Internationaler Terrorismus

Mediziner und der islamistische Terrorismus

Nach den jüngsten Anschlägen in London war die Öffentlichkeit besonders schockiert, als herauskam, dass ausgerechnet Ärzte an der Planung und Ausführung dieses Terrorkapitels maßgeblich beteiligt waren. Alle festgenommenen Ärzte verrichteten bis kurz vor den Anschlägen Dienst an Patienten und wurden als „angenehm, freundlich und kompetent„ wahrgenommen. Dass sie zu solch einer feigen Tat fähig sind, widerspricht unserer Wahrnehmung des Arztberufes und verstärkt unsere Ohnmacht, das Phänomen „Djihadismus„ in seiner Reichweite verstehen zu können. Aus irgendeinem Grund hat sich in den Köpfen der Menschen im Westen die Idee breitgemacht, dass islamistische Terrororganisationen sich auf die Rekrutierung von sozialschwachen und bildungsarmen Menschen konzentrieren würden. Es ist müßig hier entgegenzuwirken, weil viele Menschen eine Kausalität zwischen Bildung, Vernunft und Friedfertigkeit annehmen. Viele Funktionäre, Aktivisten und Sympathisanten von Terrororganisationen der jüngsten Geschichte waren und sind Akademiker. Vielmehr muss man hier feststellen, dass aufstrebende, elitäre, gut ausgebildete junge Menschen sehr oft in revolutionären Ideologien aufgehen und an Terroraktionen als strategischem Mittel mitwirken.

Dr. Marwan Abou-Taam,
Islam- und
Politikwissenschaftler, Mainz

Mediziner sollen Leben retten und nicht vernichten – Diese Formel bestimmt unsere Wahrnehmung eines Berufes, den wir oft mit dem „hypokratischen Eid„ in Verbindung bringen. Der Arzt ist eben eine moralische Autorität, die gegen Leid und Schmerz wirkt. Jedoch belehrt uns die Realität eines Besseren. Nicht nur das Hitler´sche Terrorregime war von Ärzten durchspickt. Ärzte spielten und spielen zentrale Rollen in terroristischen Organisationen. Bereits unter den Anarchisten im zaristischen Russland waren viele Krankenpfleger und Ärzte vertreten. Der argentinische Arzt Dr. Ernesto „Che„, Berufsrevolutionär, der Palästinenser George Habash, Kinderarzt und Anführer der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Abdelaziz al-Rantisi, Kinderarzt und Führungsfigur der Hamas, Fathi Shiqaqi, Allgemeinmediziner und Chef des islamischen Djihads, auch der Arzt und Massenmörder Radovan Karadzi´c sind berühmte Vertreter terroristische Organisationen. Zwar haben die Terror-Gruppen von Peru über die IRA in Großbritannien oder die Eta im Baskenland bis Al Qaida in der islamischen Welt keine ideologischen Gemeinsamkeiten, doch finden sich viele Ärzte in ihren Reihen.
Zurück zu den Ereignissen in London und zu der Frage über die Rolle von Medizinern im djihadistischen Terrornetzwerk der Al Qaida. Fakt ist, dass zu keiner Zeit und an keinem Ort sich so viele Mediziner Terrorgruppen angeschlossen haben wie derzeit in der arabischen Welt. Der zweite Mann der Organisation, Aiman al Zawahiri, kommt aus einer angesehenen Familie des Bildungsmittelstandes Ägyptens. Sein Vater war Medizinprofessor. Er selbst studierte Medizin in Kairo und arbeitete drei Jahre als Chirurg in der ägyptischen Armee. Der bekannteste Fall in Deutschland ist der Neu-Ulmer Arzt, der von Bayerischen Behörden als Hassprediger gewertet wird, Scheich Abu Ammar.
Heilung ist ein zentraler Aspekt der islamischen Religion. Dabei ist für den Islam jeder schlechte Zustand des Menschen oder seiner Umgebung eine Krankheit. Eine Krankheit kann moralischer Art oder als körperliche Schwäche, also als Mangel an Gesundheit, verstanden werden. Leitsatz der islamischen Heilkunde ist die Aussage des Propheten: „Allah hat keine Krankheit herabkommen lassen, ohne dass Er für sie zugleich ein Heilmittel herabkommen ließ„. Dabei gilt die Medizin als Beitrag zur Erhaltung der göttlichen Schöpfung. Als Statthalter Gottes, obliegt dem Arzt die Aufgabe, den Gesundheitszustand wiederherzustellen. Denn nur ein gesunder Muslim ist in der Lage, alle Pflichten eines Gläubigen auszuüben. Dadurch erhält derjenige, der die Heilkunde beherrscht eine zweifache Autorität. Eine religiös-moralische und eine gesellschaftspolitische. Diese zunächst harmlose, eher philosophisch-gesellschaftliche Funktion des Arztes kann im Falle einer Radikalisierung uminterpretiert werden. Vertritt der betroffene Arzt eine globale-islamistische Interpretation der Welt in der altbekannten dualistischen Art und Weise, betrachtet er also das menschliche Dasein als Kampf zwischen Gut/ Glaube und Böse/ Unglaube, so kann schnell der gedankliche Übergang vollzogen werden. In letzter Konsequenz wird auch die terroristische Gewalt als Heilung interpretiert.


