Kapitaldelikte

Ein autoerotischer Todesfall bei sadomasochistischer Disposition

In der kriminalpolizeilichen Praxis finden sich Fälle autoerotischer Betätigungen, die bei sadomasochistischer Disposition unbeabsichtigt zum Tode führen, eher selten. Anhand des ungewöhnlichen Todesfalles und der individuellen Persönlichkeit eines 42 Jahre alt gewordenen Mannes soll die „sexuelle Sonderbarkeit des Sadomasochismus„ fallbezogen beschrieben werden. Wegen der Komplexität des Phänomens S/M, das Wissenschaft und Forschung teilweise divergent behandeln und konträr interpretieren, kann der Beitrag die Problematik nur allgemein-exemplarisch beleuchten.

Klaus-Liedert,
Polizeipräsidium Köln


Der Todesfall des Versicherungskaufmannes Hans A. (Name geändert)
Weil der bei einer Versicherungsgesellschaft beschäftigte Hans A. seit drei Tagen unentschuldigt seinem Arbeitsplatz ferngeblieben war, benachrichtigte eine besorgte Mitarbeiterin die Polizei. Die Beamten einer Funkstreife entdeckten bei einer ersten Inaugenscheinnahme der vollkommen verdunkelten Wohnung keine schlüssigen Hinweise auf einen vorangegangenen Wohnungseinbruch. Im Schlafzimmer fanden die Beamten schließlich eine leblose Person auf dem Fußboden liegend vor. Die außergewöhnliche Auffindungssituation des nahezu unbekleideten, gefesselten Toten veranlasste die umsichtigen Beamten jedoch, ihre Kollegen von der Mordkommission zu benachrichtigen.

Ermittlungen der Mordkommission und rechtsmedizinische Befunde
Eine Mordkommission nahm umgehend erste Ermittlungen am Leichenfundort auf. Dabei galt es zunächst einmal, objektiv wahrgenommene Tatortbefunde in ein hypothetisches Handlungs- bzw. Deliktsmuster einzuordnen. Was war hier geschehen? Wurde der Tote Opfer eines Gewaltverbrechens? Oder musste von einem Suizid ausgegangen werden? Nicht immer ergeben erste Befunde ein klares, eindeutiges Bild von tatrelevanten Geschehnisabläufen.

Zur Klärung der Todeszeitbestimmung und der näheren Umstände, die den Ermittlern Aufschluss über die Ursache und den Eintritt des Todes geben können, wurde zeitnah eine Gerichtsärztin zur Tatortbefundaufnahme hinzugezogen. Dabei ergaben sich folgende Befunde:

Der Tote liegt in Rückenlage unbekleidet vor einem großen Spiegelschrank auf dem Fußboden im Schlafzimmer. Das Gesicht des Verstorbenen ist mit einem Klebeband maskenartig zirkulär umklebt. Lediglich die Nasenöffnung ist frei. Um den Hals des Toten ist eine Metallkette gelegt, die mit einer doppelt um das rechte Handgelenk befestigten Handschelle verbunden ist. Die rechte Hand ist mit braunem Paketband faustartig verklebt. Die linke Hand ist mehrfach mit übereinander geklebten Paketklebebandstreifen umwickelt. Beide Füße sind mit einer Handschelle und einer Kordel gefesselt. Im Bereich des Oberbauchs ist ein extrem eng anliegendes Lederkorsett mit mehrfach fest geschlossenen Schnallen angelegt. Darüber sind verknotete Paketkordeln fixiert. In der Umgebung des Genitals ist ein extrem eng anliegendes Klebeband zirkulär gelegt. Die gesamte Gesäßregion ist „slip-artig„ mit Klebeband umwickelt, ebenso große Anteile der Brust-Bauchregion. Nach dem Entfernen der maskenartig um den Kopf gelegten Klebestreifen finden sich im Bereich der spaltbreit geöffneten Augen in den Bindehäuten beidseits stecknadelspitzgroße Unterblutungen. In dem fingerbreit geöffneten Mund liegt eng zum Rachenraum hin ein Spültuch im Sinne einer Knebelung.

