällen Züge oder U-Bahnen angegriffen? Hier geben möglicherweise die Überlegungen der Täter des versuchten Anschlages vom 31. Juli 2006 in Deutschland einen Hinweis. Nach Presseberichten war das wichtigste Motiv für den Anschlag die Veröffentlichung einiger Karikaturen des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung und ihr Nachdruck auch in deutschen Medien. Die beiden Täter, zwei libanesische Studenten, wollten die hier lebende Bevölkerung für die Beleidigung ihres Religionsstifters und ihres Glaubens „bestrafen„. Zunächst spielten sie mit dem Gedanken, einen Anschlag während der Fußball-Weltmeisterschaft zu begehen, verwarfen diesen Plan jedoch, weil sie sich wegen der hohen Sicherheitsvorkehrungen keine Chancen ausrechneten. Zur Minimierung ihres Risikos entschieden sie sich schließlich, ihre Bomben in zwei Zügen zu deponieren.
Unmittelbares Angriffsziel ist also nicht der öffentliche Personenverkehr oder der durch einen solchen Anschlag verursachte wirtschaftliche Schaden; die Täter haben es vielmehr ausschließlich auf die Menschen abgesehen, die dieses Beförderungsmittel nutzen. Die Täter lassen sich offensichtlich von der selben Vorstellung leiten, die Osama Bin Laden am 23. Februar 1998 in seiner berüchtigten „Fatwa„ formuliert hat: „Amerikaner und ihre Verbündeten – Zivilisten und Militärs – zu töten, ist eine individuelle Pflicht für jeden Muslim und hat zum Ziel, die Aqsa-Moschee (in Jerusalem) und die Heilige Moschee (in Mekka) zu befreien und ihre Armeen aus den Ländern des Islam zu vertreiben. (...) Diese Pflicht kann in jedem Land erfüllt werden, wo es möglich ist. Dies steht in Übereinstimmung mit Gottes Wort: ‚Und tötet die Heiden alle zusammen, genau wie sie euch bekämpfen’ sowie ‚Und bekämpft sie, bis es keinen Anführer und keine Unterdrückung mehr gibt, und Gerechtigkeit und der Glaube an Gott sich durchsetzen’„ (...).
Wenn islamistische Attentäter also möglichst viele „Ungläubige„ durch einen Anschlag töten wollen, um damit ganz allgemein den Westen für seine Politik gegenüber der islamischen Welt zu bestrafen oder Druck auf eine bestimmte Regierung auszuüben, ihre Truppen aus dem Irak oder aus Afghanistan abzuziehen, bietet sich der öffentliche Personenverkehr als sogenanntes „weiches„ und kaum zu schützendes Ziel geradezu an. Wenn dies in Metropolen wie London oder Madrid zusätzlich zu schweren wirtschaftlichen Einbrüchen führt, wird dies sicherlich als durchaus erwünschter Nebeneffekt angesehen.

Zukünftige Gefahren für Deutschland

Nachdem Al-Qaida in Folge des 2. Afghanistan-Krieges ab etwa dem Jahr 2002 in ihrer Operationsfähigkeit weitgehend eingeschränkt ist, geht die Hauptgefahr von Terrorstrukturen und Einzeltätern aus, die schon hier im Westen leben. Diese Personen werden von den Ideen Al-Qaidas beeinflusst und inspiriert; sie sehen Deutschland als Teil „der westlichen Welt„, die unter Führung der USA nach ihrer Sichtweise „der islamischen Welt„ feindlich gesinnt ist, sie angegriffen hat und angreift sowie „Besatzungstruppen„ auf islamischen Boden stationiert hat. Allein durch seinen militärischen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans sowie seine Ausbildungshilfe für irakische Offiziere und Polizisten hat Deutschland in den Augen der Islamisten hinreichend unter Beweis gestellt, dass es zu den „Unterdrückern der islamischen Sache„ und den „willigen Handlangern der USA„ gehört. Die Anschlagsversuche der „Kofferbombenattentäter„ und der sogenannten „Sauerländer Gruppe„ zeigen sehr deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine theoretische Gefahr, sondern um eine sehr ernste Bedrohung handelt: Mit weiteren Anschlagsversuchen muss gerechnet werden!Einzeltäter und isolierte Terrorgruppen, die auf keine solide Unterstützung von Netzwerken zurückgreifen können und keiner zentralen Steuerung durch Al-Qaida unterliegen, müssen sich das Know-how und die Tatmittel für ihre Anschläge selbst beschaffen. Wie die Anschläge von Madrid, London, der gescheiterte Kofferbombenanschlag und die verhinderten Anschläge der sogenannten „Sauerländer Gruppe„ mit Autobomben in Deutschland gezeigt haben, wird der Sprengstoff entweder wie in Madrid illegal im Land beschafft oder wie in London und in Deutschland behelfsmäßig selbst hergestellt. Sofern die Täter keine Ausbildung zum Bombenbau in ausländischen Terrorlagern erfahren haben, können sie auf zahlreiche Bauanleitungen zurückgreifen, die das Internet bereithält.
