Kriminologie Heute

Internationale kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit

ein Spagat zwischen „Global Player" und „Community Policing"?

Von Jörg-Michael Klös, Kriminaldirektor, Pol.-Präs. Berlin


Jörg-Michael Klös, Kriminaldirektor, Berlin

Um die Antwort gleich an den Anfang der Ausführungen zu stellen: Nein, weder ein Spagat noch eine Alternativentscheidung zwischen beiden. Zweifellos benötigt die Polizei der Zukunft mehr denn je sowohl die internationale/weltweite Zusammenarbeit als auch den engen Bezug zum lokalen Geschehen, zum Kiez.

Der Wahlspruch „Think global, act local" genügt also den Erfordernissen nicht mehr, vielmehr muss die Handlungsmaxime lauten, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen! Die Thematik „Internationale kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit" beinhaltet schon deshalb eine Vielzahl relevanter Sachkomplexe, weil die Bundesrepublik Deutschland sozu-sagen im Herzen Europas liegt, einem Europa, das für die Organisierte Kriminalität immer attraktiver und lukrativer wird. Die offenen Grenzen durch das Schengener Abkommen im Kernbereich der EU bewirken, dass die OK kaum noch Zollkontrollen fürchten muss.

Gleichwohl ist und bleibt bis auf weiteres die Bekämpfung der kriminellen Strukturen Sache eines jeden einzelnen Mitgliedsstaates.

Alle Mitgliedsländer legen gesteigerten Wert auf die Erhaltung ihrer uneingeschränkten Souveränität. Im Ergebnis führt das dazu, dass die rechtlichen Maßnahmen und gesetzlichen Vorschriften nicht nur nicht harmonisiert, sondern sogar unzureichend koordiniert werden. Nur in seltenen Fällen konnte man sich bislang zu einem einheitlichen Vorgehen durchringen. Insellösungen bedingen aber immer Lücken, Schwachstellen und Nahtstellenprobleme. Und genau diese werden von den Tätern für ihre kriminellen Strukturen und Aktivitäten genutzt.

Deutschland nimmt hierbei ohnehin eine exponierte Stellung ein. Lukrativ ist die Bundesrepublik einerseits durch die nach der Wiedervereinigung im Osten hinzugekommenen kriminalgeografisch relativ unerschlossenen Gebiete, die aufgrund des Vakuums optimale Voraussetzungen für die Expansion krimineller Vereinigungen aufweisen und andererseits wegen des Absatzmarktes für Drogen, zumal die Gewinnmarge in Europa gegenüber dem Handel in den USA bei etwa der 3-fachen Größenordnung liegt.



Multinational organisierte Tätergruppen operieren je nach Lage der Dinge und den Erfordernissen situativ, flexibel, spontan. Oder langfristig vorbereitet, bis ins letzte Detail geplant, abgesichert und risikominimiert. Größere Distanzen sowie Ländergrenzen werden über schnelle und gut ausgebaute Verkehrswege per Landverbindungen, Seewege oder Jet überwunden. Sie verfügen über die modernste Technik, beste nationale und internationale Kontakte und immense finanzielle Mittel, die ihnen den Zugang zur gekauften Intelligenz und damit auch zu den besten Anwälten oder Gutachtern ermöglichen. Die globalen Netzwerke beschränken sich keinesfalls auf ebenenspezifische Assoziationen, vielmehr gibt es _ intensiver und häufiger als weitläufig bekannt ist _ auch gut funktionierende Zweckgemeinschaften zwischen z.B. der OK und dem internationalen Terrorismus sowie Interessen _ und Aktionsbündnisse von kriminellen bzw. terroristischen Organisationen und Landesregierungen oder Oppositionsbewegungen. Das Spektrum reicht dabei von der Tolerierung über die Unterstützung bis hin zur Mitwirkung.



Zu den speziellen Aktionsfeldern der international operierenden kriminellen Gruppen zählen insbesondere


Drogendelikte Waffenhandel Schleuserkriminalität (Arbeitskräfte, Flüchtlingsschleusung) Schutzgelderpressung/sonstige Erpressung Entführungen Menschenhandel (Prostituierte, Kinderhandel/Kinderpornografie) Kraftfahrzeugverschiebung Fälschungsdelikte incl. Herstellung von Falschgeld und unbarer Zahlungsmittel Rotlichtkriminalität (Glücksspiel, Wettbetrieb, Prostitution) Organisierter Raub bzw. Diebstahl allgemein (Wohnungseinbruch, Kfz-Teilediebstahl, Kunstdiebstahl, Ta schen- und Trickdiebstahl usw.) Wirtschaftskriminalität (Anlage-, Aktien-, Subventions- oder Insolvenzbetrug) Geldwäschedelikte illegaler Zigarettenhandel Produktpiraterie Computerkriminalität Industrie- und Wirtschaftsspionage Organhandel Proliferation/Nuklearkriminalität (unautorisierte Verbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungsmitteln sowie Kriegswaffen) internationaler Terrorismus

Den weltweit zusammenarbeitenden Tätern ist schwierig genug beizukommen und wenn überhaupt, dann nur mit einer Polizei, die international wenigstens ebenso gut und optimal verzahnt agiert/reagiert.

Die derzeit bereits vorhandenen Möglichkeiten der globalen oder internationalen Zusammenarbeit müssen ausgebaut und intensiviert werden. Entsprechende Programme sind bereits auf den Weg gebracht.