Zeitgleich mit den Untersuchungen an der Leiche sahen sich die Ermittler in der Wohnung des zwischenzeitlich identifizierten Toten um. Dabei ergab sich rasch ein klärendes Bild von der Person und den sexuellen Neigungen des alleinstehenden Wohnungsinhabers. In mehreren Schränken und Behältnissen fanden sich eine Vielzahl von Sex-Magazinen, Schriften, Fotos und Videos mit eindeutigem S/M-Bezug. Auffällig war dabei, dass darin die sexuell-motivierten Handlungen ausschließlich zwischen Frauen und Männern, nie jedoch zwischen gleichgeschlechtlichen Personen vorgenommen wurden. In nahezu allen Zimmern der Wohnung fanden sich typische S/M-Fesselungs-, Züchtigungs- und Gebrauchsgegenstände wie Metallketten, Halsbänder, Lederriemen, Peitschen, Ledermasken, Stiefel, High-Heels sowie diverse Gummitextilien.

Zusammenfassende Ergebnisse zur Todesursache
Nach Abschluss der Tatortarbeit sowie nach dem Bekanntwerden erster Erkenntnisse über die Person des Verstorbenen ergaben sich konkrete Hinweise darauf, dass im vorliegenden Falle autoerotische Handlungen dem Todeseintritt vorangegangen waren. Dem widersprachen das Obduktionsergebnis und die Auswertung der Aussagen von Zeugen- und Auskunftspersonen später in keiner Weise. Es konnte ermittelt werden, dass sich der masochistisch veranlagte Mann in einem Drang nach sexuellem Lustkonsum selbst geknebelt und gefesselt haben dürfte. Im Verlauf eines autoerotischen Lusterlebens kam es offensichtlich – ungewollt – zu einem Zwischenfall, der tragischerweise tödlich endete. Durch eine mechanische Verlegung des im Mund fixierten Knebelwerkzeuges trat der Tod durch protrahiertes Ersticken ein. Anzeichen für eine andersartige, todesursächliche Gewalteinwirkung, insbesondere in Form von Gewalt durch fremde Hand, fanden sich nach Abschluss der gerichtsmedizinischen und kriminalistischen Untersuchungen nicht.

Persönlichkeits- und Charakterbild des Opfers
Den tragischen Todesfall des 42-jährigen Mannes nahm der Autor zum Anlass, sich über das kriminalistisch notwendige Bemühen um eine Tat- und Sachaufklärung hinaus einmal differenzierter mit dem Persönlichkeitsbild des Verstorbenen zu befassen, es ein wenig zu erforschen und es in Teilbereichen zu beleuchten. Dabei wurde sehr schnell offenkundig, dass das Wissen über den Menschen, über seine Gefühlszustände, sein Triebverhalten und über seine psychische Energie der Affekte immens vielschichtig und nicht immer einfach zu verstehen, zu begreifen und zu beschreiben ist.

Welche Bedingungen, Umstände, Einflüsse und Entwicklungen führten zu dem Persönlichkeits- und Charakterbild des verstorbenen Versicherungskaufmannes?

Kindheit, Eltern und Erziehung
Hans A. wurde Mitte der fünfziger Jahre im Rheinland geboren. Er war das einzige Kind mittelständischer Eltern, die ihn während seiner frühkindlichen Entwicklungsphase aus verschiedenen Gründen zum Teil gröblich vernachlässigten. Zuneigung und elterliche Liebe erfuhr das Kind selten. Aus nichtigen Anlässen heraus gab es Prügel und grausame Bestrafungen, die der Junge traumatisch und folgenschwer erlebte und erlitt. Nach dem frühen Tod des Vaters entwickelte der Junge zu seiner allein erziehenden Mutter eine Hassliebe, die zeitlebens konstant andauerte. Ihre kühle Zurückweisung und ihre von Strenge und Gewalt bestimmte Erziehungsmethode empfand er verwundend und höchst demütigend.