Tätern, die im Land leben, von logistischer Unterstützung weitgehend abgeschnitten sind, sich die oben beschriebenen Tatmittel beschafft haben und entschlossen sind, den westlichen Staat, in dem sie leben, für seine „Vergehen gegenüber der islamischen Welt„ zu bestrafen, bleiben nicht viele Optionen: „Harte„, gut geschützte Ziele wie staatliche Repräsentanten und Einrichtungen werden sie meiden müssen, weil weder ihre Tatmittel noch ihr Know-how ausreichen, einen solchen Angriff erfolgreich zu führen; daher bleibt ihnen in aller Regel nur, die hier lebende Bevölkerung stellvertretend für „die Vergehen„ ihrer Regierung gegenüber der islamischen Welt zu bestrafen, indem sie in einem spektakulären Anschlag möglichst viele Menschen töten. Als Anschlagsziele bieten sich daher für solche Täter Veranstaltungen mit einer großen Teilnehmerzahl oder eben öffentliche Verkehrsmittel an, also „weiche„ Ziele, die sich kaum schützen lassen. Angriffe auf Bahnhöfe, Züge und U-Bahnen durch in Gepäckstücken eingebrachte Bomben wie in Ma-drid und in Deutschland oder durch Selbstmordattentäter wie in London werden daher auch in Zukunft das wahrscheinlichste Szenario für Anschläge islamistischer Terroristen, die bereits im Land leben, bilden; daneben kommen Anschläge auf Abfertigungsgebäude von Flughäfen durch Autobomben wie in Glasgow oder von der „Sauerländer Gruppe„ geplant in Betracht.

Abwehrmöglichkeiten

Anschläge auf den Flugverkehr durch eingebrachten Sprengstoff oder Entführungen können durch ständig verbesserte Sicherheitsmaßnahmen weitgehend verhindert werden. So wurden nach dem 11. September 2001 in den Flugzeugen die Zugänge vom Passagierbereich zum Cockpit durch eindringsichere und verschließbare Türen gesichert, um potenzielle Entführer am Zutritt zu hindern; die Mitnahme von Gegenständen, die sich als Waffe eignen, wurde untersagt. Teilweise fliegen bewaffnete „Airmarshalls„ in Passagierflugzeugen mit, um Entführungen schon im Ansatz zu verhindern. Als Reaktion auf den Versuch in Großbritannien, mit flüssigem Sprengstoff in Getränkeflaschen Flugzeuge zum Absturz zu bringen, wurden weitere Einschränkungen beim Handgepäck angeordnet.