Plakat von Al Qaida mit den Attentätern vom 11. September 2001 und Osama Bin Laden.

Reicht diese Argumentation, um zu erklären, wieso die mutmaßlichen Attentäter von London und Glasgow Ärzte waren? Aus meiner Perspektive muss man etwas tiefer nach den Ursachen suchen. Eine monokausale Erklärung greift hier kurz, denn aus der oben beschriebenen Argumentation wird nicht ersichtlich, wieso nur wenige muslimische Ärzte sich dem Terrorismus widmen, während die absolute Mehrheit doch friedlich ist. Eines ist jedoch überdeutlich: Ärzte lassen sich genauso radikalisieren wie Nicht-Ärzte. Der Schlüssel liegt in den Radikalisierungsmechanismen, die scheinbar jeden treffen können.Der islamistische Terrorismus ist ein Gruppenphänomen. Der Einzelne, der sich einer terroristischen Gruppe angliedert, verrät zunächst über sich, dass er die dort propagierte Ideologie der Gewalt teilt und Terror als Mittel billigt. Er zeigt auch große Bereitschaft, für die Ziele der gewählten Gruppe in Aktion zu treten. Die Dynamiken innerhalb der jeweiligen Gruppe entscheiden über Radikalisierungsgeschwindigkeit, Aktionsradius und Vernichtungspotential. Jeder Einzelne innerhalb der terroristischen Gruppe bringt eigene Motivationselemente mit. Erst in der Kombination und im Austausch innerhalb der Gruppe eskaliert die gegenseitige Radikalisierung. Sehr bald liefert die Gruppe eine Gruppenidentität, die die individuelle Identität mit all ihren Schwächen überschattet. Die Migration in die terroristische Gruppe isoliert den Einzelnen psychisch und sehr oft auch physisch von seiner „normalen„ Umgebung. Vertrauensbeziehungen existieren nur zu anderen Gruppenmitgliedern. Die Kräfte, die dadurch entwickelt werden, können auch in Sekten beobachtet werden. Je stärker sich eine Person in die Gruppe eingliedert, umso weiter entfernt sie sich von ihrer ursprünglichen Lebenswelt. Eine Integration in die Gruppe bedeutet die komplette Auflösung des Individuums. Die Bereitschaft zur Selbstaufgabe ist nur noch eine logische Konsequenz. Dabei sind natürlich persönliche Charakterzüge und innere psychische Prozesse entscheidende Faktoren. Hierbei sind Struktur der Persönlichkeit und persönliche Erlebnisse bestimmend für den Entschluss zu dieser Tat. Die vor allem im Westen verbreitete Darstellung von Terroristen oder gar Selbstmordattentätern als einzelne Verrückte mit krankhaftem Hintergrund oder einer Tendenz zum Selbstmord muss als grundlegender Deutungsfehler bezeichnet werden. Bei den Attentätern handelt es sich keineswegs um geisteskranke oder selbstmordgefährdete Persönlichkeiten, sondern in der Mehrzahl um besonders reflektierende Personen mit großem Interesse für die sie umgebenden sozialen und politischen Bedingungen. Der Terrorist reflektiert seine Gewalt und wendet sie gezielt an. Seine Handlung ist kein Affekt. Vielmehr wird die Gewalt gewollt und langfristig geplant sowie strategisch eingesetzt. Er interpretiert die Ereignisse entlang seiner eigenen Weltanschauung. Die Normen der djihadistischen Gruppe sind eine an die bestehenden Resonanzstrukturen der vorherrschenden Kultur angepasste Rekonstruktion, die den Einzelnen bindet. Sie definieren Zugangskriterien und Obligationen, die von den Mitgliedern stark internalisiert werden, weil sie an religiöse Werteideale und Prinzipien gekoppelt werden und die Festigung personaler und kollektiver Identität fördern. Man ist prinzipiell der Umgebung gegenüber feindlich gesonnen und befindet sich somit im dauerhaften Kampf. Das Gefühl der moralischen Überlegenheit ist eine weitere Motivationsebene, die in Wirklichkeit die Schwäche im eigenen System überdecken soll. Die soziale Stellung von Medizinern in der islamischen Welt ist sehr hoch. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass von der Bildungselite dieser Beruf überproportional angestrebt wird. Da Radikalisierungsmechanismen auch Akademikern betreffen und der Pool an Ärzten unter den Akademikern groß ist, sind diese in terroristischen Organisationen stark vertreten. Hierbei muss man bedenken, dass Mediziner generell mehr als andere Menschen mit Leid und Ungerechtigkeit konfrontiert werden. Dabei unterscheiden radikalisierte Menschen wohl zwischen dem Leid der eigenen Gruppe und leidenden Dritten. Anders formuliert bedeutet dies, dass sie gegenüber dem eigenen Kollektiv scheinbar altruistisch handeln, während sie gegenüber den Ungläubigen hassbeladen und unbarmherzig sind. Die Effizienz des islamistischen Terrorismus liegt in seiner Unauffälligkeit sowie in der Fähigkeit der schlafenden Zellen Potential und Absicht bis zum Augenblick des Finals verheimlichen zu können. Dafür bieten sich geradezu scheinbar gut integrierte Menschen an. Anfang Juli 2007 waren es Mediziner, das nächste Mal könnten es Ingenieure oder gar Pädagogen sein.