Schulzeit und Beruf
Auch während seiner Schulzeit kam es immer wieder zu einschneidenden, traumatischen Erlebnissen, die dazu führten, dass für den lebensängstlichen Menschen Mutter, Lehrer, Ausbilder und Vorgesetzte sehr früh eine Leitbildfunktion verloren hatten. Hans A. entwickelte sukzessive eine Distanz zur Front des Lebens, die sich psychisch und in seinem
sexuell-orientierten Verhaltensmuster letztendlich zu einem pathologischen Abweichen vom Normalen manifestierte.

Nach seiner Schulentlassung erlernte Hans A. auf Wunsch und Drängen seiner Mutter hin den Beruf eines Versicherungskaufmannes. In seinem (ungeliebten) Job war er stets pünktlich, arbeitsam, willig und insgesamt sehr zuverlässig. Seine Grundhaltung beurteilten seine Vorgesetzten als willfährig, servil. Sich selbst bezeichnete er als „Versager im Leben„. Seine Mitmenschen beschrieben ihn als einen introvertierten Einzelgänger, über dessen Privatleben niemand etwas Genaues wusste.

Sexuelle Anamnese, Entwicklung und Neigungen
Frühkindlich traumatische Erlebniserinnerungen und eine fehlgeleitete Erziehung führten bei Hans A. zu neurotischen Entwicklungsstörungen hinsichtlich der Ausprägung und Ausformung seiner sexuellen Orientierung. Erstmals im Alter von 12 Jahren habe er sadomasochistische Tendenzen in sich gespürt. Liebesenttäuschungen im Teenageralter verstärkten zunehmend seine abnorme sexuelle Attitüde. Nach und nach fand er Gefallen am Erleiden von Schmerzen bei der Ausgestaltung seiner Sexualität. Bei „streng und energischen„ oder „Reitsportbegeisterten„ Frauen (oftmals bei Prostituierten), die in Zeitungsinseraten einen „anpassungsfähigen Partner„ suchten oder anderwärtig ihre Dienste anboten, lebte er seine sexuellen Phantasien – zumeist gegen Bezahlung – aus. Homosexuelle Neigungen habe er in seinem Leben nie verspürt.

Ehe, Sex und Scheidung
Mit 25 lernte Hans A. über eine Zeitungsannonce eine damals 27-jährige Frau kennen, die er nach wenigen Monaten heiratete. Ihr gegenüber verschwieg er seine zwischenzeitlich extrem ausgeprägten S/M-Neigungen keinesfalls. Seine Ehefrau erlebte anfangs überrascht, später aber zunehmend gekränkt, dass für ihn ein „normaler Geschlechtsakt„ die absolute Ausnahme und für ihn eigentlich vollkommen bedeutungslos war. Zu Beginn der Ehezeit teilte sie seine „diabolische Lust zu beherrschen und zu quälen„ (Zitat Ehefrau), in dem sie sich freiwillig und aktiv an gegenseitigen Fesselungen und Auspeitschungen beteiligte. Als sie jedoch selbstkritisch erkannte, dass ihre (sexuelle) Rolle in der Ehe ausschließlich dem perversen Diktat ihres Mannes unterworfen war, zog sie aus – und reichte wenig später die Scheidung ein.

Die finale Entwicklung einer sexuellen Andersartigkeit
Nach seiner Ehescheidung war Hans A. an der Aufnahme und Gestaltung einer menschlichen Beziehung oder gar an einer (festen) Freundschaft nicht mehr sonderlich interessiert. Er kapselte sich gegenüber seiner Umwelt vollkommen ab, sprach vermehrt dem Alkohol zu und konsumierte gelegentlich Drogen. Unfähig zu einer echten Beziehung lebte er seine erotischen Triebkräfte und sexuellen Phantasien in der Anonymität seiner eigenen Wohnung aus – gelegentlich mit, aber vornehmlich ohne Partnerin. Dazu legte er sich im Verlaufe der Zeit ein umfassendes Arsenal an Fesselungs- und Züchtigungswerkzeugen sowie einschlägige S/M-Magazine, Schriften, Fotos, Videos zu, um in autoerotischer Neigung seine Triebveranlagung zu befriedigen.

Seine sexuelle Andersartigkeit wurde ihm nach einer S/M-motivierten Fesselung- und Knebelungshandlung durch eigene Hand – ungewollt – zum Verhängnis; sie endete tödlich.