Terroristen, die den Flugverkehr angreifen wollen, haben als Passagier hierzu kaum noch eine Chance. Damit steigt das Risiko, dass sie künftig versuchen werden, startende und landende Flugzeuge mittels schultergestützter Flugabwehrraketen abzuschießen. Derartige Systeme sind auf internationalen Kriegsschauplätzen weit verbreitet und können daher leicht in die Hand von Terroristen gelangen. So versuchten bereits am 28. November 2002 islamistische Terroristen in Mombasa, eine israelische Verkehrsmaschine mittels sowjetischer Flugabwehrraketen vom Typ SA-7 abzuschießen; die Projektile verfehlten glücklicherweise ihr Ziel. Im Februar 2003 wurde der Flughafen Heathrow in Großbritannien großräumig durch Militär gesichert, nachdem Nachrichtendienste Hinweise auf geplante Anschläge mit Flugabwehrraketen erlangt hatten. Der wachsenden Gefahr durch derartige Anschläge kann jedoch durch bauliche Veränderungen und weiträumige Kontrollen in den Ein- und Abflugzonen sowie durch Ausrüstung der Verkehrsflugzeuge mit Abwehrsystemen, die bei Militärflugzeugen bereits Standard sind, begegnet werden.
Nach den glücklicherweise erfolglosen Kofferbombenanschlägen in Deutschland wurden im politischen Raum zahlreiche Vorschläge diskutiert, mit denen die Sicherheit auch im öffentlichen Bahnverkehr verbessert werden soll. So wurde beispielsweise in die Diskussion gebracht, in Zügen bewaffnete „Bahnmarschalls„ vergleichbar der in Flugzeugen eingesetzten „Airmarshalls„ einzuführen; teilweise wurde sogar die Idee ins Spiel gebracht, Arbeitslose zur Verbesserung der Sicherheit in sogenannten „Ein-Euro-Jobs„ mit Kontrollaufgaben in Zügen zu betrauen. Diese Vorschläge sind jedoch in der Praxis völlig ungeeignet, einen Anschlag eines zur Tat entschlossenen Selbstmordattentäters zu verhindern: Ist dieser erst mit seiner im Rucksack oder am Körper versteckten Bombe im Zug, wird ihn niemand mehr an der Zündung des Sprengstoffs hindern können. Werden Bomben von Tätern, die sich nicht selbst „opfern„ wollen, lediglich in Gepäckstücken in die Züge oder Bahnhöfe eingebracht, dann ist es wichtig, dass nicht nur das Bahnpersonal, sondern alle Reisende sensibel auf herrenlose Gepäckstücke reagieren. Kampagnen wie „Aufmerksam unterwegs„, mit denen die Bevölkerung für derartige Gefahren sensibilisiert werden soll, sind daher besser geeignet, eine abgelegte Bombe zu finden, als die geringfügige Erhöhung der Zahl der Zugbegleiter oder gar deren Bewaffnung.
Als ebenso ungeeignet ist der Vorschlag anzusehen, im Bahnverkehr ähnliche Sicherheitskontrollen einzuführen, wie sie im Flugverkehr Standard sind. Bei täglich 33.000 Zugbewegungen und über fünf Millionen Bahnpassagieren ist es schlicht unmöglich, jeden Einzelnen zu kontrollieren; auch wäre es völlig unrealistisch, die Passagiere für eine kurze Fahrt von 30 Minuten eine Stunde vor Fahrtantritt für die dann notwendigen Kontrollen auf den Bahnhof zu bestellen. Öffentlicher Personennahverkehr ist ein Massengeschäft, mit dem sich derartige Einschränkungen nicht vereinbaren lassen.
Da die Täter des versuchten Kofferbombenanschlages in Deutschland sehr schnell über die Auswertung von Videoaufzeichnungen ermittelt werden konnten, wurde auch der massive Ausbau der Videoüberwachung vorgeschlagen. Zwar liegt auf der Hand, dass sich ein zu allem entschlossener Selbstmordattentäter nicht durch Videoüberwachung von seiner Tat abhalten lassen wird, doch haben die Erfahrungen aus London und Deutschland gezeigt, dass gerade bei fehlgeschlagenen Anschlägen Überwachungsvideos ein geeignetes Mittel sind, Täter schnell zu identifizieren, festzunehmen und damit die weitere Bedrohung, die von ihnen ausgeht, abzuwehren. Auch nach einem erfolgreichen Selbstmordanschlag sind Überwachungsvideos geeignet, schnell Aufklärung über die Täter zu schaffen sowie auf diesem Wege mögliche Hintermänner und noch nicht identifizierte Mitglieder von Terrorzellen zu ermitteln, um die von ihnen ausgehende Gefahr zu beenden. Innerhalb des politischen Raumes muss daher diskutiert werden, ob ein deutlicher Ausbau der Videoüberwachung angesichts der Bedrohungslage verhältnismäßig ist oder der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürger als höherwertig gewichtet wird.