Da wären zunächst die tradierten und jedem Polizeibeamten bestens vertrauten Einrichtungen Interpol und Europol zu nennen. Ersteres Amt wurde 1923 als „Internationale kriminalpolizeiliche Kommission" gegründet und war unter der Bezeichnung IKPO Interpol bekannt. 1946 erlangte die aktuell weltweit größte internationale Polizeiorganisation einen Aufgaben- und Statuswechsel, hin zu einer die nationalen Polizeien bei grenzüberschreitender Ermittlungstätigkeit, Fahndung und Rechtshilfeersuchen unterstützenden Behörde. Exekutivaufgaben obliegen Interpol nicht. Das Europäische Polizeiamt Europol fußt auf dem Maastricher Vertrag, der im Oktober 1998 in Kraft trat. Zielsetzung ist die erklärte gemeinsame Bekämpfung der international bedeutsamen Kriminalität. Vergleichbar mit Interpol geht es originär um Datensammlung, Aufbereitung und Datenaustausch. Gleichwohl gibt es ernsthafte Bestrebungen, die Kompetenzen auszuweiten. Der Schritt zu eigenen Ermittlungskompetenzen hin wird zwar noch gescheut, die Beteiligung an gemeinsamen Ermittlungsgruppen der Mitgliedsstaaten ist aber bereits seit 2002 möglich.
Relativ jung ist dagegen das „Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, OLAF", das seit 1999 existiert. Hier geht es um die Verfolgung von kriminellen Machenschaften und Betrugshandlungen zum Nachteil des EU-Haushaltes, also um Zollvergehen, Steuerbetrug und Subventionsbetrug. Die Ermittlungen beschränken sich jedoch auf reine Verwaltungsmaßnahmen, so dass die Behörde auch keine polizeilichen Befugnisse hat.

Die Erkenntnis, dass die Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus gepflegt werden und funktionieren muss, ist also weder neu noch überraschend. Historisch betrachtet gab es erst praktische Umsetzungen dieser Notwendigkeit in den Bundesländern mit Auslandsgrenzen. Erinnert sei an das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizeibehörden im deutsch-französischen Grenzgebiet vom 1.10.1978, die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg und Frankreich sowie der Schweiz oder zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden/Belgien. All diese bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen hatten sich schon lange vor dem Schengener Abkommen bewährt.

Eine weitere Erkenntnis war, dass es eben nicht ausreicht, Abkommen zu unterzeichnen und mit gutem Willen Zusammenarbeit zu propagieren.

Gleichermaßen wichtig ist, dass die Polizisten, also die Menschen sich kennen und vertrauen lernen. Bräuche, Mentalität, Traditionen, Erfahrungen und mitunter auch Vorurteile/Verallgemeinerungen können diesem Vorhaben durch- aus im Wege stehen.

Das war auch dem englischen Polizisten Arthur Troop klar, der bestrebt war, das Misstrauen und die Zerrissenheit der Gesellschaft, insbesondere der Polizeien, nach den Wirren des 2. Weltkrieges zu überwinden. Er beabsichtigte einen Weltverband zu gründen, in dem sich Polizeibedienstete zusammenschließen, um über persönliche Kontakte/Freundschaften auch dienstliche Themen/Probleme zu lösen. Am 1.1.1950 gründete dieser junge Sergeant die IPA Großbritannien. Drei Jahre später wurden Sektionen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich gebildet, 1955 kam u.a. auch Deutschland hinzu. Heute hat die International Police Association (IPA) mehr als 320.000 Mitglieder in über 60 Ländern der Welt.



Sich gegenseitig unterstützen, kennen lernen, Vertrauen gewinnen, sind Wege zu einer erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit. Dem wird durch die vielen Auslandsmissionen der Polizei entsprochen. Dazu gehören Einsätze in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Kroatien, Danube (Afrika) und Afghanistan.

Ein weiteres Feld sind die von der EU organisierten Projekte in Riga, Budapest und das Phare Twinning-Programm. Letzteres beinhaltet eine Zusammenarbeit, Partnerschaft bzw. Kooperation zwischen Polen und der Bundesrepublik auf dem Sektor der inneren Sicherheit. Derartige Programme sind ideal, um die Schere zwischen dem großen Thema „internationale Zusammenarbeit" und der Community Policing wieder zu schließen, zu einer Einheit werden zu lassen. Im Rahmen des Phar- Twinning-Unterstützungsprojektes waren polnische Polizeikollegen für mehrere Tage in Berlin, um die kiezbezogene Arbeit der Berliner Polizei vor Ort erleben zu können. Der im offiziellen Programm ausgewiesene dienstliche „Kiezspaziergang" erweckte das besondere Interesse der Delegation. Mehrfache Rückversicherungen durch die Teilnehmer bei dem für die Organisation und Betreuung zuständigen Berliner Kriminalbeamten, ob das denn mit dem Kiezspaziergang „auch wirklich klar gehe", ließ diesen misstrauisch werden und den Dolmetscher konsultieren. Das war dann auch gut so, denn nun stellte sich heraus, dass die Dolmetscherin des BKA, die das Programm in die polnische Sprache übertragen hatte, in Unkenntnis des typischen berlinerischen Begriffs „Kiez..." diesen als „Bordellbesuch" bezeichnete! Die Enttäuschung der polnischen Kollegen hielt sich aber in Grenzen, als sie den wahren Inhalt des Programmpunktes erfuhren. Ein Beispiel mehr, das zeigt, wie wichtig es im täglichen Umgang miteinander ist, einander zu verstehen... unmissverständlich!