Nach wie vor ist der wichtigste Bekämpfungsansatz die Aufklärung und Zerschlagung in Deutschland vorhandener oder sich neu bildender Strukturen gewaltbereiter Islamisten, bevor sie einen Anschlag begehen können. Diese Aufgabe ist schwierig, langwierig, aber nicht unlösbar: Islamistische Terroristen sind nicht unsichtbar, sondern entfalten Aktivitäten, die von den Sicherheitsbehörden und von einer aufmerksamen Bevölkerung wahrgenommen werden können. Deshalb ist es wichtig, dass man sich von der weit verbreiteten Vorstellung verabschiedet, bei den Terroristen handele es sich um sogenannte „Schläfer„, die nach Erhalt einer terroristischen Ausbildung nach Deutschland geschickt werden, wo sie nun legal und unauffällig leben, bis sie unvermittelt einen Terroranschlag begehen. Die Mitglieder von bisher enttarnten Terrorstrukturen in Europa haben diesem Typus nicht entsprochen: Sie haben sich wie die Attentäter vom 11. September 2001, die Täter von Madrid und London, die „Kofferbombenattentäter„ oder die Mitglieder der „Sauerländer Gruppe„ erst hier in Europa radikalisiert, sind von hier aus in Ausbildungslager in Afghanistan oder Pakistan aufgebrochen oder haben sich hier das Know-how und die Tatmittel für ihre Anschläge beschafft. Auch unterhielten sie häufig Kontakte zu bekannten Islamisten, äußerten in Gesprächen islamistisches Gedankengut oder veränderten sich massiv in Kleidung und Verhalten.
Neuerdings spielt das Internet bei der Radikalisierung von Islamisten eine immer stärkere Rolle; auch erlangen die Täter dort das Wissen, wie sie ihre Bomben herstellen können. Entscheidend ist es daher, derartige Radikalisierungsprozesse zu erkennen, um Anschlagsvorbereitungen möglichst frühzeitig zu unterbrechen. Internetüberwachung, insbesondere das Eindringen in geschützte chat-rooms, in denen für Terrorismus geworben und über Anschläge diskutiert wird, wird dabei in der Zukunft eine stärkere Bedeutung erlangen.
Während letzteres mit V-Personen noch relativ einfach zu bewerkstelligen ist, stellt die Kommunikation der Terroristen untereinander und mit ihren Führungsstellen im Ausland ein wesentlich größeres Problem dar: Die Angehörigen der „Sauerländer Gruppe„ benutzten hierfür ebenfalls das Internet, wobei sie in absolut professioneller Weise ihre Spuren verwischten; kurz bevor sie zur „heißen Phase„ ihrer Planungen ansetzten, setzten sie ein Verschlüsselungssystem ein, das ein Überwachen ihrer Internet-Kommunikation unmöglich machte. Für derartige Ausnahmefälle, in denen Terroristen das Leben vieler Bürger bedrohen, muss es den Sicherheitsbehörden möglich sein, auf die Festplatte ihrer Computer zuzugreifen, wo die Daten unverschlüsselt zu finden sind. Hierfür müssen die notwendigen Rechtsgrundlagen, welche die Voraussetzungen und rechtsstaatlichen Kontrollen eines solchen schwerwiegenden Eingriffs klar definieren, geschaffen werden: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, in dem es Terroristen gestattet ist, frei von jeglicher Kontrolle Massenmord zu planen!
Doch nicht nur die Sicherheitsbehörden sind gefordert, wenn es darum geht, Terroranschlägen vorzubeugen. Langfristig gesehen sind gesellschaftliche Weichenstellungen viel entscheidender, wenn dem Terrorismus der Nährboden entzogen werden soll. Radikalisierungsprozesse werden vor allem dadurch begünstigt, dass die Betroffenen sich als Muslime und Einwanderer in unserer Gesellschaft ausgegrenzt und ohne Chancen sehen: Nur wer keine Zukunft für sich sieht und Hass auf seine Mitbürger entwickelt, wird bereit sein, diese im Namen einer religiös begründeten Ideologie zu ermorden. Eine Islamphobie, die zu einer Ausgrenzung gerader junger Muslime aus der Gesellschaft führt, wird die Radikalisierung begünstigen und verstärken. Langfristig gesehen kann daher nur eine gelungene Integrationspolitik den Zulauf hier lebender Muslime zu gefährlichen Ideologien bremsen.


Bei täglich 33.000 Zugbewegungen und über fünf Millionen Bahnpassagieren ist es unmöglich, jeden Einzelnen zu kontrollieren

Die in ihrer ganz großen Mehrheit friedlichen und gesetzestreuen Muslime müssen mehr als bisher deutlich machen, dass islamistische Terroristen und deren Vordenker nicht in ihrem Namen sprechen und sich nicht für ihre Verbrechen auf den Islam als Rechtfertigung berufen können; auch müssen sie Glaubensbrüder, die auf den Weg des Djihad abdriften, den Sicherheitsbehörden melden, um Schlimmes zu verhindern. Hier bestehen noch erhebliche Defizite. Der vom Bundesinnenminister angestoßene Dialog mit den Muslimen ist deshalb – bei allen Problemen – ein richtiger und unverzichtbarer Ansatz.

Ausblick

Zunächst kann festgehalten werden, dass Flugzeuge und Bahnen, die für die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar sind, auch unter den Bedingungen des islamistischen Terrorismus die sichersten Verkehrsmittel bleiben werden. Der Bürger kann und soll weiter mobil bleiben.
Die deutschen Sicherheitsbehörden – das hat die Festnahme der „Sauerländer Gruppe„ gezeigt – sind trotz des föderalen Aufbaus sowie der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
gut aufgestellt, um Anschlagspläne von Terroristen zu vereiteln. Das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum„ (GTAZ) in Berlin, in dem Polizei und Nachrichtendienste ihre Erkenntnisse austauschen, hat sich dabei als sehr hilfreich erwiesen.
Je kleiner und isolierter die Zellen islamistischer Terroristen sind, desto geringer ist jedoch die Chance, Anschlagsvorbereitungen rechtzeitig zu erkennen. Der versuchte Anschlag der „Kofferbombenattentäter„ wurde schließlich nicht durch die Sicherheitsbehörden, sondern einen Konstruktionsfehler vereitelt. Es kann daher trotz aller Wachsamkeit auch in Deutschland zu erfolgreichen Terroranschlägen kommen.
Wie eingangs dargestellt wurde, sind die „Fernwirkungen„ eines Terroranschlags gefährlicher als das eigentliche Tatgeschehen: Die Wirkungen zielen auf den Staat und unsere westlich geprägte, offene und demokratische Gesellschaft, die in die Knie gezwungen und zerstört werden sollen; ferner soll das Fanal weitere Muslime radikalisieren und für den Djihad begeistern. Letzteres kann vor allem dann gelingen, wenn Staat und Gesellschaft die Muslime unter „Generalverdacht„ stellen und mit unangemessenen Maßnahmen überziehen.
Es ist deshalb wichtig, dass sich Bevölkerung und Politik mental auf den Fall eines Terroranschlages in Deutschland vorbereiten, damit nicht unter dem Eindruck eines schrecklichen Geschehens falsche Schlussfolgerungen gezogen und die falschen Maßnahmen getroffen werden. Insbesondere dürfen rechtsstaatliche Errungenschaften, die oft mühsam erkämpft worden sind, nicht unter dem Eindruck eines einzelnen Geschehnisses geopfert werden, auch wenn dieses noch so schrecklich ist. Wir sollten uns daher vor allen Überreaktionen des Staates, wie wir sie in den USA in der Folge der Anschläge des 11. September 2001 gesehen haben und wie sie dort jedenfalls zunächst von der großen Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wurden, hüten: Letztlich können auch einschneidende polizeistaatliche Maßnahmen Anschläge islamistischer Terroristen nicht sicher verhindern. Aber sie wären mit ziemlicher Sicherheit das Ende von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.